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Im Schoß der Familie. Franziska SteinhauerЧитать онлайн книгу.

Im Schoß der Familie - Franziska Steinhauer


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Ganter, dass man sich nun dem Vater der Getöteten widmete.

      «Der arme Mann! Erst stirbt ihm die Frau, und nun ermordet jemand die Tochter. Wie tragisch», übernahm eine resolute Stimme die Einleitung, und schnell stimmten alle in das Jammern und Wehklagen ein.

      «Er überlässt sie der Pflege durch den Freund, um sie vor Unbill zu schützen, und dann …»

      «Er wird untröstlich sein, wenn er davon erfährt.»

      «Was für ein schreckliches Schicksal! Alle Lieben verloren …»

      «Wann er wohl davon hören mag? Ist er nicht irgendwo in Afrika?»

      «Wie kann man jemanden eine solche Nachricht schonend beibringen?»

      «Er hatte so große Pläne mit Mireille …»

      Und dann übertönte die Stimme des Dichtersohnes alle anderen: «Ich habe sie so geliebt! Alles Glück hat mich für immer verlassen! Ohne sie kann ich nicht weiterleben!» Er taumelte in Richtung Treppe, wurde von vielen Händen aufgehalten und sank schließlich auf den Stufen erneut in sich zusammen.

      Auch das noch, stöhnte der Ermittler innerlich auf. Vater im Ausland, das Haus voller Gäste und ein heulender Liebestoller – das wird ja immer besser!

      «Jemand muss Franz Koch informieren. Er soll ihn abholen kommen, sonst tut er sich am Ende tatsächlich noch etwas an. Er ist hoffnungslos romantisch veranlagt, will mir scheinen!», fuhr der Hausherr dazwischen, und Karl eilte zur Haustür, um dem Lyriker einen Wagen zu senden.

      Ganter erkannte, dass er nun eingreifen musste. «Herr von Weitershausen, ich brauche einen ruhigen Raum, in dem ich mich mit Ihren Gästen unterhalten kann. Dieses Zimmer wird verschlossen, den Schlüssel nehme ich an mich, und ein Beamter wird davor Posten beziehen. Wo kann ich mit Ihren Gästen sprechen?» Fritz Ganter legte eine Extraportion Autorität in seine Stimme.

      Während Gerlinde dem Ermittler den Schlüssel reichte, kam ein uniformierter Beamter hinzu, der bisher dafür Sorge getragen hatte, dass die Gesellschaft auf dem Flur blieb und nicht in das Mordzimmer drängen konnte. «Jürgen Brummler», stellte er sich knapp vor und bezog sofort steif seinen Platz direkt neben der Tür.

      «Sie soll einfach so da liegen bleiben? Die ganze Nacht?», empörten sich einzelne weibliche Stimmen.

      «Unser Arzt wird sie zu gegebener Zeit zur Leichenschau abholen», verkündete Ganter ruppig und scherte sich diesmal nicht um das protestierende Stöhnen.

      «Gerlinde wird Sie ins Speisezimmer führen. Dort sind Sie bei Ihren Gesprächen ungestört», erklärte von Weitershausen und gab dem Hausmädchen ein Zeichen. «Ich denke, der Tisch ist bereits abgeräumt, und andere Spuren unseres Festes muss ich Sie bitten zu übersehen. Es war ein glücklicherer Ausgang geplant», sagte der Gastgeber bitter. «Versammeln Sie sich doch bitte alle in der Bibliothek. Auf diesen Schock brauchen wir eine kräftige Stärkung», forderte er dann lauter, machte eine raumgreifende Armbewegung, und artig setzte sich die Gästeschar in Bewegung. Eine mitleidige Seele klaubte den Sohn des Lyrikers von den Stufen und trug ihn davon.

      «Herr von Weitershausen, ich würde die Gespräche gern mit Ihnen beginnen», erklärte Ganter, der gleichzeitig versuchte zu ignorieren, dass ihm schon bei diesen Worten der Schweiß ausbrach. Wie sollte das erst während der Befragung werden?

      «Gut.» Von Weitershausen gab sich entschieden aufklärungsbereit. «Wenn Sie nur erlauben, dass ich zuvor die Gäste mit dem Notwendigsten versorgen lasse, stehe ich Ihnen sofort zur Verfügung.»

      Ganter nickte nur. Was blieb ihm anderes übrig?

      «Seit wann lebte Mireille Loliot in Ihrem Haushalt?»

      «Seit mehr als einem Jahr. Mein guter Freund, Jean Loliot, reiste in wichtigen geschäftlichen Angelegenheiten ins Ausland. Seine Firma produziert leistungsstarke Motoren und Antriebssysteme. Er ließ seine Tochter in unseren Händen zurück.» Der Hausherr barg für einen Augenblick sein Gesicht in den auffallend großen Händen, schluchzte trocken auf und atmete mehrfach tief durch. In einer Geste der Verzweiflung strich er sich die schweißfeuchten Haare aus der Stirn, dann sah er Ganter mit sengendem Blick an. «Ich weiß gar nicht, wie ich ihm je wieder unter die Augen treten kann – nachdem ich auf so entsetzliche Weise versagt habe.»

      «Warum nahm er seine Tochter nicht mit auf die Reise?», hakte Ganter nach, ohne auf die Äußerung von Weitershausens zu reagieren.

      «Mit Mireilles Gesundheit stand es nach dem Tod ihrer Mutter nicht zum Besten. Das Mädchen war schwach, ihre Konstitution angegriffen. Der Hausarzt der Familie riet Jean dringend davon ab, ihr die Strapazen einer solch abenteuerlichen Reise zuzumuten.» Er schluchzte erneut. «Doch nun sieht es so aus, als wäre es allemal besser für das Mädchen gewesen, ihren Vater zu begleiten!»

      «Was kann Fräulein Loliot im Gästezimmer gewollt haben? Fühlte sie sich vielleicht nicht wohl?»

      «Doch. Mireille genoss solche Empfänge immer von ganzem Herzen. Sie liebte es, Menschen zu treffen, war bester Laune. Sie war sehr gebildet, für ihr Alter verblüffend belesen und auch noch ausgesprochen attraktiv. Ihre Anmut, ihr Liebreiz verzauberten die Gäste. O Gott!» Jetzt konnte der Hausherr die Tränen nicht länger zurückhalten.

      Fritz Ganter schwieg, während sein Gegenüber um Fassung rang. Nicht aus gesprächstaktischen Gründen, sondern weil er schlicht nicht wusste, wie er auf diesen emotionalen Ausbruch reagieren sollte. Seinem täglichen Umgang entsprach mehr der rauhe Handwerker, der einfache Mann von der Straße oder der arbeitslose und entwurzelte Kriegsheimkehrer, der verwirrt nach einem neuen Einstieg ins Leben suchte. Ratlos strich Ganter sich übers Kinn, knetete es, streichelte die Stoppeln gegen den Strich. «Mireille Loliot muss die Gesellschaft nach dem Dessert und vor der Ankunft in der Bibliothek verlassen haben. Hat sie jemand aus dem Raum begleitet?»

      Heimar von Weitershausen putzte sich die Nase, straffte den Rücken und warf Ganter einen vernichtenden Blick zu. «Dies ist ein offenes Haus! Wir saßen in entspannter Runde beim Essen, erwarteten die Gäste, die danach zu einer kleinen Feier dazustoßen sollten. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich jeden meiner Gäste ständig im Auge behalte! Wenn Mireille von jemandem begleitet werden wollte, um sich zum Beispiel im Garten die Füße zu vertreten, wäre das allein ihre Entscheidung gewesen! Ich unterstelle doch niemandem unlauteres Benehmen!» Empörung sprach aus seiner Haltung, Wut aus den Augen, die nur Sekunden zuvor in Tränen zu schwimmen schienen.

      «Sie missverstehen mich. Mich interessiert, ob ihr jemand folgte. Ungebeten.»

      Darüber dachte Heimar von Weitershausen lange nach. Dann formulierte er sorgfältig und mit Bedacht: «Retrospektiv glaube ich mich daran erinnern zu können, dass ich Xaver Koch, den Sohn des Lyrikers Franz Koch, auch habe aus dem Raum gehen sehen. Zumindest stieß er erst mit Verspätung zu uns im Rauchsalon.»

      Der junge Mann wirkte auf Ganter, als habe er einmal beobachtet, wie ein wahrhaft Trauernder sich gebärdet, und spiele diese Szene jetzt theatralisch nach. Bühnenreif, schoss es dem Ermittler durch den Kopf, durchaus vorzeigbar. Doch Misstrauen hatte sich im Herzen des Beamten breitgemacht. «Sie sprachen von Ihrer großen Liebe zu Fräulein Loliot.»

      «Ja, es ist wahr!» Zum wiederholten Mal fuhr seine Hand über die Stirn, als prüfe er, ob er Fieber habe. Eine Geste ohne Kraft. Mutlos. Leblos.

      «Sie hatten dem Fräulein Ihre Gefühle bereits gestanden?», bohrte Ganter weiter.

      «Nein.» Die Antwort war nur ein Hauch.

      Normalerweise hätte Ganter seinen Zeugen jetzt heftig angefahren, ihn ordentlich angeblafft – aber das war angesichts dieser Gesellschaft wohl nicht angebracht. Diplomatie war eher vonnöten, zumal er nicht wusste, wie dieser seltsame junge Mann auf einen harten Anwurf reagieren würde. Er nahm einen geschmeidigen Anlauf: «Sehen Sie, Herr Koch, es würde meine Arbeit tatsächlich sehr erleichtern, wenn Ihre Antworten weniger einsilbig ausfielen. Mit Ein-Wort-Sätzen ist mir nicht geholfen. Sie sollten also mit Informationen nicht so sparsam umgehen.»

      Xaver Koch sah ihn verwirrt an. Dann bettete er seinen Kopf auf den Unterarmen


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