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Was ich glaube. Arnold MettnitzerЧитать онлайн книгу.

Was ich glaube - Arnold Mettnitzer


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sein auf die frühen Wurzeln der Achtung, des Respekts, der Toleranz Andersdenkenden und Andersfühlenden gegenüber, er mag aber nach dem gründlichen Studium der Geschichte vorsichtig geworden sein und sich fragen, was religiöse Toleranz in seinem persönlichen Umfeld heute bedeutet und wie sie dort gelebt wird! Ich bin (leider) überzeugt davon, dass in diesem Zusammenhang in Mitteleuropa zumindest mehr (vertröstende) Worte gemacht als (konkrete) Taten gesetzt werden. Aus ganzem Herzen aber freue ich mich über Menschen, die, wo auch immer in der Welt, durch ihren engagierten Einsatz diese meine Vermutungen in beeindruckender Weise zu widerlegen imstande sind.

      Christine Lavant

      Am 4. Juli 2015 jährte sich zum 100. Mal der Geburtstag von Christine Lavant. Vom Fluss des Tales leiht sie sich ihren Künstlernamen. Mit ihrem bürgerlichen Namen heißt sie Christine Holdernig, geb. Thonhauser. In ihren Gedichten und Prosatexten durchwandert sie die ganze Welt samt Himmel und Hölle, in ihrem Leben aber verlässt sie das Lavanttal fast nie. Mit den Menschen in ihrer Umgebung spricht sie im Dialekt. Von Kindheit an mit Krankheit geschlagen, von kaum jemandem wirklich verstanden, bleibt ihr, so scheint es, als einzig verlässlicher Partner nur ein verborgener Gott, gegen dessen Schweigen sie ankämpft mit der unerhörten Sprache einer vom Leben und Leiden Geplagten. Sie ruft, bittet, klagt, stellt Fragen, wartet, so scheint es, vergeblich auf Antwort, will aber, wie der biblische Hiob, durch alle Bedrängnis hindurch nicht von Gott los, sie will nur wissen, was mit Gott los ist. Dabei zeigt sie sich in ihrer Zwiesprache mit ihm als ebenbürtige Gesprächspartnerin in Augenhöhe, selbstbewusst, unerschrocken und mit heiligem Zorn, nicht demütig, ergeben und dem Schicksal ausgeliefert, sondern leidenschaftlich und punktgenau in ihrer Wortwahl. Sie sucht, findet aber nicht, sie ruft, niemand scheint ein Ohr für sie zu haben. „Hören, hören! – O du mein Gott – nur Taube wissen, wie Hören tut, und warten im Eisblock des Schweigens auf dein lebendiges Wort“,4 formuliert sie in einem ihrer Gedichte. Mit neunzehn Jahren scheitert ihr erster Versuch, freiwillig aus dem Leben zu gehen. Sie bleibt und kämpft weiter mit ihrer feinen, zärtlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Ihr scharfer Verstand nährt sich an ihrer immensen Belesenheit. Einer ihrer Lieblingsautoren, den sie im Rucksack durchs Lavanttal trägt, ist Rainer Maria Rilke. Er spricht gegen jede Psychotherapie die Warnung aus, dass man Dichtern erst recht die Engel“ austreibe, wenn man ihnen die „Teufel“ nehme. Diese künstlerische Verteidigung der Krankheit weiß darum, dass man die „süße Melancholie“ der Krankheit „melken“ kann. Diese Melancholie, die wir heute „Depression“ nennen, kann Christine Lavant noch „melken“. Der bloße Misanthrop oder Hypochonder kommt über die Grenze seines „An-sich-selber-Leidens“ nicht hinaus. Sie aber vermag ihr Leiden in die Wortbilder ihrer großen Lyrik umzusetzen, schreibt sinngemäß Hans Weigel als Herausgeber eines Buches über sie.5

      In einem Brief an ihre Freundin Ingeborg Capra-Teuffenbach schreibt sie Mitte Jänner 1948: „Wir befinden uns auf Erden u. zw. ganz u. gar auf Erden u. alles, was wir vom Himmel wollen, muß hier vor sich gehen. Deshalb ist jede Begegnung so wichtig, jedes Menschenwort so ausschlaggebend. Jede Güte mehrt den Himmel auf Erden.“6

      Und am 19. Juli 1948: „Wasser sollen wir einander sein, worein wir unsere alle fremde Landschaft legen, damit wir sie endlich zu sehen bekommen, lange zu sehen, solange, bis wir darin daheim sind, so sehr daheim, daß wir sie abends betreten mögen, leise am Saum eines Waldes, der innen vielleicht eine Wiese enthält, in deren Mitte unsere Rindenhütte steht. Denn: wir brauchen Obdach! Und wir müssen alle so lange gehen, bis wir es einmal haben, das ganz Unsrige, das Unverlierbare.“7

      Das ist das Großartige im literarischen Werk der Christine Lavant: Aus der Ohnmacht ihrer Verzweiflung wachsen die bedeutendsten Texte deutschsprachiger Literatur. Sie alle atmen die Sehnsucht nach Liebe, nach unverlierbarer Bleibe. In der Schlusszeile eines ihrer Gedichte heißt es:

       Du weißt, ich brauch kein Himmelshaus

       zeig mir das Obdach einer Maus

       bevor der Tag mich steinigt. 8

      Am 3. Juni 1973, kurz vor ihrem 58. Geburtstag, stirbt Christine Lavant in Wolfsberg an einem Schlaganfall. Was von ihr bleibt, ist ein beeindruckendes literarisches Vermächtnis. Die poetische Tiefe ihrer Lyrik und ihrer (bisher viel zu wenig beachteten) Prosatexte atmen alle die abgrundtiefe Sehnsucht nach einem „Fünklein Liebe“.9

      Constantin Rudolf

      Am 22. August 2015 um 4 : 57 Uhr hat Constantin Rudolf das Licht der Welt erblickt. Er ist gerade einmal neun Stunden alt, als Jutta und ich ihn besuchen, vor ihm niederknien und ihn mit einem behutsamen Kuss an die Wange in unserer Welt willkommen heißen. Noch wagen wir es nicht, ihn in unsere Arme zu schließen und ihn an unsere Brust zu nehmen, so majestätisch klein und in himmlischer Ruhe liegt er da vor uns. Schon bei der elektronischen Nachricht über seine Geburt muss ich an das schöne Wort von Anton Wildgans denken: „Wer bist du, Mensch, dass du nicht niederknien müsstest vor dem neuen Menschen!?“

      Hier ist er also, dieser neue Mensch, einer, der gerade beginnt, so wie wir alle einmal begonnen haben, einer, von dem der Wandersmann aus Nazareth seinen Begleitern sagt, dass sie den Himmel nie begreifen könnten, wenn sie nicht würden und blieben wie er, hilflos, klein, angewiesen auf andere und dabei im Augenblick seiner Geburt schon so geheimnisvoll groß, ein Wesen in Fülle. Wunderbare Paradoxie des Lebendigen: Der Himmel besucht die Erde, im Kleinen zeigt sich das Große, in seiner Schwachheit liegt seine Kraft.10

      „Staunen nur kann ich und staunend mich freuen!“ Ein einzigartig wunderbar-lebendiges Geschenk liegt vor mir, das alles bereits in sich trägt, was später aus ihm noch werden wird. Zum Abschied muss ich Constantin Rudolf ein Kreuz auf die Stirn zeichnen, nicht um ihn zu segnen, sondern um mich von ihm segnen zu lassen. Deutlicher nämlich spricht der Himmel nie zu den Menschen als durch die Geburt eines Kindes.

D

      Dädalus und Ikarus

      In einer Fülle von Bildern der Künstlerfamilie Brueghel erzählt das Kunsthistorische Museum in Wien Menschengeschichten. Ein Archetyp der abendländischen Malerei ist Pieter Brueghel des Älteren „Großer Turmbau zu Babel“ (1563). Ein weiteres seiner Werke führt in die griechische Mythologie: „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus.“ Dädalus und Ikarus versuchen dem Labyrinth des Minotaurus zu entfliehen. Die gelungene Flucht des Vaters ist aber nicht das Hauptthema. Das Interesse gilt Ikarus, der mit seinen Flügeln der Sonne zu nahe kommt und ins Meer stürzt …

      Die Grenzerlebnisse sind es, die uns leben lassen, die Suche danach, unseren Horizont zu erweitern, treibt uns an. Unsere Aufmerksamkeit konzentriert sich dabei vor allem auf das Neue, auf die Weltpremiere, auf das „So-noch-nie-Dagewesene“, das vor allem dann interessant ist, wenn bis zum Schluss mit dem Scheitern zu rechnen ist. Pieter Brueghels Bild zeigt den stürzenden Ikarus klein im Hintergrund. Im Vordergrund pflügt ein Bauer sein Feld und ein Hirte blickt zum Himmel, so als wolle der Maler zum Ausdruck bringen, dass unabhängig von dem, was hier geschieht, die Erde sich weiterdreht. Der Lauf der Natur bleibt vom Einzelschicksal unbeeindruckt.

      Am 20. Juli 1969 schaffen es Armstrong, Aldrin und Collins, sich der Sonne zu nähern und auf dem Mond zu landen. Um 21 : 17 Uhr MEZ setzt die Landefähre „Eagle“ auf der Mondoberfläche auf. Sechs Stunden später, am 21. Juli 1969 um 3 : 56:20 Uhr MEZ, betritt Neil Armstrong als erster Mensch die Mondoberfläche. Es ist der bislang bedeutendste Moment in der Geschichte der Raumfahrt. „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit!“ Armstrongs Satz wird zum geflügelten Wort, das bei der Fernsehübertragung der Mondlandung rund 600 Millionen Menschen live miterleben.

      Ich bin damals knapp siebzehn Jahre alt. Unser Nachbar weckt mich und meine Brüder um drei Uhr nachts. Staunend sitzen wir vor dem einzigen Fernsehgerät weit und breit. Seither fühle ich mich als Weltbürger, der, wenn er nur will, Anteil nehmen kann an dem, was „draußen“ in der Welt vor sich geht. Seither fasziniert mich ein Denken aus der Vogelperspektive, das sich einen Überblick zu schaffen vermag und sich nicht von allzu vielen Kleinigkeiten in Geiselhaft nehmen lässt. In dieser Zeit bin ich Gymnasiast


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