Germany´s next Topmutti. Anja LerzЧитать онлайн книгу.
Lebensstile miteinander in Berührung zu bringen, hatte ich nicht geahnt. Heute bin ich froh, dass ich mich damals trotz brüllenden Bauchs auf den Weg zu diesem Kurs gemacht habe. Da hat sich das Schwitzen mal gelohnt, auch, ohne Nummer eins auf dem Siegertreppchen zu sein.
Mittlerweile ist der Kurs schon fast zwei Jahre vorbei, und wir treffen uns immer noch regelmäßig, mit Kindern oder auch ohne. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wir in die Lebensstile der anderen Mamas hineinschauen können und uns zwar auch eine Meinung bilden und mal diskutieren, aber die anderen stehenlassen können. Denn hätten wir alle die gleiche Mamarolle, wäre das doch sehr langweilig, und wir hätten uns kaum was zu erzählen außer „Ja, sehe ich auch so“.
Das ist für mich ein Geschenk. Denn ich kenne noch ganz andere Mutterkämpfe, wo sie wie Hähne aufeinander eindreschen und sich hacken, bis alle flügellahm sind. Das betrifft vor allem die „Vollblut-Mamas“. Die haben jede Menge Stress, weil sie meistens nur noch Mamas sind und alle anderen Facetten mit der Geburt des Kindes abgelegt haben. Die Mutterrolle wird dann verteidigt bis aufs (Voll-)Blut, weil ja sonst nix mehr übrig bleibt. Kann ich nachvollziehen. Wer will schon ein Nichts sein?
Mit ihnen tauschen möchte ich aber um nichts auf der Welt oder Unterwelt. Denn genau davor hatte ich Angst, als ich das erste Mal zum Malibu-Kurs fuhr: dass mich ein Haufen Vollblut-Mamas knebelt und fesselt und so lange mit ihren Mama-Mantras bequatscht, bis ich auch eine Vollblut-Zombie-Mama werde. Dass ich vor lauter „Miteinander-den-Anfang-liebevoll-und-individuell-begleiten-und-Unterstützen“ (dafür steht „Malibu nämlich“, und das ist ja durchaus auch eine schöne Sache) gezwungen werde, alles andere aufzugeben: Arbeit, Freunde, Freizeit. Vollblut-Mamas sind nämlich unglaublich stolz darauf, alles für ihr Kind zu opfern. Notfalls auch die Ehe. Und wer da nicht mitmacht, ist keine gute Mutter. Also nur eine Halbblut-Mutter.
Was uns Spice-Mums ausmacht, ist wahrscheinlich, dass wir alle Halbblut-Mamas sind. In unserem Organismus gibt es noch mehr als unsere Kinder. Unser Halbblut ist es, was uns verbindet. Was aber auch andere ausschließt. Vollblut-Mamas zum Beispiel. Das ist keine von uns. Jede von uns kennt aber eine Vollblut-Mama, die überheblich auf uns Halbblut-Mamas herablächelt. Vollblut-Mamas würden nämlich auch gar keinen größeren Kontakt mit uns haben wollen – außer wir würden auch zu Vollblut-Müttern mutieren. Dafür sind wir aber zu würzig, zu sehr Spice-Mums. Vollblut-Mütter sind nur versalzen, wir haben noch Curry, Chili, Kardamom, Zimt und Pfeffer im Gepäck. Hier verläuft also eine klare Gewürzgrenze.
Genauso wie zu den anämischen Müttern, die noch nicht mal Salz haben. Davon hatten wir auch eine in unserem Malibu-Kurs, und wir haben anschließend lange überlegt, woran es lag, dass diese eine Mama zum Rest der Gruppe den Kontakt abgebrochen hat. Mittlerweile glaube ich, so ganz Psycho-Analyse-Mama, dass es daran lag, dass sie eine Mama mit Blutarmut ist. Ihr fehlte oft ein Feingefühl für ihr Kind oder auch Einsicht oder ein gewisses Verständnis. Das allgemeine Credo der Spice-Mums lautet: Urteile nie über eine andere Mama, denn du weißt nicht, was gerade bei ihr los ist oder wie es in ihrem Leben aussieht. Eigentlich.
Denn so manche Aktionen von anämischen Mamas haben uns doch das (Halb-)Blut in den Adern gefrieren lassen. Rauchen während der Schwangerschaft zum Beispiel? Geht gar nicht. Sich von einer Kuh in den Schwangerschaftsbauch treten lassen und nicht zum Arzt gehen? Geht gar nicht. Das Kind hat deutliche Entwicklungsverzögerungen, aber nicht zur Vorsorge gehen? Geht gar nicht. Das Kind fällt aus dem Laufstall, weil es dafür zu groß ist, und danach den Laufstall nicht runterstellen, sodass es gleich wieder rausfällt? Geht gar nicht. Das Kind die ganze Zeit nur anbrüllen? Geht gar nicht.
Auch Spice-Mums können also ihre Prinzipien haben und andere ausschließen. Die können auch auf andere herabsehen, die Spice-Mums. Nicht nett. Gar nicht nett. Typisch Halbblut-Mütter eben. Für mehr Sympathie ist kein Blut mehr da. Sollen sich doch die Vollblut-Mütter um die anämischen Mütter kümmern, denken die Halbblut-Mütter. Die einen können auf die anderen so richtig tief herabsehen. Und die anderen können zu den richtig guten Mamis hinaufsehen und sie anhimmeln. So hat jede Mama ihre Rolle und ihren eigenen Geschmack. Rollbraten eben. Den kann man auf verschiedenste Arten zubereiten. Sogar vegan.
Letztendlich leiden aber alle Mütter unter diesem Mama-Profisport. Außer sie sind eine Super-Mama, aber von denen hört man immer nur. Ich habe bisher noch keine getroffen. Vielleicht gibt es sie wirklich irgendwo, aber ich halte das für einen Mythos, ein Märchen, eine Metapher. Mag sein, dass manche an sie glauben, die Supermama. Vor allem die Vollblut-Mamas, die diesem Ideal hinterherjagen. Aber ich kenne nur Loser-Mamas. Denn das sind wir alle irgendwann mal. Meistens dann, wenn wir unseren eigenen Vorstellungen von der Mutti, Mutter, Mama, Mudda, Mum, Mami nicht gerecht werden. Die schlimmsten Mama-Verurteiler stecken nämlich in uns selbst. In unserem eigenen Rollbraten, egal, wie lange wir ihn schmoren lassen.
Unsere Freiheit, ganz anders zu leben. Oder auch nicht.
Anja Schäfer
Die ältere Dame hob ihre Augenbrauen und blickte mich tadelnd an. Wir waren auf einer christlichen Veranstaltung, hatten geplaudert, und ich erzählte ihr, dass wir unseren zweijährigen Sohn an drei Vormittagen in der Woche zu einer Tagesmutter brachten. Auf dem kleinen Bio-Bauernhof spielte er zwischen Hühnern und Treckern mit drei oder vier anderen Kindern, und mittags holten wir ihn ab. Perfekt, fanden wir. Die ältere Dame nicht. Fremdbetreut in diesem Alter, das hielt sie für entschieden nicht mit dem biblischen Familienmodell vereinbar.
Zwei oder drei Tage später traf ich mich mit Freunden in einer Kneipe. Anschließend, vor der Tür, kamen wir auf das damals hochbrisante Thema „Betreuungsgeld“ zu sprechen, das ausgezahlt werden sollte an Familien, die ihre Kinder zwischen null und drei (!) Jahren zu Hause betreuten. Indiskutabel, empörten sich meine Freunde. Relikte alter Rollenbilder. Typisch bayrische Schnapsidee.
Und so stand ich da in unserer Runde vor der Kneipe. Erst ein paar Tage zuvor hatte ich mich noch rechtfertigen müssen für unsere liebevolle Tagesmutter, für die ich bis heute dankbar bin. Und hier stand ich mit meinen Freunden, für die es undenkbar war, eine Lebensform staatlich zu unterstützen, bei der Mama oder Papa eine Weile für ihre Kinder zu Hause bleiben. Ich musste fast lachen.
Wir, der Gatte und ich, teilen uns sowohl Broterwerb wie Kindererziehung, kochen abwechselnd, kaufen beide ein, verbringen jeweils viel Zeit mit unseren Kindern, finde ich. Aber als wir in der Kleinkindphase beide auch freiberuflich wieder arbeiten wollten, haben wir unseren Kindern zugetraut, auch Zeit mit anderen zu verbringen. Und genauso gut finde ich alle Familien, in denen sich Mama oder Papa oder beide dafür entscheiden können und wollen, ihren Kindern Zeit zu schenken und sie zu Hause zu begleiten. Ich bin sehr dafür, dass sie von meinen Steuern genauso bezuschusst werden wie alle Kitas, Krippen und Kindergärten.
Wenn ich so zwischen allen Stühlen stehe, kapiere ich manchmal die Welt nicht mehr. Wir könnten uns doch alle so privilegiert fühlen und füreinander freuen. Unsere Situation als Familien heutzutage könnte wunderbar sein: Wir können, dürfen, sollen und müssen unseren eigenen Weg finden, wie wir unser Familienleben gestalten wollen. Wie schön! Stattdessen beäugen wir kritisch die Entscheidungen der anderen und graben uns gegenseitig das Wasser ab. Und leider sind wir Christen – all unseren Überzeugungen von Gnade und Freiheit zum Trotz – oft ziemlich weit vorne mit dabei. In den verbalen Ring geworfen wird dabei immer gern das „biblische Familienmodell“.
Wobei eine Freundin dann immer ein wenig süffisant fragt: „Welches biblische Familienmodell? Das von Salomo und seinen vielen Frauen? Das von Abraham, der mit seiner Magd einen Sohn zeugte? Das von Paulus, der wünschte, alle blieben ehelos wie er, und für den Familie mehr nach einer Notlösung klang?“
Irgendwie scheint sich aber trotz dieser wenig einheitlichen Realitäten der Bibel das „biblische Familienmodell“ mit dem idealisierten Bild der 1950er Jahre verknüpft zu haben, als Papi im VW-Käfer zur Arbeit dampfte und Mutti im Kittel mit Perwoll, Pril und Persil das Heim auf Vordermann hielt und dem Gatten und ihren adrett bezopften Töchtern nach einem Tag mit nichts als Haushalt die Rouladen aus dem Backofen zauberte. Dabei währte die Zeit, als die Gemahlin zu Hause blieb und der Hausherr allein das Einkommen verdiente, nur eine sehr kurze Spanne der Geschichte – wenn sie nicht