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Iaidô. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.

Iaidô - Roland Habersetzer


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Die Aktion wird bis zum letztmöglichen Augenblick hinausgezögert, bis zu der nunmehr greifbar gewordenen Grenze zwischen Leben und Tod. Was nun folgt, hängt an einem seidenen Faden: Das leiseste Geräusch, die erste sichtbare Bewegung, und alles in dieser äußersten Konfrontation zweier Gegner wird zu Ende sein. Das Gesicht des Meisters gleicht noch immer einer undurchdringlichen Maske, aber die Luft scheint von dieser scharfen Konzentration zu vibrieren, zu der die Männer nur in diesem entscheidenden Moment wirklich fähig sind, in dem einer von ihnen sterben muss, damit der andere überlebt. Denn im Angesicht des Todes kann auch die kleinste Geste zu größter Bedeutung gelangen.

      Plötzlich entlädt sich die angesammelte Energie. Das ki1 explodiert und verschmilzt mit der Schnelligkeit des katana, das aus seiner Scheide fährt gleich einem kalten, bläulichen Blitz. Die Klinge schießt mit einem seidigen Geräusch durch die Luft, von hinten nach vorn und trifft den Gegner genau in dem Augenblick, in dem er dem Angriff ausweichen will. Der Meister, der seine Spannung auf solch außerordentliche Weise schlagartig losgelassen hatte, hält abrupt in seiner Bewegung inne, wobei er einen durchdringenden kiai2 ausstößt. Das Schwert steht still; der Kampf ist beendet.

      Diese unvermittelte Rückkehr in den Zustand der Ruhe bildet den schärfsten Kontrast zur Intensität der gerade erfolgten Handlung; der Gegner liegt bereits am Boden, mit gespaltenem Schädel oder durchtrennter Kehle, möglicherweise auch mit zerschnittener Kniekehlensehne. Mit einer knappen Bewegung aus dem Handgelenk schüttelt der Meister das Blut, das die Klinge benetzt, ab und steckt das katana schnell, aber keineswegs hastig zurück in die Scheide. Dies geschieht mit Maßgefühl und Präzision, mit einer Bewegung, die von Kraft und Meisterschaft spricht.

      Auch heute noch werden Iaidō-Vorführungen mit Neugierde und Bewunderung verfolgt. Der Meister, allein in einem imaginären Kampf auf Leben und Tod mit einem unsichtbaren Gegner, fasziniert den Zuschauer, denn in den Bewegungen der kata3, die er ganz für sich ausführt, und selbst in seinem gelegentlichen Innehalten vor, bei und nach dem tödlichen Schlag, schimmert der Geist des echten budō4 hindurch.

      Das iai hat heute nicht mehr den geringsten praktischen Nutzen, denn die Techniken mit dem Schwert können keinen Zweck mehr erfüllen, nicht einmal im Sinne einer technischen Überlegenheit über einen Partner in einem sportlichen Wettkampf. Doch gerade darum ist alles an ihm so rein geblieben – der Geist, die Haltung, der Schlag, die Absichten und ihre Umsetzung. Es ist ein Kampf des Menschen gegen sich selbst. Doch der Meister des iaidō wird sagen, es ist ein anderes Selbst, gegen das der Schlag geführt wird. Und ebenso wie auf verschiedenen spirituellen Wegen, so beispielsweise im Zen, wird der Meister seinen Schüler lehren, das besitzergreifende »Ego« aufzugeben, den Teil des Selbst, der einen hemmt und einem Illusionen vorgaukelt. In den Techniken des iaidō wird auf alles Überflüssige verzichtet, und auf diese Weise lehrt es seinen Adepten, das Überflüssige in sich selbst fallenzulassen.

      Im Ausdruck »iai« findet sich der Begriff des »Seins« (i, von iru) und der Begriff der Harmonie (ai) in dem Sinne, dass man seinen Geist in Harmonie mit dem des Gegners bringt. Dies erinnert an die Kunst des aikidō. Aber im Unterschied zu diesem ist im iaidō die entsprechende Geisteshaltung mit der Meisterschaft im Umgang mit einer Waffe, dem Schwert der Samurai von einst – dem katana – verbunden. Die präzisen Bewegungen mit dieser Waffe sind nichts anderes als die Verlängerung dieser Geisteshaltung. Die Nachsilbe »dō«, der Weg bzw. die Suche, ist mit dem chinesischen Begriff »dao« identisch und weist auf die spirituelle Komponente in einer kriegerischen Praxis hin, wie dies in allen japanischen Kampfkünsten (den Künsten des budō) der Fall ist. Sie bezeichnet ein Endziel, das über den einfachen Gebrauch der Techniken hinausgeht. Im Lauf der Zeit ist aus dem iai-jutsu, der »Technik« des iai, das iai-dō, der »Weg« des iai, geworden. Die Kunst des iai, das heißt, die Kunst des Schwertziehens in einer Bewegung, in der Ziehen, Schnitt, Hieb und Stoß ineinander verschmelzen, war lange Zeit eine pure Kampftechnik. Erst später entwickelte sie sich zu dem, was es heute ist, einem inneren Weg für denjenigen, der eine Bewegung ausführt, die man nicht mehr als Kampftechnik auffassen muss.

      Das echte iaidō kann zugleich als Technik als auch als Geisteszustand definiert werden. Und genau das ist die Ausrichtung, die ihm heutzutage gegeben wird. Wer diese Kunst ausübt, strebt durch die exakte und unveränderliche Bewegungsfolge der kata nach totaler Mobilisierung seiner Energie (ki) unter Einbeziehung seines gesamten Wesens. Und dies geschieht mit solcher Hingabe, als ginge es bei jeder einzelnen Bewegung um Leben und Tod. Im Unterschied zum kendō, das sich zu einem Sport entwickelt hat, gibt es im iaidō keinen physischen Gegner. Alles steckt in der Absicht und in der Konzentration und schließlich in der Explosion der Bewegung, die von außen gesehen ins Leere läuft. Tatsächlich wird derjenige, der die Bewegung ausführt, sie auf eine sehr intensive Weise »leben«, und die Tatsache, dass ihm kein realer Gegner gegenübersteht, ändert weder etwas an der Wahrhaftigkeit der Bewegung noch an ihrer Effektivität.

      Das iaidō ist Erbe alter Techniken, die unter verschiedenen Namen überliefert wurden: Saya-no-uchi, nuki-ai, nuki-uchi, tachi-ai, ri-ho, za-ai, bakken, iaijutsu, battōjutsu. Es ist die Kunst, das Schwert zu ziehen, um möglichst aus dieser einen Bewegung heraus unverzüglich dem gegnerischen Angriff ein Ende zu setzen – unabhängig davon, ob dieser Angriff tatsächlich schon begonnen hat oder nur als geistige Absicht erkennbar war. Es ist eine Kampfkunst, die ihrem Wesen nach von rein defensivem Charakter ist. Sie ist für den eigentlichen Kampf gar nicht konzipiert, denn sobald Gegner einander mit blanken Klingen gegenüberstehen, begeben sie sich in den Bereich des kenjutsu, der Kunst, das Schwert außerhalb seiner Scheide zu handhaben, dem Vorgänger des kendō. Die Zeit für die Anwendung von Technik und Geist des iai ist präzise bemessen und kurz. Sobald die Klinge aus der Scheide schnellt, um im selben Stahlblitz den Schnitt auszuführen, konzentriert sich die gesamte innere Energie des Samurai, seine ganze Seele, auf die Schneide des Schwertes. Entweder es gelingt ihm, seine Bewegung zur rechten Zeit auszuführen, und er überlebt, oder es gibt einen zeitlichen Verzug zwischen seiner Absicht und ihrer Ausführung, und er stirbt. Im iaijutsu gibt es keine zweite Chance.

      Aus der lebenswichtigen Bedeutung dieser einzigen Bewegung erwächst die Notwendigkeit einer totalen Konzentration. Die Technik des Schwertziehens in einem ganz bestimmten Augenblick, mit einer schnellen und fließenden Bewegung »schräg« zum Körper (uchi-zuki), wird aus einer sitzenden (iai-hiza, iai-goshi), einer knieenden (seiza) oder einer stehenden Position heraus geübt. Man trainiert sie aber auch im Gehen oder während man sich umwendet, und man berücksichtigt dabei Hindernisse, denen man ausweichen muss, um auf diese Weise ein ausgeprägtes Gespür für Abstand zu erlangen. Man muss auch lernen, das Schwert zurück in die Scheide zu stecken, mit einer sicheren und präzisen Bewegung, selbst im Dunkeln. Und all dies ohne Partner, denn der Partner existiert nur in der Vorstellung, wie stark auch immer er im Geist des Übenden präsent sein möge. Jede Technik besteht aus vier separaten Bewegungen (sho-hatto), die jedoch flüssig ineinander übergehen: Das Aus-der-Scheide-Ziehen (nuki-tsuke), der entscheidende Schnitt (kiri-tsuke), das Abschlagen des Blutes von der Klinge (chiburi) und die Rückkehr der Klinge in die Scheide (noto). Tatsächlich ist es gleichgültig, ob der Gegner real vorhanden ist oder nur in der Vorstellung. Das ändert nichts am Wesen der Sache. Und das ist auch der Grund, weshalb das Training des iaidō im Gegensatz zu dem des kendō ohne Partner erfolgt (tandoku-renshu).

      Seit jeher wurde das Schwert (ken, nippon-to, katana) in Japan als Seele des Kriegers betrachtet. Sein Stahl wurde nach einem traditionellen Verfahren geschmiedet, das von Generation zu Generation überliefert wurde. Es verbindet den Krieger mit dem Tod und mit dem Leben. Im rein intellektuellen Verständnis sind dies gegensätzliche Konzeptionen, aber dem Samurai musste es gelingen, diese Denkweise zu überwinden, um die Gegensätze zu versöhnen, indem er zum wahren »Wissen« (satori) gelangt. Doch dies ist erst am Ende einer langen Ausbildung, begleitet von einer inneren Suche, die den Rahmen der simplen Technik überschreitet, zu erreichen. Auf diese Weise kam es beim reinen und harten Samurai zu einer Veränderung des Geisteszustands (seishi-o-choetsu), der ihn in seinem Schwert eine doppelte Zweckbestimmtheit


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