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Der Tanz des Kranichs. Hilmar FuchsЧитать онлайн книгу.

Der Tanz des Kranichs - Hilmar Fuchs


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in diesem Sinne ausgebildeter Mensch wird zu Verständnis und Liebe – auch sich selbst gegenüber – fähig sein und auf seine Umgebung anziehend und nicht abstoßend wirken.

       Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können weiter sehen als unsere Ahnen, und in dem Maß ist unser Wissen größer als das ihrige, und doch wären wir nichts, würde uns nicht die Summe ihres Wissens den Weg weisen.

      Bernhard von Chartres (1080-1167)

1. Die Kunst des Tai Chi

       1.1. Über die Geschichte des Tai Chi

      Tai Chi ist ein Weg des Lebens, praktiziert in der chinesischen Kultur seit mehr als tausend Jahren. Die Menschen im alten China waren stets auf der Suche nach einer optimalen Form des Daseins für Körper und Geist und sind auf diese Weise zu bemerkenswerten Ergebnissen gelangt, von denen die Kunst des Tai Chi eines darstellt. Während wir im Westen es gewohnt sind, Körper und Geist als etwas Getrenntes aufzufassen, ist es den Chinesen auf ihrem einzigartigen Weg gelungen, beides als eine Einheit entwickeln zu lernen.

      Die alten Chinesen betrachteten den menschlichen Geist als etwas, dessen Fassungsvermögen grenzenlos ist, während sie den Körper als etwas Begrenztes auffassten. Ihr Ziel bestand nun darin, durch die rechte Verbindung von Körper und Geist zu grenzenloser Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten zu gelangen. Tai Chi zielt auf dieses »Grenzenlose«. Es will den Menschen auf eine höhere Stufe seiner Entwicklung heben, will ihm helfen, seine Kreativität frei zu entfalten.

      Diese Vorstellungen, denen das Tai Chi vor langer Zeit entsprang, bildeten die unsichtbare Kraft, die die chinesische Geschichte seit Jahrtausenden lenkt. Medizin, Ernährung, Kunst und Wirtschaft, selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen, sie alle waren stets davon geprägt.

      Für den Weg hin zur grenzenlosen Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten spielt der richtige Umgang mit dem Yin, der negativen Kraft (Zurückhaltung), und dem Yang, der positiven Kraft (Aktion), eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang soll auf ein sehr altes Werk, das »Buch der Wandlungen«, »I Ging«, verwiesen werden, in dem Staatsführungs- und Lebensweisheiten vermittelt wurden. Dieses mehrere tausend Jahre alte Orakelbuch wird oft als eine Quelle der Yin-Yang-Lehre betrachtet.

      Diese Lehre, die im Zentrum des Tai Chi steht, besagt, dass, wenn Yin und Yang in Harmonie miteinander agieren, die Menschen dem Ziel der grenzenlosen Entfaltung näherkommen werden. Eine einfache, natürliche Lebensweise wird von den Chinesen als der beste Weg hierfür angesehen. Betrachtet man jedoch die Geschichte des chinesischen Staates, so erkennt man, dass das Konzept oft missbraucht wurde, um die Herrschaft der jeweiligen Dynastien zu stützen. Die Herrschenden berücksichtigten zumeist nicht im mindesten die Regeln eines einfachen und natürlichen Lebens. So formte beispielsweise die Qing-Dynastie, die letzte Kaiserdynastie des alten China, mit autoritärer Gewalt eine Gesellschaft, die über zweieinhalb Jahrhunderte Bestand hatte und bei der eine aggressive Yang-Kraft die Grundlage der Autorität bildete. Wer versuchte, ein kooperatives, nach Harmonie strebendes Leben zu verwirklichen, wurde unterdrückt. Frauen wurde gelehrt, dass sie schwach seien und sich unterwürfig zu verhalten hätten.

      Und dennoch verschaffte die Philosophie des Tai Chi beziehungsweise die Yin-Yang-Lehre selbst in Zeiten größter Unterdrückung den Menschen die Möglichkeit, sich in gewissen Grenzen entfalten zu können.

      Die Geschichte des Tai Chi als Bewegungskunst begann wahrscheinlich vor etwa 1800 Jahren. Ein chinesischer Arzt mit Namen Hua Tuo formulierte damals die Erkenntnis, dass Menschen sich aktiv geistig und körperlich betätigen sollten, um ein Leben in Ausgeglichenheit und Harmonie zu führen. Er glaubte insbesondere, dass es die Lebensqualität und die Gesundheit der Menschen verbessern würde, wenn sie Tiere und deren Bewegungen imitieren würden. So kreierte er ein Bewegungssystem, das als »Die Kunst der fünf Tiere« bezeichnet wird und das sich noch heute in China als ein sehr altes Qigong-System großer Beliebtheit erfreut. Diese Tiere waren der Hirsch, der Affe, der Bär, der Tiger und der Kranich. Somit dürfte Hua Tuo einer der ersten Ärzte gewesen sein, welche Gymnastik in ihre Heilkunst einbezogen.

      Etwa um 480 soll Damo (Bodhidharma) von Indien nach China gereist sein, um dort seine religiöse Lehre, den Buddhismus, zu verbreiten. Er begann mit seiner Lehrtätigkeit im Shaolin-Tempel. Neben Religion und Meditation unterrichtete auch er ein System der Tierimitation zur Gesunderhaltung und Kräftigung des Körpers. Er glaubte, dass nur ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist zur Vollendung führen könnte. Über die Schüler von Damo wurde nicht nur der Buddhismus, sondern auch die Kunst der Tierimitation weitergegeben. Letztere entwickelte sich mit der Zeit zu einer äußeren Kampfkunst. Die dafür erforderliche geistige Disziplin wurde durch die Lehren des Buddhismus erreicht.

      Um 1200 lebte in einem Tempel in den Wudang-Bergen ein daoistischer Mönch mit Namen Chang San-feng (Zhang Sanfeng). Einst ein Angestellter des Staates, verabschiedete er sich vom Dienst und zog in die Berge, um dort ein Leben als Einsiedler zu führen und im Einklang mit der Natur den Regeln des Dao zu folgen. Bis zu diesem Zeitpunkt galt es als das wichtigste in den Kampfkünsten, große körperliche Kraft zu erlangen. Doch Chan San-feng kam zu der Überzeugung, dass dies den Prinzipien und der Philosophie der Natur widerspreche. Eines Tages beobachtete er den spielerischen Zweikampf eines Kranichs und einer Schlange. Über den Ausgang des Kampfes gibt es unterschiedliche Überlieferungen. Doch spielt dies genau genommen gar keine Rolle, da der eigentliche Gewinner Chang San-feng war. Durch aufmerksame Beobachtung konnte er feststellen, dass sich beide Kontrahenten in spiralförmiger Bewegung aufeinander zu bewegten, auswichen, die Richtung wechselten, sich sofort auf veränderte Situationen einstellten und somit eine perfekte Darstellung des I Ging, des Buches der Wandlungen, dem Vorläufer der Yin-Yang-Lehre, demonstrierten.

      In der Folge entwickelte er eine Kunst, welche die innere Kraft bevorzugt, mit der eine brutale äußere Kraft überwunden werden kann. Dies kann als die Geburtsstunde des Tai Chi angesehen werden. Er entwickelte 13 Positionen, Chang-chuan (Zhang-quan) genannt.

      Wang Tsung-yueh (Wang Zongyue) war ein Schüler Chang San-fengs. Er verwendete als erster den Begriff Tai Chi Chuan (Taijiquan) und vereinte Changs 13 Positionen zu einer Form.

      Chen Wangting (1594-1664) brachte seine militärischen Erfahrungen – er war General unter der Ming-Dynastie – in das Tai Chi Chuan ein. Er begründete den Chen-Stil dieser inneren Kampfkunst. Sein Nachkomme und Stilerbe Chen Changxing (1771-1853) hatte einen Leibeigenen namens Yang Luchan (1799-1872), der zu seinem Schüler wurde, nachdem er lange Zeit die Familienmitglieder heimlich beim Training beobachtet und ihre Bewegungen imitiert hatte. Er wurde ein vollendeter Meister des Tai Chi Chuan und galt als unbesiegbar. Er ist der Begründer des Yang-Stils des Tai Chi Chuan.

      Im Jahr 1644 eroberten mandschurische Streitkräfte die Macht in China und installierten die Qing-Dynastie (1644-1911). Die Mandschurenkaiser regierten mit harter Hand, und unter ihrer Herrschaft blühte die Korruption. Xianfeng (1831-1861), der 1850 als Kaiser eingesetzt wurde, hörte von der Einzigartigkeit der Kampfkunst des Yang Luchan. Er befahl diesem, in den Dienst des Kaiserhauses einzutreten und seine Kunst dort zu unterrichten. Zudem berief ihn die Kaiserfamilie 1850 zum obersten Leibwächter des Kaisers. Er übernahm diese Aufgabe nur ungern und unterrichtete lediglich die äußere Form als eine Art der Gymnastik, ohne auch nur im geringsten auf die Philosophie und die mentale Disziplin seiner Kunst einzugehen. Sein tieferes Wissen gab er nur an seine Söhne weiter, obgleich er wusste, dass es ihn das Leben gekostet hätte, wenn der Kaiser davon erfahren würde.

      Wu Yu-hsiang (1812-1880) war ein Schüler Yangs. Er schuf später seinen eigenen Stil, den Wu-Stil.

      Sun Lutang (1861-1933), kreierte den Sun-Stil.

      Yang Chengfu (1883-1936), war die bekannteste Person im modernen Tai Chi Chuan. Er lehrte seine Form in langsamer, sanfter Ausführung. Er stellte die Gesundheitsaspekte an die erste Stelle. Ihm ist es zu verdanken, dass Tai Chi heute eine solch große Popularität erreicht hat.

      Meister des Tai Chi wurden stets hoch geachtet, da sie als weise galten. Viele von ihnen waren Gelehrte, die


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