Moderationstraining. Eckart D. StratenschulteЧитать онлайн книгу.
erfahren Sie Erstaunliches, zum Beispiel dass es in Wirklichkeit darum geht, den einflussreichen Abgeordneten zu hofieren, um das Standing der Stiftung zu verbessern.
Dies kann man den Veranstalter durchaus fragen, allerdings kann man sich nicht darauf verlassen, in jedem Fall eine ehrliche und umfassende Antwort zu bekommen. Kehren wir zu dem Beispiel der Katholischen Kirche zurück, die eine Veranstaltung über Abtreibung organisiert. Man muss kein Detektiv sein, um sich klar zu machen, dass das inoffizielle Ziel der Veranstaltung ist, eine Abtreibung als Möglichkeit auszuschalten und alternative Optionen für Frauen oder Paare, die sich mit einem Kind überfordert fühlen, herauszustellen. Das ist aber nicht in jedem Fall so klar wie in diesem Beispiel. Dann muss man den Veranstalter genauer anschauen, im Allgemeinen hilft dabei wiederum das Internet. Wie hat sich der Veranstalter bisher zu der Diskussionsfrage positioniert? Wenn es hier eine klare Stellungnahme gibt (zum Beispiel für oder gegen das transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP), kann man davon ausgehen, dass der Veranstalter möchte, dass diese Position sich schlussendlich aus der Diskussion herausmendelt.
In der Regel moderiert man ja Diskussionen mit mehr als einem Gesprächspartner. Bei der Ermittlung der inoffiziellen Ziele hilft auch die Analyse des Podiums. Der Veranstalter wird zur Vertretung seiner Position niemand benennen, der schwach auftritt. Im Umkehrschluss heißt das: Die starken Diskussionsteilnehmer sollen die Erreichung des inoffiziellen Ziels bewerkstelligen. „Stark“ können sie in Bezug auf die Rhetorik, aber auch im Hinblick auf ihre gesellschaftliche oder politische Stellung sein. Umgekehrt kann es allerdings auch darum gehen, einen relativ schwachen Vertreter, der bespielsweise noch recht unbekannt zu einer Wahl antritt, dadurch aufzuwerten, dass er mit Persönlichkeiten diskutiert, die mehr Ansehen als er genießen. Man nennt so etwas „positiven Imagetransfer“. Die Zusammensetzung eines Podiums folgt also einem Plan der Veranstalter. Das ist auch durchaus vernünftig, schließlich will man mit der Debatte auch ein „Diskussionsstück“ aufführen, das einer vorgeplanten Dramaturgie folgt. Dass dann in der konkreten Besetzung auch noch Zufälle hinzutreten, weil einer der Angefragten keine Zeit hat oder kurzfristig ausfällt und ersetzt werden muss, geschieht natürlich immer wieder. Allerdings werden auch die Ersatzkandidaten derselben politischen Logik folgen. Wenn man also ein Podium mit einem CDU-Bundestagsabgeordneten besetzen möchte, der allerdings dann nicht teilnehmen kann, wird man keinen Vertreter der Links-Partei stattdessen einladen, sondern eben ein anderes Bundestagsmitglied, das der CDU angehört.
Die offiziellen und die inoffiziellen Ziele stehen nicht notwendigerweise im Widerspruch zueinander. Sollte das informelle Ziel sein, einen Veranstaltungsort zu popularisieren oder – beispielsweise bei Diskussionen, die die ausländischen Botschaften organisieren – eine Sprecherin oder einen Sprecher aus einem bestimmten Land bekannt zu machen, steht dies nicht unbedingt im Konflikt damit, ein Thema kritisch von allen Seiten zu beleuchten. Der Moderator hat es hier recht einfach. Er kann darauf achten, dass die offiziellen Ziele erreicht werden – und die inoffiziellen erledigen sich von selbst mit. Das ist auch bei Veranstaltungen der Bundeszentrale oder der Landeszentralen für politische Bildung der Fall, deren Aufgabe es ist, zur Meinungsbildung beizutragen und die nicht eine bestimmte Position präferieren. Auch das ist allerdings nicht in allen Fällen so, beispielsweise bei Veranstaltungen, die sich gegen rechtsradikale Strömungen und Parteien richten und bei denen es verständlicherweise nicht darum geht abzuwägen, was gut und was schlecht sei am Neonazitum.
Es gibt also offizielle und inoffizielle Ziele – und die inoffiziellen sind häufig die Triebfeder für die gesamte Veranstaltung. Das ist dann von Bedeutung, wenn die beiden Ziele in Widerspruch zueinander geraten. Hier müssen die Moderatoren sich positionieren. Gibt man jetzt der kritischen Beleuchtung des Themas Vorrang oder der Selbstdarstellung des Abgeordneten XY? So ganz grundsätzlich betrachtet ist die Antwort natürlich klar: Es geht um die Sache und damit um die Verfolgung der offiziellen Ziele. So können Sie als Moderator auftreten – in der Regel allerdings nur einmal. Der Veranstalter und andere, die das beobachten, werden Sie nicht mehr verpflichten. Keiner holt sich einen Moderator ins Haus, der die tatsächlichen Ziele, und das sind in der Regel die inoffiziellen, nicht im Auge hat oder gar konterkariert. Keine Stiftung beschäftigt einen Moderator, der „ihren“ Abgeordneten „in die Pfanne haut“.
Eine Checkliste zur Ermittlung des Veranstaltungsziels finden Sie auf Seite 21.
Auf der anderen Seite möchte man sich als Moderator auch bei einem Veranstalter nicht anbiedern oder gar prostituieren. Abgesehen davon, dass dies für das eigene Ego nicht gut ist, ist das auch geschäftsschädigend. Harmlose und Stichwortgeber sind als Moderatoren nicht gefragt, denn indem sie den Veranstaltern nach dem Mund reden, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit beim Auditorium – und damit wird der tatsächliche Veranstaltungszweck auch nicht erreicht.
Wenn Sie die offiziellen oder inoffiziellen Ziele persönlich strikt ablehnen, sollten Sie die Finger von der Veranstaltung lassen. Wenn Sie aber damit leben können, sollten Sie sich vorher überlegen, wie beide Ziele erreichbar sind. Da diese Ziele oftmals konfligieren – die kritische Debatte versus das gute Aussehen des Abgeordneten XY –, müssen sie eine Kompromisslinie entwickeln. In unserem Beispiel von der Diskussion mit dem Abgeordneten könnte dies beispielsweise sein, dass sie nach einer offenen und kritischen Diskussion des Gegenstandes dem Abgeordneten noch einmal das Wort zu Schlussbemerkungen geben:
Live klingt das so:
Hier sind viele Kritikpunkte an dem Vorhaben geäußert worden. Herr Abgeordneter XY, Sie tragen ja politische Verantwortung, wie können Sie im politischen Prozess diese Punkte aufnehmen.
Damit hat man Herrn XY herausgehoben (er ist derjenige, der politische Verantwortung trägt), das tut ihm schon mal gut, und man gibt ihm Gelegenheit, seine Position noch einmal – und schlussendlich – darzustellen.
Manchmal gibt es auf den Podien auch ein Schwergewicht, dem man von vornherein mehr Raum gewähren muss. Wenn man ein Gespräch mit einer sehr bekannten oder im jeweiligen Kontext besonders wichtigen Persönlichkeit moderiert und zwei oder drei weitere Gäste mit auf dem Podium sitzen, wird jeder akzeptieren, dass die anderen zusammengenommen genauso viel Redezeit haben wie diese Persönlichkeit alleine. Das dürfte auch die Erwartungen des Publikums treffen, das vermutlich vor allem gekommen ist, diese Persönlichkeit zu hören und zu erleben. Der Moderator wird in diesem Fall nach dem Motto des Buches „Farm der Tiere“ verfahren müssen: Alle Podiumsteilnehmer sind gleich, aber einer ist gleicher. Das Leben ist auch hier ein Kompromiss. Wer nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen, sollte sich mit Moderationen nicht beschäftigen.
Checkliste zur Ermittlung des Veranstaltungsziels
(mit einem konstruierten Beispiel)
Die Fragen | Die beispielhaften Antworten |
Wer ist der Veranstalter? | Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit |
Welche politische oder weltanschauliche Richtung vertritt der Veranstalter? | liberal |
Steht der Veranstalter einer politischen Partei oder gesellschaftlichen Gruppe (Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber etc.) nahe? | Ja, der FDP |
Wie ist der Veranstalter strukturiert? Wer finanziert ihn? Wer sitzt im Vorstand, Präsidium, Beirat oder ähnlichen Gremien? | Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, die Gremien sind mit FDP-Politikern besetzt |
Was ist das Thema der Veranstaltung? | „Das Transatlantische Handelsabkommen TTIP – letzte Chance für Europa“ |