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Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms. Melissa C. FeurerЧитать онлайн книгу.

Die Fischerkinder. Im Auge des Sturms - Melissa C. Feurer


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trockenem Gras, Erde und Moos roch. Nicht nach dem finsteren Gefängnis, in dem sie sich befanden, sondern nach jemandem, der genau wie Chas und Mira die Nächte unter freiem Himmel verbracht hatte.

      „Meine Güte, Mira, du bist es wirklich!“, sprudelte es aus Biene heraus, während sie Mira immer noch festhielt. „Es ist so gut, dich zu sehen … ich meine, nicht hier! Das ist gar nicht gut. Aber … du weißt schon.“

      Beinahe musste Mira trotz der schrecklichen Umstände lachen. Urs und Biene waren hier – jetzt musste einfach alles gut werden! „Was macht ihr denn hier?“, platzte sie heraus. „Wo sind die anderen Fischerkinder? Und warum habt ihr Leonardsburg verlassen? Ist es sicher für euch hier?“

      „Offensichtlich nicht.“ Ein Glucksen mischte sich in Urs’ Stimme. „Immerhin haben wir es genau wie du geschafft, eingefangen zu werden, ehe wir auch nur weiter als ein paar Kilometer gekommen sind.“

      Mira bemerkte, dass er nur einen Bruchteil ihrer Frage beantwortet hatte, aber für den Moment gab es Wichtigeres. „Chas.“ Die Tränen brannten in ihrer Kehle. „Ich muss zurück zu ihm.“

      „Was ist passiert?“ Bienes zarte Hand rieb ihre Schulter, doch ihre Stimme bebte.

      „Er ist …“ Mira drohte an den Worten zu ersticken. „Die Wunde hat sich entzündet. Er ist wie im Wahn, er … Urs, ich glaube, er stirbt!“ Ein raues Schluchzen bahnte sich den Weg über ihre Lippen, und hätten nicht nach wie vor zwei Paar so unterschiedlicher Hände sie gehalten, wäre Mira gänzlich zusammengebrochen. Ihr ganzer Körper zitterte vor Erschöpfung und Angst.

      Urs schwieg lange, ehe er antwortete. Mira dachte bereits, seine Worte über ihr eigenes Schluchzen hinweg nicht gehört zu haben. „Dann jetzt oder nie“, sagte er jedoch schließlich. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

      „W… was meinst du?“

      „Komm.“ Biene zog Mira von der Tür weg, bis sie die jenseitige Wand im Rücken spürte. „Bleib einfach da sitzen.“

      „Aber … ich muss zu Chas.“

      „Schsch“, machte Biene. „Wir haben längst einen Plan. Dass wir zu dritt sind, macht es vielleicht ein wenig schwieriger, aber …“

      „Still.“ Urs richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein bärenhafter Umriss verdeckte fast gänzlich das Licht, das durch die Ritzen der Tür fiel. „Hilfe“, polterte er dann, und alles schien bei diesem Ausruf zu vibrieren. Selbst Mira, die im Grunde wusste, dass sein Hilferuf nur Schauspiel sein konnte, schnürte die Panik in Urs’ Stimme die Kehle zu.

      „Wir brauchen Hilfe! Sie ist ohnmächtig geworden!“

      Auch die desinteressierte Wachfrau musste ihm jedes Wort abnehmen, denn es dauerte nur Sekunden, bis die Tür aufgeschlossen und geöffnet wurde. Im augenblicklich hereinflutenden Licht sah Mira, dass Biene am jenseitigen Ende des kleinen Zimmers zusammengesackt war und bäuchlings auf dem Fußboden lag. Urs kauerte mittlerweile neben ihr.

      „Hilfe“, wimmerte er, und Mira lief ein eisiger Schauer über den Rücken, obgleich sie wusste, dass sein Leid nur gespielt war.

      Die Wachfrau schloss die Tür hinter sich, aber sie näherte sich Biene tatsächlich und ging neben ihr in die Hocke. „Aus dem Weg“, herrschte sie Urs an, unternahm aber nichts, um diesen Befehl auch durchzusetzen. Urs blieb wie angewurzelt an Bienes Seite. Mira konnte sich nicht vorstellen, dass er sich auch nur im Geringsten anders verhalten würde, wenn all das hier echt gewesen wäre.

      „Sie ist einfach ohnmächtig geworden. Bitte! Bitte tun sie etwas!“ Er umklammerte das Handgelenk der Wachfrau, ließ sich jedoch allzu leicht abschütteln.

      Mira sah zu, wie die Wachfrau sich über Biene beugte und ihren Puls suchte. Urs hätte die zierliche Frau leicht überwältigen können. Aber stattdessen sah Mira im Zwielicht, wie er seine Hand langsam und unauffällig in Richtung des kleinen, tragbaren Scanners schob, der am Gürtel der Wachfrau baumelte. Sie dachte, er wolle ihn an sich nehmen, doch er streckte nur den Arm aus. Das blaue Licht des Scanners fiel auf seine sonnengebräunte Haut, eine kleine zackige Narbe am Handgelenk und schließlich für den Bruchteil einer Sekunde auf das weiße Armband. Kaum hörbar ertönte ein Klicken.

      „Sie atmet“, stellte die Wachfrau fest, die nichts von alledem bemerkt hatte. Sie schien es nicht erwarten zu können, von Biene wegzukommen. Hastig richtete sie sich auf. „Ich bringe euch Wasser. Sie kommt schon wieder zu sich.“

      Urs beugte sich wortlos über Biene, Haltung und Miene immer noch die eines Menschen, der Todesängste aussteht.

      Die Wachfrau brachte ihm Wasser, verschwand dann aber hastig und ließ Urs, Mira und die immer noch regungslos auf dem Fußboden liegende Biene allein zurück.

       Kapitel 3

       Die Flucht

      Mira spürte, wie Enttäuschung sich in ihr breitmachte, während die Tür ins Schloss fiel und das Licht aus dem Vorraum bis auf einen schmalen Streifen auf dem Fußboden reduzierte. Im Dunkel ihrer Zelle sah sie, wie Biene sich aufrichtete.

      „Das war unsere Chance!“ Mira konnte den vorwurfsvollen Unterton nicht aus ihrer Stimme verbannen.

      Urs schüttelte sachte den Kopf. „Es wäre nicht gut gegangen.“

      Das kurze Gefühl der Hoffnung, das in ihr aufgeflackert war, machte erneut der unkontrollierten Angst Platz, die eben noch in ihrem Inneren gewütet hatte. „Aber … Chas! Ich muss zu ihm. Er braucht Hilfe!“

      „Mira …“ Biene berührte ihre Hand. „Du verstehst nicht …“

      „Nein, ihr versteht nicht!“ Mira zog ihre Hand weg. Gar nichts verstanden sie. Wenn niemand Chas Medikamente brachte, niemand sich um ihn kümmerte, dann würde er sterben. Ohne dass jemand auch nur ahnte, dass er sich auf dem Autofriedhof befand. Ohne dass es jemanden interessierte. Und ohne dass Mira ihm je gesagt hatte …

      „Es war nicht der richtige Zeitpunkt“, sagte Urs sanft, aber bestimmt. „Der richtige Moment kommt noch. Du wirst sehen.“

      Mira konnte die Nähe und leeren Worte der beiden nicht länger ertragen. Sie stand auf und schleppte ihren sich wund anfühlenden Körper hinüber zur Tür. Es tat gut, sich dort auf den Boden sinken zu lassen und die Stirn gegen den kühlen Stein zu drücken. Die Kälte stand im scharfen Kontrast zur Hitze der Tränen, die über ihre Wangen zu rinnen begannen.

      „Mira …“, setze Biene abermals an, doch Urs unterbrach sie: „Da! Hört zu!“

      Nicht einmal Mira, die sich direkt neben der Tür befand, hatte die Schritte und Stimmen im Vorraum gehört, ehe Urs sie darauf hingewiesen hatte.

      „… in dringender Angelegenheit.“ Das war nicht die Stimme der Wachfrau, sondern die eines Mannes. „Ich fürchte, diese Sache duldet keinen Verzug. So lange soll ich hier übernehmen.“

      „Und das fällt denen jetzt ein?“, fauchte die Wachfrau. Das Rascheln von Unterlagen und das Scharren von Stuhlbeinen über den Boden war zu vernehmen. „Vorhin war ich noch dort. Und der nächste Weg ist es auch nicht gerade.“

      „Wenn es Ihnen lieber ist, gehe ich zurück und melde, dass Ihnen nicht danach ist.“ Die Stimme des Mannes hatte einen unverkennbar höhnischen Klang angenommen. „In Valda überlegen wir nicht zweimal, wenn unser Vorgesetzter uns etwas befiehlt. Aber das mag hier anders sein.“

      „Natürlich gehe ich.“ Die Stiefel der Frau polterten Richtung Eingangstür. „Es gibt hier nicht mehr viel zu tun. Die Akten sind meine Aufgabe.“

      „Dann warte ich einfach und halte die Stellung.“

      Die Tür wurde geöffnet und fiel wieder ins Schloss. Mira hob den Kopf und lauschte angestrengt. Würde der fremde Wachmann die Zellentür öffnen und einen Blick hineinwerfen? Wäre das der richtige Moment, würde Urs dann etwas tun?


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