Der eingemauerte Mann. Heidemarie PläschkeЧитать онлайн книгу.
getan zu haben. Mit dem Brief hatte ich ein geheimes Band geknüpft, und kaum eine Frau konnte sich einem entziehen. Jetzt trafen mich zwischen allen Rivalen hindurch schöne Blicke; wir waren Vertraute, noch ohne ein Wort gesprochen zu haben; und schon suchte sie mein Gespräch, und mühelos bahnte sich etwas an.
Ich legte damals mehr Wert auf eine geniale Handschrift als auf den Inhalt und weiß daher nicht mehr so recht, was in diesen Briefen stand. In jedem Fall übertrafen sie die lächerlichen Botschaften meiner Rivalen. Ich schilderte Begegnungen, wie ich sie mir gewünscht hätte, Begegnungen an Waldesrändern mit Abendsonnenbeleuchtung („die Rehe ganz rot vor Romantik“ – an diese Wendung und ihren Erfolg erinnere ich mich gerade mit Schrecken), Begegnungen in fernen Eisenbahnen, auf trägen Schiffen, in London oder Paris.
Natürlich erreichte ich nicht immer mein Ziel, aber meist entwickelten sich aus meinen brieflichen Vorstößen spannende Liebesgeschichten. Warum wurden aus diesen Geschichten kein großer Roman? Liegt es an der Vergänglichkeit der Liebe? An das zwangsläufige schnelle Ende der Liebesflattermägen weigere ich mich zu glauben. Es kann nicht das Wesen der Liebe sein, dass sie so rasch verblüht! Ihr pflichtet mir doch bei?
Nein, es lag wohl daran, dass die Wirklichkeit meinen Briefen nicht standhielt. Ich beschrieb den Geruch von Balkons in der Septembersonne, den Geschmack reifer Tomaten und dazwischen unbeschwert das Liebespaar. In Wirklichkeit saßen wir in miesen Kneipen bis zur Sperrstunde herum und dachten an nichts anderes als die Unerfüllbarkeit unserer Wünsche. Die Qualität meiner Briefe war ihr Erfolg, aber auch ihr Manko.
Lange aber sah ich immer nur den Erfolg und kam mir vor wie ein Zauberkünstler.
Könnt Ihr verstehen, meine Teure, dass mir der Erfolg meiner Briefe allmählich auf die Nerven ging? Solange ich in den Zwanzigern war, wurden sie offenbar noch als romantische Grußbotschaften eines poetisch veranlagten Helden entgegengenommen, als hervorragendes, aber noch irgendwie normales, Liebeszeichen. Als ich aber die Dreißiger erklommen hatte und mich in einem Alter befand, wo kein Mensch mehr für irgend etwas Zeit hat und am wenigsten für Briefe, wo die Handschriften der Erfolgreichen bereits zu verkümmern beginnen, wo Frauen nicht mehr viel von den Männern erwarten als die Bestätigung dessen, dass sie gefühllose geile Böcke sind, als ich in diesem Alter war und immer noch meine Briefe schrieb, kannte das Entzücken der Frauen kein Halten mehr. Ich hatte das Gefühl, durch meine Briefe zum wandelnden Anachronismus zu werden. Wo kein Mensch mehr schrieb, wo alles nur noch telefonierte, schrieb ich mit leichter Hand seitenlange Briefe. Wie rührend. Wie liebenswert. Ich glaube es war ganz egal, was ich schrieb, Hauptsache es schrieb einer, das war schon toll genug. Diese wunderbaren Briefe! Glaubt mir, ich konnte das Lob nicht mehr hören. Bloß, weil kein Schwein mehr vernünftige Briefe schrieb, hatte ich den großen Erfolg. Ich deckte mit meinen Briefen das poetische Defizit frustrierter Frauen. So war es wohl. Ich will aber nicht wegen meiner Briefe geliebt werden, sondern wegen mir. Bestehe ich nicht aus Fleisch und Blut? Ich hatte das Gefühl, meine Teuerste, dass einigen Frauen meine Briefe wichtiger waren als meine Anwesenheit. Nahm man mich nur in Kauf, um sich den Briefeschreiber zu bewahren? Dieser völlig unüberprüfbare Verdacht ließ mich nicht los. Ich begann auf meine eigenen Briefe eifersüchtig zu werden.
Nachtrag nach unserem Telefongespräch:
Ich möchte der geläufigen Unterstellung trotzen, dass Poeten immer nur ins Papier hineinlieben – alles nur sublimierte Sehnsucht am Schreibtisch und nicht die Hitze der wirklichen Sehnsucht in den Adern. Der hier schreibende rasende Verehrer gehört nicht zur Gattung der Schreibtischtäter. Natürlich drosselt ein so schönes Kapitel wie gestillte Sehnsucht und befriedigtes Verlangen den erotischen Schub des Literaten. –
Erfüllung aber sollte kein Grund sein, sich nur noch den zweifelhaften Wonnen der unrealisierbaren Liebe hinzugeben. Die Liebe und die Liebschaften müssen nur frisch, überraschend und kompliziert genug sein, dann geben sie den Stoff für das Schreiben – und ich hoffe der gute alte Körper kommt auch nicht zu kurz dabei.
Es umschlingt Euch herzlich
Euer treuer Verehrer
P.S.:
Telefonnummer, echter Name des Verfassers und Arbeitgeber klebten auf einem separaten gelben Zettel unten rechts, dessen Inhalt ich aber aus Persönlichkeitsrechten hier nicht näher erwähnen möchte.
Mara ist hingerissen vor Entzücken. Während des Lesens amüsieren sie einige Stellen, andere lassen sie vor Glück fast zerspringen.
Voll konzentriert nimmt Hanno jeden Gesichtsausdruck und jede Betonung seiner Teuersten war.
Nach dem Lesen sagt Mara zu Hanno: „Dankeschön“, steht vom Tisch auf, geht zu ihm, der auf dem Sofa sitzt, und gibt ihm spontan einen dicken Kuss auf den Mund. Hanno sagt noch, dass er Mara dies alles doch im Treppenhaus nicht hätte sagen können.
„Stimmt“, pflichtet Mara ihm bei, „und den Brief kann ich immer wieder lesen.“
Maras jüngerer Sohn Julian (19 J.), der noch im Haus wohnt, kommt während des Lesens ins Wohnzimmer; und Mara macht beide miteinander bekannt. Dann zieht Julian sich in sein Zimmer zurück.
Nun taucht er wieder auf und Mara sagt, dass sie in die Stadt wollen.
Julian folgt ihnen bis vor die Tür.
An der Gartenpforte weist Mara noch auf Schmutz am Pfosten hin und Hanno sagt zu Julian: „Du kannst alles gemacht haben und noch mehr, das sieht keiner, aber das kleine Wenige, was du vergessen hast, das wird bemerkt.“
Wie selbstverständlich gehen sie Hand in Hand zu Hannos Auto, und Julian sieht ihnen scheinbar zufrieden nach.
Hanno bemerkt, dass er zwar nie lügen würde, aber jetzt musste er seiner Frau nicht so ganz die Wahrheit sagen.
Hanno will in Ruhe mit Mara reden.
Er parkt sein Auto, und sie gehen Hand in Hand durch die Innenstadt, aber schon komisch, dass so viele Lokale noch geschlossen haben. Dann entdecken sie eines mit Biergarten und Hanno küsst erfreut Mara auf den Mund.
Das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber nagt schon an ihm und er mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Bekannte ihn in Begleitung einer attraktiven Frau sehen würden und er sagt: „Ja gut, das wäre, was es will, also dich kennenzulernen und das Andere eben, dass ich Gefahr laufen muss, gesehen zu werden.“
Mara will wissen, wie lange Hanno schon verheiratet ist und er sagt: „Seit 1995.“
Das kann Mara kaum glauben und meint erstaunt: „Ich dachte, dass du schon zwanzig Jahre verheiratet bist.“ Er: „So alt bin ich doch noch gar nicht.“ Mara bekommt einen Schreck wegen des Alters und fragt nach: „Wie alt warst du denn, als Ihr geheiratet habt?“
„Siebenundzwanzig, also bin ich dreiunddreißig und meine Tochter ist fast vier. Ich weiß, dass du älter bist, aber das ist mir völlig egal. Ich liebe dich. Da ist doch das Alter egal, und wenn du achtzig wärest. Na ja, vielleicht doch etwas viel, oder sechzig. Ich liebe dich. Dabei hält er Maras Hände und streichelt sie liebevoll. So einen Mann hat sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt, so was von lieb. Mara kann sein Alter einfach nicht glauben und er zeigt ihr seinen Personalausweis. „Nein, das darf doch nicht wahr sein; ich habe überhaupt keine Chance. Ich bin schon fünfzig und du dreiunddreißig, verheiratet mit Kind. Das ist doch völlig aussichtslos. Ich kann und will nicht mehr kämpfen, das habe ich mein ganzen Leben lang getan.“
„Du brauchst auch nicht zu kämpfen und du hast sogar große Chancen. Wegen des Alters treffen wir jetzt eine Vereinbarung, sage mir bitte, wenn ich zu jung für dich bin und ich sage dir, wenn du zu alt für mich bist. Ich habe mit deinem Alter keine Probleme und du?“
„Nun ja, eigentlich habe ich mit deinem Alter auch keine Probleme.“
„Schließe jetzt deine Augen.“
Hanno streichelt ihr Gesicht und fragt danach. „Was hast du