Wer die Lüge kennt. Beate VeraЧитать онлайн книгу.
und er bereute nichts.
Lea schlug das Herz bis zum Hals. Mit aller Kraft zwang sie sich, Ruhe zu bewahren und möglichst distanziert zu bleiben. »Nein danke, Connor. Ich werde für deine Delegation übersetzen, aber private Dinner sind nicht in meinem Interesse.« Sie schüttelte den Kopf und sah ihn traurig an. »Und eine zweite Chance hattest du. Du weißt genau, wie du sie genutzt hast. Du wirst keine dritte erhalten. Bitte geh jetzt. Sofort.«
Connor ballte seine Fäuste. Seine Lippen wurden schmal, und seine Augen verengten sich. Dann drehte er sich wortlos um und ging hinaus.
Nachdem Lea die Haustür hinter ihm geschlossen hatte, drehte sie den Schlüssel zweimal im Schloss herum. Danach ging sie direkt ins Obergeschoss und ließ Wasser in die Badewanne ein. Währenddessen öffnete sie eine Flasche Glendronach Cask Strength und füllte ein Glas drei Finger breit. Ihre Hände zitterten. Alkohol löste keine Probleme, dessen war sie sich bewusst, aber als der süffige Speyside Whisky seinen kräftigen Geschmack von Karamell und Sherry entfaltete und warm und sanft ihre Kehle hinunterrann, lockerten sich ihre Schultern merklich. Und als sie sich zehn Minuten später in das heiße Wasser gleiten ließ, beruhigten sich ihre Nerven.
Es war ein Schock gewesen, Connor vor ihrer Tür stehen zu sehen. Auf diesen Überraschungsbesuch war sie überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Wem willst du etwas vormachen?, meldete sich ihre innere Stimme. Du hast dich übernommen. Du hast gedacht, du hättest längst mit ihm abgeschlossen. Hast du aber nicht.
Die Chemie zwischen Lea und Connor war vor rund zwanzig Jahren hochexplosiv gewesen. Connor hatte eine Anziehungskraft auf sie ausgeübt, die mit Worten nicht zu fassen war, und nun wurde sie genauso heftig von ihm abgestoßen. Dabei war sie sich so sicher gewesen, alles Vergangene ausblenden zu können, wenn sie ihm gegenübertrat. Doch sie hatte sich gewaltig geirrt. Die Vergangenheit war allein durch seine physische Präsenz sofort wieder lebendig geworden. All ihre damaligen Gefühlen, ihr Entsetzen, ihre Angst und nicht zuletzt ihre Wut, waren wieder hochgekommen.
Lea ließ sich tiefer in die Wanne gleiten, sodass das Wasser ihre Ohren bedeckte und sie ihr Herz schlagen hörte, während sie sich an ihr erstes Date erinnerte. Connors und Leas Freunde hatten die Verabredung arrangiert. Sie sollten sich auf der Geburtstagsparty der Freundin einer Freundin treffen. Lea hatte mit ihren Mädels reichlich vorgeglüht, sich Mut angetrunken. So lief das damals. Ein bisschen Rummachen und dann ab nach Hause, alles ganz easy, so hatte ihr Plan ausgesehen. Doch als sie auf die kiesbedeckte Auffahrt vor dem großen Haus eingebogen war, in dem die Party stattfinden sollte, hatte sich eine Wagentür geöffnet, und Connor war ausgestiegen. Lea war auf der Stelle wieder nüchtern gewesen, so heftig war das Adrenalin durch ihren Körper geschossen. Er war auf sie zugekommen, hatte ihr seine Hand entgegengestreckt und ihr zugezwinkert. Aus dem Haus hatten die Tears for Fears gedröhnt, und Lea hatte Connors Hand genommen und gewusst, dass es um sie geschehen war.
Jeanny hatte sich im Laufe des Tages etwas Geld zusammengeschnorrt und war zum Duschen ins Schwimmbad in der Leonorenstraße gegangen. Die kurze Strecke zum S-Bahnhof Lankwitz war sie wie immer schwarzgefahren. Die Mitarbeiterinnen am Eingang des sogenannten Leonorenbads kannten sie und drückten ein Auge zu. Jetzt war sie frisch geduscht und hatte die neuen Klamotten an, die sie zwei Tage zuvor bei Primark in der Schloßstraße geklaut hatte. Heute würde sie nicht in die Innenstadt gehen, sie würde ihr Glück am Stadtrand versuchen. Die Typen hier waren bei Weitem nicht so krass drauf wie in Mitte. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt, und niemand sah ihr an, dass sie auf der Straße lebte. Lange ginge das nicht so weiter, dessen war sich Jeanny bewusst, aber sie hatte aufgehört, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Die Zukunft war bedeutungslos geworden an dem Tag, als ihr Vater diese Dreckskerle mitgebracht hatte und sie durch das Küchenfenster abgehauen war, während ihr Alter einen Preis für sie verhandelt hatte.
Jeanny setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf, als sie sich am frühen Abend des Tages, an dem sie ihre Freundin tot aufgefunden hatte, neben den schlaksigen jungen Mann an die Bar des »Stellwerk« am Kranoldplatz in Lichterfelde Ost stellte. Mit großer Genugtuung sowie einer Spur Erleichterung stellte sie fest, dass sie es immer noch draufhatte.
Der Typ neben ihr lächelte sie etwas unsicher an und fragte sie, ob er ihr einen Drink ausgeben dürfe.
Sie nickte und stellte sich vor. »Ich bin Janine, hi!«
»Max. Ich bin neu in Berlin, studiere an der TU. Bist du öfter hier?«
Jeanny schüttelte den Kopf und sah ihn gekonnt schüchtern an. »Nein, ich bin das erste Mal hier. Ich habe mich ganz furchtbar mit meinem Freund gestritten. Ich denke, es ist aus. Ich wollte nur weg. Ich dachte, ich geh was trinken, um runterzukommen, und dann ruf ich meine beste Freundin an. Doch als ich hier ankam, fiel mir ein, dass sie übers Wochenende bei ihren Eltern in Schwerin ist. Jetzt bin ich ziemlich aufgeschmissen und weiß gar nicht, wohin.« Sie legte ihre Hand auf seine, er errötete leicht. Gott, diese Armleuchter waren doch alle gleich blöde! Die Masche funktionierte jedes gottverdammte Mal. »Aber sorry, das interessiert dich alles gar nicht. Entschuldige, ich bin gerade nur ein bisschen durch den Wind.«
»Nee, lass mal, ist schon okay. Kann ich verstehen. Willst du noch einen?« Er zeigte auf ihr Glas.
Schön trinken musste sie sich den Knaben nicht. Er sah ganz gut aus, fand sie, ein bisschen spack vielleicht, aber sauber, und ordentliche Klamotten trug er auch. Doch einem geschenkten Gaul schaute man sowieso nicht ins Maul.
»Ja, gerne. Aber ich hab lange nichts mehr getrunken, also muss ich mich ein bisschen vorsehen.«
»Warst du krank?«
»Nein … also … Ich hatte da so eine Frauensache, und ich musste operiert werden. Darum ging es auch in dem Streit mit meinem Freund.« Er schüttelte mitfühlend den Kopf, und sie lächelte ihn wieder traurig an. »Ich tu’s schon wieder, dir meinen ganzen Kram erzählen, sorry. Es ist nur … Du siehst echt nett aus.« Dabei schenkte sie ihm einen gewinnenden Augenaufschlag, den der beste Walt-Disney-Zeichner nicht besser hinbekommen hätte.
Max legte seine Hand auf ihren Arm und antwortete genau das, was Jeanny hören wollte. »Das ist total okay. Wenn du möchtest … also, wenn du nicht weißt, wo du heute Nacht schlafen sollst, kannst du gerne mit zu mir kommen. Ich wohne nicht weit von hier. Und ich hab ein megabequemes Sofa, auf dem ich dann schlafen kann. Nicht, dass du das missverstehst …«
Sie unterbrach ihn. »Tu ich nicht. Das ist nett von dir, Max. Lass uns doch einfach noch ein bisschen hierbleiben und quatschen, und dann überleg ich’s mir. Ich könnte uns ja was kochen. Ich glaub, ich kann echt nirgendwo anders hin.«
Max, ihr neuer Beschützer, strahlte sie an.
Männer sind so berechenbar, dachte Jeanny voller Verachtung, als sie ihren nächsten Cuba Libre zur Hälfte leerte.
6
Auch um sich zu sammeln, hatte Glander zuerst eine Runde mit Talisker gedreht, bevor er Merve bei Sevgi abgeholt hatte. Gemeinsam waren sie den Stolberger Ring entlang zu den Hartmanns geschlendert. Deren Haus sah man an, dass beide viel beschäftigt waren, obwohl sie nur in Teilzeit arbeiteten.
Schon zu Beginn ihrer Beziehung hatten sich Sabine und Thomas Hartmann gegen Kinder entschieden. Ihrer beider Einkommen reichte aus, um die Raten für das Haus abzuzahlen und die Lebenshaltungskosten zu decken, und am Monatsende blieb sogar noch etwas für das Sparkonto übrig. Ihre Ansprüche waren nicht besonders hoch, sie legten weder Wert auf Statussymbole, noch gingen sie teuren Hobbys nach. Den Großteil ihrer Freizeit betätigten sie sich ohnehin ehrenamtlich. Auch deshalb hatten sie nur wenige Freunde. Nicht viele Menschen ertrugen es, immerzu über traurige Schicksale reden zu müssen und sich die Kritik am Sozialstaat und an der Bequemlichkeit vieler Leute anzuhören. Sabine und Thomas Hartmann war das einerlei. Sie hatten dieselbe soziale Einstellung und denselben Groll gegen die Politik der letzten dreißig Jahre, die dazu geführt hatte, dass jeder nur noch auf seinen eigenen Vorteil bedacht war.
Sabine Hartmann hatte Merve und Glander eingelassen und war nun damit beschäftigt, den wild kläffenden und herumspringenden Bismut zu beruhigen. Talisker betrachtete