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Der Diskursmensch. Hannes MieЧитать онлайн книгу.

Der Diskursmensch - Hannes Mie


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Erklärungen auch zu mangelnder Verteidigung ehrbarer Aufklärung in der berufspflichtigen Praxis führt. Ein Umstand, der genau an dem Punkt Misstrauen auslöst, an dem Vertrauen als letzte Bastion gegen Verdruss und Radikalisierung wichtig wäre. Der Bürger ist immer auch Wähler und hat infolgedessen auf der einen Seite eigentlich die Pflicht, nicht nur seine eigene Meinungsbildung kritisch zu hinterfragen, sondern auch noch die veröffentlichten Quellen quasi grundsätzlich anzuzweifeln. Auf der anderen Seite, stehen diesem Wähler selten die Kapazitäten zur Verfügung, die ihm überhaupt eine solch intensive Auseinandersetzung gestatten. Kommt es also aufgrund dieser realistischen Umstände zu einer unrealistischen Politisierung der Sachlage, definiert sich diese politische Kultur als Bestandteil einer Praxis der Gegenaufklärung (!). Oder als Hypothese:

      ➢ Je mehr Politik – gegen die Aufklärung gerichtet – gemacht wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Politisierung der Sachlage seitens des Volkes unrealistisch verläuft.

      Soll das typisch sein oder werden? Für das Wahlverhalten in Zukunft, für die Qualität unserer Entscheidungen, für das Ansehen von Politikern, für die Bildung unserer Kinder, zum Wohle des Volkes? Wieso nicht? Aber Politik als verstecktes Versteckspiel erscheint nicht nur als übelriechende Fleischwerdung einer hierarchischen Überzeugung, sondern sollte in seiner tiefsitzenden Feindlichkeit vor dem Kulturmenschen zwar angeprangert aber eben auch erläutert werden.

      Max Weber definiert uns als Kulturmenschen, „begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen.“5

      Denn der Urnengang des Bürgers soll nur musterhaft sein, wenn dieses Tun mit seiner eigentlichen Überzeugung in Einklang gebracht werden kann. Sowohl von ihm selbst, als auch für die Einschätzung der politischen Lage im Allgemeinen. So macht typische Politik als institutionalisierte Gegenaufklärung meistens mehr kaputt, als es auch nur ein Politiker allein vollbringen könnte.

      Ästhetisch benannt ist auch das nur eine Perspektive der Irritation. Da es sich dabei aber oft genug um eine tödliche, um nicht zu sagen: vernichtende Irritation einer a priori verweltlichten Realität handelt, bin ich der Meinung, dass Aufklärung als „guter Wert und bestes Ziel“ die oberste Berechtigung verdient. Unberührt, aber angetastet.

      Wir aber leben nicht nur mit diesen Trümmern, sondern bauen auch darauf auf. Wir weben sie ein, integrieren sie, gewöhnen uns daran und geben sie als Selbstverständlichkeit an Generationen weiter; in der Hoffnung, dass der Konflikt darin über die Jahre erstickt wurde. Das Menschsein wird wieder suspendiert, die Aufgabe für gescheitert erklärt. Unser Verhalten gibt zu: Der Humanismus ist im Kleinen allgegenwärtig und im Großen von jeder Macht befreit.

       2.4 Ein voreiliges Resumée

      Ich sprach von Sachlichkeit, deren Bedeutung für eine Diskussion und darüber, dass gerade Politiker doch eigentlich die Pflicht haben, Argumente auf den Tisch zu legen. Doch wie wahrscheinlich ist denn das Szenario „Argumentieren im Bundestag“? Könnte es unterschiedliche Qualitäten der Rhetorik geben, und welche wäre demnach am ehesten zu erwarten? Welche Anreize und Möglichkeiten hat der Politiker heutzutage, echte Sachbezogenheit an den Tag zu legen, und sich dadurch in relativ erhöhtem Maße angreifbar zu machen? Und wie viel Sachlichkeit und sprachliche Präzision ist der Politiker, geschweige denn der „Normalbürger“ im Stande aufzubringen, wenn es darum geht, über öffentliche Themen und deren Abhängigkeiten zu diskutieren bzw. getroffene Entscheidungen nachzuvollziehen? Welche Bezüge und Stellenwerte verleihen wir der Überzeugungsarbeit? Wie macht man Sachlagen und Personen erträglich? Soll Politik einfach oder kompliziert sein und für wen?

      Viele Politiker zeigen sich geradezu virtuos darin, direkte und argumentativ stabile Fragen schlicht nicht zu beantworten. So etwas wie eine schleichend schlechte Angelegenheit, die sich in alle Abteilungen der Politik endemisch ausgebreitet zu haben scheint. Eine Grundsatzdebatte wird beharrlich verschwiegen und verdrängt. Das zeigt sich beispielhaft daran, dass viele Diskursteilnehmer, ob Bürger oder Spitzenpolitiker, bei sachbezogenen Kritiken und der impliziten Aufforderung, Beweislasten zu stemmen, ins „rhetorische Straucheln“ geraten und sich dann zumeist in konkret irrelevante Detailfragen, Nebensächlichkeiten und letztlich Subjektivitäten flüchten. Wenn dann auch gleich die offenbarten Fakten und Studien zum Thema in ihren schwachen Sinnigkeiten angezweifelt werden, dürfte schon der einfache Wille zur Verständigung noch vor dem zur Problemlösung erodiert sein. Alles, was schwer politisierbar ist, wird von Politikern gemieden. Wie (also) kommt eine Gesellschaft dazu, eine Politik zuzulassen, die scheinbar gar nicht die Werterealisationen ermöglichen kann, wie man sie sich eigentlich vorstellt? Nun dafür hat man in einer funktionierenden Demokratie einige Möglichkeiten, wie ich versucht habe und versuche zu zeigen. Aber wie können wir unseren Vertretern helfen – von schwarzen Schafen abgesehen – gegen wahltaktische Berufsinteressen, Pathos und Lobbyismus einen echten Fortschritt zu erzielen?

      Ich möchte mich so ausdrücken, dass die politische Diskussion – im Sinne der hier vertretenen Bedürftigkeit – seit viel zu langer Zeit zu schlecht läuft. Und wenn diese Einschätzung der akuten Bedeutungen nicht ganz falsch ist, dann lassen sich darüber vielleicht auch Entgleisungen und Entscheidungen derart erklären, dass es bisher – über die verkraftbaren Verfehlungen hinaus – versäumt wurde, die Atmosphäre in der Politik zu schaffen, die mehr den diskursiv engagierten Politiker hervorbringt und so ungewollten und unvereinbarten Sinnhaftigkeiten von vorneherein ihre geringe Erfolgsaussicht vor Augen führt.

      Das Diskursverhalten der Politiker wie auch das der Bürger lässt sich nicht nur in Abhängigkeit vermuten, sondern kann auch am prestigeträchtigen Status ihrer Absichten rütteln.

      Kurz: Aus dieser – hier dezidiert kulturwissenschaftlichen – Sicht heraus, die für die aufgeklärte Entwicklung nach weiteren Erklärungen sucht, gibt es mehr als einen Beteiligten an der politischen Lage, … nicht zuletzt ca. 61 Millionen Wähler bzw. Nicht-Wähler in Deutschland.

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