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Tauben am Fenster und andere Geschichten. Sigrid DobatЧитать онлайн книгу.

Tauben am Fenster und andere Geschichten - Sigrid Dobat


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      Am Bahnübergang steht der Pferdewagen. Frauen sitzen auf dem Leiterwagen, die seitlichen Bänke sind besetzt, nur hinten auf den Bodenbrettern ist noch Platz. Sie will mitfahren, es ist weit zum Tannenberg. Sie winkt, läuft auf den Wagen zu, ihren Rock rafft sie hoch, hält den Stoff zusammen mit der Kanne in der Hand, der Bauer soll sie mitnehmen. Sie sieht, wie er nach hinten blickt, ihren nackten Beinen entgegen. Sie erkennt diesen Blick nicht, sie sieht, wie er die Bremse des Leiterwagens langsam löst. Und sie läuft eilig dem Wagen entgegen.

      Der Deckel der Kanne scheppert leise, als sie den Stoff ihres Rockes wieder fallen lässt.

      Frauenhände helfen ihr hoch, ein kleiner Tritt hinten am Leiterwagen nimmt sie auf. Jetzt sitzt sie mit den anderen Frauen auf dem Wagen, die Pferde ziehen an, es ruckt. Ihre Beine schaukeln im Takt der Sandlöcher. Die Frauen kennen sich, sie kennen sich von den langen Warteschlangen vor den Läden, von den Spazierwegen mit den Kindern, sie schwatzen miteinander. Oben auf dem Berg wird es anders sein, die Kannen sind groß und der Winter lang.

      Doch sie fühlt diesen Moment, er ist Freude, ein Tag ohne Fürsorge, ein Sonnentag nur für sie allein und ein Tag der Erwartung auf Beeren, auf die Düfte des Tannenberges. Sie verliert sich in diesen Tag, sie beginnt zu singen. Einige Frauen singen zaghaft mit. Ihre Stimmen sind klein, aber sie singen. Am Straßenrand werden Menschen aufmerksam. Wer singt in dieser Zeit? Sie sehen staunend auf die Frauen, sie sehen sie winken vom Wagen herunter, lachen, und sie sehen die schönen schaukelnden Beine der jungen Frau.

      Am Berg ist es anders, es wird stiller auf dem Wagen, je weiter das Pferd den Wagen hinaufzieht. Schließlich verstummt das gemeinsame Lied. Das Lauern beginnt. Wer wird wohin gehen? Wo scheint die Sonne am längsten, wo werden die Beeren am süßesten sein?

      Sie kennt eine Stelle, sie liegt weiter oben am Berg. Es ist wichtig, dass die anderen ihren Weg nicht erkennen, sie sucht umher, will den Eindruck erwecken, nicht zu wissen, wo sie pflücken wird. Der Bauer auf dem Wagen wartet. Sie auch, sie wartet, bis die anderen Frauen sich zerstreut haben. Seinen Blick spürt sie im Rücken. Auch er soll nicht wissen, wohin sie geht. Dann hört sie die Peitsche des Bauern in der Luft schnalzen, hört das Pferd schnaufend antworten, dann knirschen die Räder des Leiterwagens auf dem sandigen Weg und sie glaubt das Fuhrwerk auf dem Weg zurück ins Dorf.

      Jetzt singt sie wieder, sie sucht ihren Weg. Allein. Die Räder des Wagens hört sie nicht mehr. Höher und enger wird der schmale Pfad, Dornen halten sie fest, sie löst sie sorgsam vom Stoff, will den Rock nicht zerreißen, weiter und höher geht sie. Hin zu den Himbeeren, die sie ganz oben in der Sonne weiß, an einer Stelle, die nur sie kennt. Sie wird bald dort sein.

      Es ist still am Berg, dort wo die Büsche dicht stehen. Weiter oben in der Sonne kommen die Insekten, vielfältiges, schnelles Surren, ein scharfer, beißender Ton. Sie fühlt die klebrigen Insektenbeine in ihrem Schweiß, streift sie von ihren Armen, aus ihrem Gesicht. Ihr Lied bleibt zurück in dem Gestrüpp von Büschen und Dornen.

      Sie fühlt staunend einen plötzlichen, kurzen Schmerz hinter sich, als würde er nicht zu ihr gehören. Als der Schmerz sie erreicht, spürt sie, wie der Beutel von ihrer Schulter gleitet. Das Splittern der Trinkflasche hört sie nicht mehr.

      Am nächsten Morgen erst fand man sie. Sie lag weit unterhalb am Berg, an einer Stelle, an der keine Himbeeren wachsen, versteckt unter Farn, unter Tannen.

      Der Bauer hatte am Abend zuvor in eine Richtung gewiesen. Es war die falsche. Man fand sie dort nicht, nur Glassplitter und eine leere Milchkanne fand man, bevor es dunkel wurde am Berg.

      Jetzt knirschen die Räder des Leiterwagens auf dem Sandweg zurück ins Dorf. Sie liegt allein auf dem Wagen.

      Sie liegt auf den Brettern des Wagenbodens, ausgestreckt, die Beine zerkratzt, ein Tuch bedeckt ihren Körper. Ein Arm ist durch die Leitersprossen des Wagens gefallen. Er schaukelt im Takt der Sandlöcher.

      EIS, WINTER 1947

      Das Mädchen trat aus dem Haus, schloss die Tür hinter sich. Es musste noch einmal nach dem Türgriff fassen, er war ihr unter den Handschuhen entglitten. Sorgsam vergewisserte das Mädchen sich, dass die Tür ins Schloss gefallen war, indem sie mit dem Fuß gegen das Holz der Tür drückte.

      Als es die Stufen zum Gehweg hinunter sprang, klirrten die metallenen Schlittschuhe, die es an dünnen Lederriemen trug, heftig aneinander. Das Mädchen schob die Lederriemen über die wollenen Handschuhe in die andere Hand, hob das metallene Bündel Schlittschuhe hoch, versicherte sich, dass der breite Schlüssel, der die Metallkufen an die Schuhe schrauben soll, am Riemen hing.

      Dann bog das Kind auf den Gehweg ein an diesem Wintertag. Die Straße still, kalte Feuchtigkeit umschloss das Kind, schloss Geräusche aus, reduzierte auf das Knirschen der kurzen, kleinen Schritte im Schnee. Und das Geräusch des klappernden Metalls.

      Das Kind hielt inne, legte die Schlittschuhe ab und versuchte, die grauen Strickstrümpfe über die Knie weiter nach oben zu ziehen. Als es misslang, legte es die Handschuhe auf die Schlittschuhe, sorgsam darauf achtend, dass sie nicht mit dem Schnee in Berührung kamen. Der gefrierende feuchte Atem des Kindes hatte sich weißlich auf dem Mantelstoff abgesetzt. Mit dem bloßen Finger zeichnete das Kind in das Weiße, verlor sich für eine kleine Weile in Linien und Kreisen. Dann zog es die Handschuhe wieder an, griff nach den Lederriemen, an denen die Schlittschuhe hingen, und setzte seinen Weg fort, vorbei an Häusern, in denen schon mittags die Lampen eingeschaltet waren, hinein in einen Tag, an dem es nicht hell werden würde.

      Als es sich dem See näherte, drangen Rufe und Lachen in die Welt des Kindes. Es stellte sich an das Ufer, dort, wo die Schlittschuh laufenden Kinder vom Eis auf das Ufer sprangen. Laute Sprünge zurück auf das Eis. Das Kind beobachtete konzentriert, durch die Reiffahnen des Atems sah sie die Tobenden, Lachenden auf der Mitte des Sees. Schwünge, schnelle Bewegung der Körper auf dem Eis. Die Lederriemen mit den metallenen Kufen hielt das Kind an den Körper gepresst.

      Das Kind entfernt sich, geht am Ufer entlang, dorthin, wo die Büsche dichter werden, der Schilfgürtel breiter. Es hockt sich, zieht die Handschuhe aus, legt die metallenen Schlittschuhe vor sich. Mit dem Schlüssel lockert es die Schrauben, schiebt die Kufen zusammen, so dass sie unter die Schuhe passen würden. Die Halter seitlich der Kufen schiebt es enger, stellt die Schrauben fest, prüft, stellt einen Fuß hinein, ohne die Kufen an den Schuhen zu befestigen. Unschlüssig schaut das Kind zu der entfernteren Uferstelle, dort wäre sicheres Übergleiten vom Ufer zum Eis. Mit vorsichtigen Schritten tastet es sich durch die Weidenbüsche an den Ufersaum. Einsinkender Schuh, schaumiges Geräusch quellenden Eises. Das Kind tritt erschrocken zurück. Tastet wieder zwischen Schilf und Gebüsch, ahnt die Gefahr dieses gelbgräulichen Sumpfes im Schilf.

      Durch das graue Schilf hindurch auf dem Eis sieht das Kind eine bunte Mütze, fröhliche Zöpfe unter einer bunten Mütze. Es hört kratzende Kufen auf hohlem Eis, sieht das Kind mit der bunten Mütze, draußen, vor dem Schilf auf dem Eis. Zöpfe und Arme schwenken in froher Fahrt auf den gelbgräulichen Sumpf im Schilf zu. Das Toben und Lachen der Kinder fern auf dem See frieren zusammen zu einem Klang, der sich um das Kind am Ufer legt, eng, einer Wand gleich, aus der es keinen Schritt hinaus gibt, kein warnendes Rufen hinaus dringt. Nur der Blick geht hinaus, hin zu der bunten Mütze und den fröhlichen Zöpfen, die jetzt in das Schilf hineingleiten. Die Kufen kratzen nicht mehr auf dem Eis, nur der aufquellende Sumpf des Ufereises ist hörbar, dann Stille.

      Das Kind steht reglos, starrt in das Schilf. Unbeweglich steht es, den Oberkörper zum See hin geneigt, als wolle es auf das Schilf zugehen. Dann beginnt es unschlüssig auf der Stelle zu treten, unruhige Füße. Heftiger tritt das Kind sich drehend in Schlamm und Eis, verharrt unvermittelt einen Augenblick, bückt sich. Seine Hände greifen nach den grauen Handschuhen, es nimmt sie auf, wendet sich ab und geht mit kurzen, heftigen Schritten fort von Ufer und See zurück in den Tag, der nicht hell werden wird.

      Am Ufersaum des Sees liegen Schlittschuhe mit Lederriemen.

      IM PARK

      Es kann überall geschehen, sagt man. Überall. Und


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