Brennpunkt Balkan. Christian WehrschützЧитать онлайн книгу.
aus diesem Grund, sind Befürchtungen völlig fehl am Platz, die EU könnte sich mit Kroatien ein zweites Griechenland eingehandelt haben. Außerdem hat Kroatien ein stabiles Bankensystem und eine Verschuldung, die deutlich niedriger ist als die Griechenlands. Ob es zur wirtschaftlich schwachen Peripherie gehören oder zum Kern gut entwickelter Staaten aufsteigen kann, wird die Zukunft weisen. 2013 erreichte Kroatiens Kaufkraft jedenfalls nur 23 Prozent des Kaufkraftniveaus in Österreich, und kroatische Experten schätzen, dass Kroatien erst 2020 wieder die Wirtschaftsleistungen des Jahres 2008 erreichen wird. Zu erwarten ist, dass die Krise in Kroatien zunächst noch zunimmt, ehe sich die Lage mittelfristig wohl bessern wird. Für jahrelang versäumte Reformen steht Kroatien in der EU nun ein schmerzlicher Anpassungsprozess bevor.
Die Affäre um den Geheimdienstoffizier Josip Perković konfrontierte Kroatien mit seiner kommunistischen Erblast und führte zu Verstimmungen mit Berlin und Brüssel
Lichtermeer zum Gedenken an die Opfer in Vukovar
VUKOVAR
Heldenstadt zwischen Krieg und Krise
Vukovar liegt an der Mündung der Vuka in die Donau, die auch die Grenze zu Serbien bildet. Die Stadt ist Siedlungsgebiet seit prähistorischer Zeit. Einer Urkunde aus dem Jahre 1231 ist zu entnehmen, dass die Region von Deutschen, Ungarn und Kroaten bewirtschaftet wurde, und nach der Volkszählung aus dem Jahre 1900 hatte Vukovar damals 10.400 Einwohner: 4.000 Kroaten, 3.500 Deutsche, etwa 1.900 Serben und 950 Ungarn. Der Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1918 und insbesondere der Zweite Weltkrieg beendeten durch Mord, Flucht und Vertreibung 700 Jahre deutscher und jüdischer Siedlungsgeschichte. Um diese Tatsache kommt auch ein Büchlein in kroatischer Sprache1) nicht ganz herum, obwohl es die Ursachen für das Verschwinden dieser Teile der Bevölkerung verschweigt.
Vukovar muss während der Regierung der Habsburger eine liebliche Kleinstadt gewesen sein. Davon zeugt die historische Bausubstanz, die trotz aller Kriege und Katastrophen nicht völlig vernichtet wurde. Hervorzuheben ist das Schloss der Grafen von Eltz, das zu den schönsten Barockbauten Kroatiens zählt. Nach 1945 enteignet und bis heute nicht restituiert, beherbergt das Schloss seit 1948 das Museum der Stadt. In seinem Depot findet man auch zwei großformatige Porträts des vorletzten Kaiserpaares Franz Joseph I. und Elisabeth. 1991 im Krieg schwer beschädigt, wurde das Schloss nun wieder aufgebaut und bietet einen überwältigenden Blick über die Donau. An der Uferpromenade gibt es Cafés und Restaurants sowie das Denkmal für die Verteidiger der Stadt. Immer weniger zerstörte Bauten sind in Vukovar zu sehen; dass es sie auch fast 20 Jahre nach Kriegsende immer noch gibt, hängt damit zusammen, dass viele Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sind. Derartige Ruinen stehen ausgerechnet in der Straße, die den Namen Franjo Tudjman trägt und damit nach dem ersten Präsidenten des unabhängigen Staates Kroatien benannt ist. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil man meinen könnte, dass angesichts der Verehrung, die Tudjman bis heute zuteil wird, der ehemalige Partisanengeneral und kroatische Staatsgründer eine bessere Straße verdient hätte. Während diese „Wunden“ langsam aber doch heilen, wurde die größte Bausünde offenbar beim Wiederaufbau begangen: Ein hässlicher Glasbau im Zentrum, der im Verhältnis zur Architektur aus der Zeit der Habsburger sprichwörtlich wie die Faust aufs Auge wirkt und in dem der Bürgermeister residiert.
Das größte Problem der Stadt Vukovar ist heute aber nicht die Kriegszeit, sondern die soziale und wirtschaftliche Krise, die im Grenzgebiet zu Serbien noch viel stärker zu spüren ist als in der Hauptstadt Agram oder gar in Istrien, das vom Tourismus lebt. Im Jahr 2012 verzeichnete Vukovar nach Angaben der örtlichen Zweigstelle der kroatischen Wirtschaftskammer zwar keine einzige ausländische Direktinvestition, aber eine bedeutende Privatisierung. Deshalb gibt es einige gut funktionierende Betriebe, die Landmaschinen, Kunstdünger, Pellets aus Biomasse und Leichtflugzeuge aus Holz produzieren. Diese Investitionen sind aber bisher zu gering, um den Wohlstand zurückzubringen, der vor dem Krieg herrschte, als Vukovar nach dem slowenischen Marburg zur zweitreichsten Stadt im ehemaligen Jugoslawien zählte. So beschäftigte Borovo, die größte Schuhfabrik Jugoslawiens, in den 1980er Jahren 20.000 Mitarbeiter bei einer Einwohnerzahl von 44.000. Jetzt sind es nur noch 1.000, Vukovar zählt nur mehr 28.000 Einwohner, und viele Produktionshallen sind nach wie vor Ruinen. Jeder Dritte ist Pensionist, 3.000 Bürger sind arbeitslos gemeldet, der Durchschnittslohn liegt bei 400 Euro monatlich – das ist um bis zu 50 Prozent niedriger als in Agram, während Lebensmittel kaum billiger sind. Der lokale Tourismus ist erst im Aufbau, und daher haben Reisende, die mit Donau-Kreuzfahrtschiffen anlegen, bisher nicht besonders viele Möglichkeiten, Geld in der Stadt oder in der Umgebung auszugeben. So mancher Bewohner verdingt sich im Sommer als Saisonarbeiter an der Küste, doch viele Junge, die in Agram und anderen Städten studieren, kehren nicht zurück. Also ist die Abwanderung ein offensichtliches Problem.
Gemischte Gefühle für die EU
Gedämpft sind dagegen die Erwartungen, dass die Lage durch den EU-Beitritt besser wird. So sagt eine ältere Frau:2) „Vielleicht mehr Verkehr auf der Donau, vielleicht neue Arbeitsplätze, ich weiß es wirklich nicht.“ Noch skeptischer ist ein Student: „Überhaupt nichts. Vielleicht wird die Ausbildung besser, doch das braucht Zeit.“ Ängste bestehen auch, weil Kroatien nun die CEFTA, die Freihandelszone mit den Nachbarländern Serbien und Bosnien und Herzegowina, verlassen muss. Daher sagt ein älterer Mann: „Unser Austritt aus der CEFTA wird uns mehr schaden, als uns die EU nützen kann. Ihr können wir nicht viel bieten. Unsere Landwirtschaft ist vernichtet, unsere Industrie ist in einer sehr schwierigen Lage. Die ersten Jahre werden wir von der EU keinen Vorteil haben, später vielleicht.“ Vukovar werde schon bald vom Beitritt profitieren, betont Bürgermeister Željko Sabo. Mit Mitteln aus dem EU-Fonds soll ab 2014 eine Kläranlage gebaut werden. Das Projekt koste insgesamt 48 Millionen Euro, doch das Wasser, das in die Donau rinne, werde dann Trinkwasserqualität haben.
Die Stimmung in Vukovar ist durchaus nicht untypisch für Kroatien. Zu groß sind die Sorgen des Alltags, zu groß die Krise in der EU, um dem Beitritt mit Begeisterung entgegensehen zu können. Dabei gleicht das Grundgefühl hier jenem in vielen anderen Krisenregionen im ehemaligen Jugoslawien. Doch es gibt viele Beweggründe, warum eine gewisse depressive Verfassung vorherrscht, auf die man bei Passanten im Zentrum treffen kann. So auch bei einer 60-jährigen Krankenschwester, die nach dem Krieg zunächst in Donaueschingen arbeitete, dann aber wieder an das Krankenhaus in Vukovar zurückging. Nun ist sie in Pension. Ihre Heimkehr begründet sie so: „Ich bin zurückgekommen, um meinen Vater zu finden. Er wurde mit einem Kopfschuss getötet, in die Donau geworfen und tauchte in Serbien irgendwo wieder aus dem Wasser. 13 Jahre wusste ich nicht, was mit ihm geschehen ist. Ich habe Blut für die DNS-Analyse gespendet und erst vor sechs Jahren erfuhr ich, wo er ist. Ich habe ihn zurückbekommen, um ihn hier begraben zu können.“ Die Nachwirkungen des Krieges sind also auch in den Biografien noch allgegenwärtig.
Krieg und Kriegsfolgen
Drei Monate Belagerung hatte Vukovar standgehalten, als es am 18. November 1991 eingenommen wurde. Davor fielen allein im Oktober täglich zwischen 5.000 bis 7.000 Granaten auf die Stadt, 15.000 Häuser wurden zerstört, 22.000 Bewohner flohen oder wurden vertrieben. Als die Stadt von der Jugoslawischen Volksarmee und von serbischen Milizen besetzt wurde, zählte Vukovar noch 15.000 Bewohner und etwa 2.500 Verteidiger, zu denen auch einige Bürger Kroatiens serbischer Nationalität zählten, ein Umstand, der international kaum bekannt ist. Die Zahl der Opfer beziffert die Stadt mit 4.000, darunter zunächst 1.500 Vermisste; nunmehr sind es noch etwa 400 Personen, deren Schicksal ungeklärt ist. 10.000 Menschen kamen in Lager nach Serbien, die Hälfte davon für drei bis 12 Monate; 300 dieser Gefangenen wurden ermordet.
Nach dem Fall der Stadt