100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard HeckmannЧитать онлайн книгу.
meisterten glitschiges Gelände und alles, was sich in den Weg stellte. Kein Stolpern, kein Fehltritt, kein Zögern und niemals hektisch oder scheu. Unglaublich! Und selbst dort, wo ein mulmiges Gefühl entstand oder sich der Blick fragend auf Patrick richtete, wie es denn jetzt weitergeht, wie und wo hinunter oder hinauf, oder über den nächsten Pass, der aus meiner Sicht doch völlig verschneit war, Patrick hatte die Möglichkeiten längst erkannt und hielt auch nicht an. Vielleicht hier und dort ein kurzes Zurück oder ein kleiner Umweg, mehr aber nicht. Nur bergwärts, wenn es richtig steil wurde, ließen wir unsere Partner mehrfach verschnaufen und gewährten ihnen in Bächen die Zeit, wenn sie trinken wollten. Wirklich angehalten haben wir, jenseits der Mittagspause, nur ein einziges Mal. Der Grund war ein großer Grizzly, der uns in einem Tal auf Sichtweite begleitete. Patrick wollte ihn beobachten, damit er nicht unverhofft einen großen Bogen schlägt und plötzlich hinter uns ist, denn die Grizzly Bären in diesen Bergregionen haben nicht den Überfluss, den die großen Lachsflüsse bescheren, müssen mit wesentlich weniger auskommen und sind daher auch aggressive. Erstaunlich auch, wie schnell dieser Petz über mehrere Kilometer war. Obwohl wir flotten Schrittes unterwegs waren, kam er linkerhand am Talrand von hinten, zog ganz locker und flott an uns vorbei und bog dann weit vor uns nach rechts in ein Seitental ab. Und deswegen hielten wir an und stiegen ab, denn in dieser Gegend im Spätsommer einen Grizzly im Rücken zu haben, wo die fischreichen Gewässer fehlen und er jagen muss, ist gefährlich. Er blieb jedoch seiner Richtung treu und galoppierte weiter durch das Seitental und von uns weg. Diese „verwegenen“ Touren mit Patrick waren einmalig schön, aber nach zehn bis zwölf Stunden im Sattel freuten wir uns auch auf den heißen Kaffee nach der Rückkehr am Lagerfeuer, und auch unsere Pferde hatten den Gang zur Wiese mehr als verdient.
Der Ritt mit David am vorletzten Tag war ein ganz anderer. Wir waren zwar wieder sehr lange unterwegs, aber größtenteils in Tälern und urwüchsigem Wald. Wir mussten auch mehrfach umkehren und einen neuen Durchschlupf suchen, weil eine steile Bergwand, ein tiefer Fluss-Canyon den Weg versperrte, oder wir ganz einfach auf der falschen Fährte waren. Am Ende haben wir beide Jagd-Camps gefunden, mit allerlei alten, verrosteten Utensilien und morschen Hölzern unter gewaltigen Bäumen. David, der seine Gefühle kaum zeigt, ließ hier aber erkennen, dass es ihm schon sehr nahe ging, wenn er den einen oder anderen alten Gegenstand aufhob und betrachtete. Als kleiner Junge war er mit seinem Großvater mehrfach hier gewesen, vor etwa fünfzig Jahren, und danach nie wieder. Wir saßen ab, stöberten ein wenig in den alten Dingen und lauschten den Geschichten, die David von damals erzählte. Auf dem Rückweg markiert er jeweils dort einen Baum, wo der Weg in eine andere Richtung wechselte, oder sein Abzweig schwer zu finden war. Heimwärts reiten wir einen Umweg, denn David möchte uns noch ein anderes Tal zeigen, statt auf gleichen Pfaden wieder zurückzukehren. Auch diese „Extrawurst“ war uns recht, wie all die vorherigen auch, inklusive derer, die vom Grill kamen. Und das, was Joyce am letzten Abend anbot, war auch schon fast fertig, als wir nach knappen zehn Stunden wieder eintrafen: Würste, Stakes, verschiedene Salate, gebackene Kartoffel und dicke Pfannkuchen. Süße mit Creme, Honig oder Kirschen (oder allem), und herzhafte mit Speck und Zwiebel.
Der letzte Abend ist auch immer einer, an dem ein paar Worte des Dankes fällig werden und die Mannschaft einen Obolus erhält. Für Joyse hatten wir als persönliches Geschenk eine Allgäuer Kuhglocke im Gepäck, wodurch künftig das Rufen nach David entfällt, wenn das Essen auf dem Tisch steht. Was dann noch bleibt, sind Lagerfeuer-Romantik, der eine oder andere Drink, ein Dank an die Pferde und reiterliche Zukunftsträume, wer denn wann und wo wieder in den Sattel steigt. Und unser persönliches Resümee? Es war eine grandiose Woche bei allerbestem Wetter, und mit unseren Pferden und Patrick hatten wir dafür die besten Partner an unserer Seite. Was dieses Trio uns ermöglichte, übertraf alle Vorstellungen. Paul, der sein eigenes Pferd ritt, war wieder der lustige „Pferdemensch“ wie vor neun Jahren auch, und die erst 17-jährige Aida besaß schon sehr viel Pferdeverstand, während ihre Schwester Maria als „Koch“ Joyce eine Menge Arbeit abnahm. David, zurückhaltend, aber offen und ehrlich seine Meinung sagend, wenn er danach gefragt wird, ist ohnehin nicht zu übertreffen. Es waren sieben wundervolle, professionell organisierte Tage, die uns abends müde und zufrieden in den Schlafsack sinken ließen. Nach einer Woche „Busch, Bach und unrasiert“ freute man sich aber auch wieder auf eine heiße Dusche und ein richtiges Bett.
Die letzten eineinhalb Stunden durch den 2010 verbrannten Wald waren für die Pferde erneut schwierig, denn dieser Parkabschnitt ist bergig, felsig, mit großen Steinen übersät und gewaltig verwüstet. Als wir mit den Packpferden eintreffen, sind David und Joyce, die mit den restlichen Gästen drei Stunden früher aufgebrochen waren, bereits da und die Ladies mit Petrus schon auf dem Weg zum Eagles Nest. Für uns ist nochmaliges „Anpacken“ jetzt selbstverständlich, denn David und Joyce haben nur „zwei Nächte“, um die nächste Tour vorzubereiten. Deswegen bleiben auch die Pferde hier, die David inspiziert und dann in die Obhut von Patrick entlässt, der sie auch auf der nahen Wiese betreuen wird. Alle müssen in zwei Tagen auch nicht wieder antreten, denn vor dem nächsten Ritt werden einige von ihnen ausgetauscht. Für den Abschied blieb somit auch nur wenig Zeit, ein letzter Händedruck, eine Umarmung, ein letztes Dankeschön. Was für ein Leben! Aber in der Stadt könnten David und Joyce nicht atmen. Sie brauchen ihre Freiheit, die Natur und die Tiere.
Als alle Pferde entladen und die leeren Kisten auf Davids Truck verstaut sind, bringt uns Leslys Allradler zurück zu Lady Enubis Eagles Nest, und dort empfängt uns Sabine am Wohnmobil auch mit den Worten: „Macht euch schnell unter die Dusche, denn ihr duftet ganz erheblich!“ Naja, als sie anschließend bei der Lady eine Flasche Sekt spendiert, ist jene „Beleidigung“ wieder behoben, und bei einem guten Essen genießen wir, gemeinsam mit den Reitern aus Vancouver, wieder die Vorzüge der Zivilisation und das Klavierspiel von Petrus. Als die Musik verstummte und sich die fünf Damen zurückgezogen, lud uns die Hausherrin noch in ihre Bibliothek ein, wo ein Rüdesheimer Kaffee den Schlusspunkt unter ein sehr schönes Abenteuer setzte. Traurigkeit kam dennoch nicht auf, denn nur dieses Erlebnis war zu Ende, nicht aber unsere Reise. Vor dem Wohnmobil lagen noch einige tausend Kilometer, denn wir wollten Dörthe und Annika noch mehr von diesem Land zeigen, und dann südlich der Grenze durch Montana, Idaho und Washington zurückfahren. Und somit lagen auch Nationalparks, heiße Quellen, historische Forts, Fährüberfahrten, der gewaltige Columbia River oder das amerikanische Seattle noch vor uns. Aber all das betrifft erst das Jahr 2011. 24 Monate später werden wir erfahren, dass Lady Enubi verstorben ist und eigentlich zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten vereinte. Sie war fraglos die charismatische, charmante, großzügige, liebenswerte, warmherzige und hoch intelligente Hausherrin, die ihre Gäste sehr schätzten. Dass sie als „General“ zu Eagle’s Nest agierte war auch erkennbar, nicht aber, dass sie ein „Cult Leader“ war, der mit eiserner Hand auftrat und seine Angestellten restlos beherrschte, manipulierte und ausnützte. Bekannt wurde das erst, als das 2009 verlegte Buch von Alexandra Amor „Cult, A Love Story“ (Fat Head Publishing, Vancouver) zum Dorfgespräch wurde. Zehn Jahre war sie selbst unter den Fittichen der Lady, und als sie ausgestoßen wurde, weil sie immer mehr kritische Fragen stellte und unter der Thematik schrecklich litt, schrieb sie ihre unglaubliche Geschichte nieder. Heute sagt sie, dass sie ein ganz normales Leben führt, „Schreiben“ sie von aller Last befreit hat, und dass es die Umstände waren, die sie in die Arme der Lady trieben.
Doch nun zurück zur Reise von 2002, von der wieder das nächste Kapitel erzählt.
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