Hüter meines Herzens. Denise HunterЧитать онлайн книгу.
tief atmend die Treppe hinunter. Noah wartete unten, still und gefährlich – gefährlich für ihr emotionales Wohlbefinden.
Sie brachte ein kleines Lächeln zustande, als sie ihm den Umschlag überreichte. „Bitte schön. Ich kann dir eine Kopie davon anfertigen, falls du deine Unterlagen verloren hast.“
Er bedachte sie mit einem steinharten Blick, während er das Dokument aus dem Umschlag zog.
Auf ihren wankenden Beinen verlagerte sie ihr Gewicht. „Ich habe all deinen Bedingungen zugestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, warum du jetzt auf einmal so aufgebracht bist.“ Ihr Lachen klang nervös, erstickt von der Enge in ihrer Kehle.
Er öffnete das zusammengeheftete Dokument, schlug die Seiten nach hinten um und hielt es ihr dann hin. „Was ist das hier, Josephine? Was siehst du hier?“
Sie wich zurück, bis die Buchstaben auf der Seite scharf wurden. Ihre Namen, hübsch und ordentlich gedruckt. Ihre Unterschriften auf den entsprechenden Linien.
Und eine Linie darunter für den Richter. Eine leere Linie.
„Alsooo … Ich nehme an, wir haben vergessen, die Unterschrift des Richters einzuholen?“
„Wir haben das nicht vergessen. Du hast das vergessen.“
Sie nahm den Papierstapel aus seinem stählernen Griff. „Möglicherweise haben die Anwälte eine unterschriebene Ausfertigung.“
Sein Lachen war völlig humorlos. „Oh, ich kann dir versichern, dass das nicht der Fall ist.“ Er nahm die Papiere wieder an sich und beugte sich zu ihr, bis sie die braunen Flecken in seinen Augen sehen konnte, die sie früher schon immer hypnotisiert hatten.
„Wir sind nicht geschieden, Josephine. Die Unterlagen sind nie vom Richter unterzeichnet worden.“
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Was – was redest du da?“
„Du hast das Verfahren nicht zu Ende gebracht. Es ist nie abgeschlossen worden.“ Mit einem Blick machte er sie platt. „Wir sind immer noch verheiratet.“
„Das – das kann nicht wahr sein“, presste sie heraus. Eine nörgelnde Stimme in ihrem Hinterkopf lachte spöttisch.
„Du hast gesagt, du würdest dich darum kümmern. ‚Ich erledige das alles, Noah. Mach dir bloß keine Gedanken darum, Noah.‘ Und jetzt – schau her!“ Er drehte sich zur Wand um. Seine Schulten hoben und senkten sich, und sie hätte schwören können, dass die Temperatur um zehn Grad gestiegen war.
„Ich bringe das in Ordnung. Wir lassen es unterschreiben und geben es ab.“
Er verschränkte die Hände im Nacken. Seine Armmuskeln spannten sich an. Seine Schultern sanken, und ein bisschen von seiner Kampfbereitschaft schien seinen Körper zu verlassen. „So einfach ist das nicht. Die Papiere sind datiert. Joe weiß nicht, ob das Scheidungsverfahren noch in der Schwebe oder ganz eingestellt worden ist.“
„Es tut mir so leid … Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Vernon hat die Papiere hier abgegeben, wir haben unterschrieben, ich habe Kopien davon angefertigt und dir und ihm jeweils eine geschickt. Ich dachte, das wäre alles.“
„Nun, das war es aber nicht.“
„Ich werde mich sofort darum kümmern.“
Er drehte sich um. Seine Augen waren so kalt wie ein Bergquell. „Oh nein, das wirst du nicht. Diesmal kümmere ich mich darum. Ich werde am Montag im Gericht anrufen und herausfinden, was wir tun müssen, um das geradezubiegen.“
„Natürlich. Alles, was du willst.“
„Ich will, dass das hier abgewickelt wird. Und ich will, dass es schnell geschieht.“
Er konnte es nicht erwarten, sie endlich loszuwerden. Genau wie letztes Mal. Ihr Innerstes schrumpelte in sich zusammen, während ihr wieder die Hitze ins Gesicht stieg. „Du kannst dich auf meine volle Kooperation verlassen.“
Und so schnell, wie Noah wieder in ihr Leben getreten war, war er wieder weg. Ließ sie gleichermaßen aufgewühlt und ausgelaugt zurück. Genau wie beim ersten Mal, als er durch ihre Tür gekommen war.
KAPITEL 3
Copper Creek, Georgia Vor dreieinhalb Jahren
Josephine legte den neuen schwarzen Umhang über die Schultern des Mannes. Er wirkte kaum volljährig, aber sie fühlte, dass seine Augen im Spiegel sie fixierten. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, die immer noch warm waren von diesem schwülheißen Junitag, und erwiderte seinen Blick. „Was darf ich für dich tun?“
„Nur einmal nachschneiden.“ Er hatte ein nettes Lächeln und Welpenaugen, die die jungen Mädchen vermutlich alle zum Schmachten brachten.
Die Türglocke klingelte, und ein Schwall heißer, feuchter Luft umspülte die provisorische Trennwand. Noch ein Kunde, hoffte sie. „Bin gleich bei Ihnen!“
„Lassen Sie sich Zeit“, erwiderte eine tiefe Stimme.
Josephine steckte das Kabel des Haarschneiders in die Steckdose und machte sich an die Arbeit. Ihre ersten Wochen waren zäh verlaufen, aber so langsam kam das Geschäft in Schwung. Mundpropaganda, vermutete sie. Männer waren darin einfach besser, nahm sie an. Sie hatte ganz sicher kein Geld mehr für Werbung.
Die Fläche so zu gestalten, dass man dort arbeiten konnte, hatte sie mehr gekostet als gedacht, und sie hatte nur ein Waschbecken und einen Stuhl. Verbesserungen in ihrer schäbigen Wohnung im Obergeschoss würden warten müssen. Es würde den Rest ihres Erbes aufzehren, den Laden auf Vordermann zu bringen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und Angestellte zu beschäftigen. Aber das musste geschehen, und zwar bald. So konnte sie kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten. Der Kostenvoranschlag, den sie von dem Bauunternehmer bekommen hatte, der die Vorarbeiten erledigt hatte, war jenseits dessen, was sie sich leisten konnte.
„Wie heißen Sie, Schätzchen?“, fragte der Junge ein paar Minuten später. Ein kokettes Lächeln umspielte seine Lippen.
Ihre Augen wichen seinen im Spiegel aus. In einer kleinen Stadt sprachen sich Dinge schnell herum. Niemand wusste das besser als sie.
Sie schenkte ihm ein verwegenes Lächeln. „Warum fragst du?“
„Ein Mann sollte den Namen seiner zukünftigen Frau kennen.“
Der war aber draufgängerisch. Und so jung. „Du kennst mich doch gar nicht, Kleiner. Vielleicht bin ich nicht die Art Mädchen, die man zu Hause seiner Mama vorstellt.“
Rote Flecken erschienen auf seinem Hals, und Josephine fühlte sich kurz schuldig, weil sie so geradeheraus gewesen war. Seit vollen fünf Minuten saß er in dem Stuhl und hatte nicht ein einziges Mal den „zufällig-absichtlichen Ganzkörpercheck“ gebracht.
„Meine Mama ist nicht mehr da“, sagte er. „Aber mein Daddy würde Sie mögen.“
Sie lachte leise vor sich hin. „Ganz bestimmt, Kleiner.“
Er machte weiter, tat sein Bestes, um sie zu beeindrucken, aber Josephine federte das Ganze etwas ab. Selbst, wenn er sie herumkriegen würde – und das würde nie passieren –, würde er vermutlich gar nicht wissen, was er mit ihr anfangen sollte.
So plauderte sie weiter mit ihm, während sie sein goldbraunes Haar zurechtstutzte.
Eigentlich musste kaum etwas geschnitten werden, aber diese Woche waren schon ein paar solcher Kunden da gewesen. Neugierde, vermutete sei. Alle alleinstehenden Männer kamen vorbei, um sie in Augenschein zu nehmen. Solange ihr das Kunden einbrachte, war das ganz in Ordnung für Josephine. Und wenn ein kleines bisschen Flirten die Männer dazu bewog, wiederzukommen, tat sie ihnen den Gefallen gerne.
Im Empfangsbereich des Herrensalons blätterte Noah blind durch die Seiten der Zeitschrift Blue Ridge