Im Kreuzfeuer. Christian WehrschützЧитать онлайн книгу.
ein Amt, das Đukanović kurzfristig abgab, um in diese Funktion im Februar 2008 zurückzukehren.
Ebenso eindrucksvolle Beispiele für große persönliche Kontinuität gepaart mit politischer Diskontinuität sowie für den Wandel vom kommunistischen Saulus zum nationalistischen Paulus finden sich auch in Slowenien und Kroatien in Milan Kučan und Franjo Tuđman. Der 1941 geborene Milan Kučan wurde 1986 Vorsitzender des Bundes der Kommunisten Sloweniens, und von 1991 bis 2002 war er Präsident des unabhängigen slowenischen Staates. Zwar konnten sich in Slowenien die Post-Kommunisten (ZLSD) nach der Unabhängigkeit nicht als führende Kraft behaupten; doch abgesehen von einem kurzen politischen konservativ-katholischen Zwischenspiel in den Jahren 1990 bis 1992 und von Juni bis November 2000, kamen zwar die Post-Kommunisten nicht wieder an die Macht; trotzdem gelang keine konservative Wende, denn die Linke konnte sich in Form der 1994 gegründeten Liberaldemokratischen Partei bis zu den Wahlen im Herbst 2004 an der Macht halten, und in deren Koalitionsregierungen waren bis auf ein Kabinett die Post-Kommunisten ständig vertreten. Der Machtwechsel erfolgte erst, nachdem Slowenien mit dem Beitritt zu EU und NATO endgültig in den euroatlantischen Gemeinschaften angekommen war.
Noch tiefer als in Slowenien reicht in Kroatien die persönliche Biografie des Symbols der Unabhängigkeitsbewegung in die kommunistische Ära zurück. Der 1922 geborene Franjo Tuđman war aktiver Teilnehmer an der „antifaschistischen Partisanenbewegung“ und General der Jugoslawischen Volksarmee, ehe er sich in den 1970er Jahren zum Regimegegner und kroatischen Nationalisten wandelte. Nach 1987 warb er massiv bei der Diaspora um Unterstützung für die Unabhängigkeit und gründete 1989 in Kroatien die HDZ, die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“. Diese Partei stellte eine völlig neue politische Kraft dar; ihr Aufstieg dürfte vor allem dem Umstand zu verdanken sein, dass es die kroatischen Kommunisten nicht verstanden, sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung zu stellen. Die HDZ siegte bei den ersten Wahlen in Kroatien, bei denen Parteienpluralismus herrschte. In weiterer Folge führte Tuđman Kroatien durch Krise wie Krieg und verhalf seinem Land zum Sieg über die serbische Okkupation der von Serben bewohnten Teile Kroatiens. Durch seine nationalistische Politik brachte er Kroatien aber auch in die außenpolitische Isolation. Zum Machtwechsel kam es erst unmittelbar nach Tuđmans Tod, und eine Mitte-Links-Koalition unter Führung der Sozialdemokraten begann erste Reformen. Sie erreichte auch eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen, nicht zuletzt durch eine Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal. Doch diese Koalition verlor die Parlamentswahl im Herbst 2003 und unter Ivo Sanader kehrte eine erneuerte national-konservative HDZ als stärkste Partei in einer Mitte-Rechts-Regierung an die Macht zurück. Sanaders größte politische Leistung ist es, die HDZ transformiert und auf einen klaren euroatlantischen Kurs gebracht zu haben. Größter Erfolg in dieser Hinsicht war 2009 die Aufnahme Kroatiens in die NATO, während der Beitritt zur EU vor allem wegen des Grenzstreits mit Slowenien noch einige Jahre auf sich warten lassen könnte.
Wie die Beispiele Slowenien und Kroatien zeigen, lässt sich eine dauerhafte Stabilisierung im ehemaligen Jugoslawien unter anderem nur erreichen, wenn zwei Grundvoraussetzungen gegeben sind: Die eine ist ein politischer Konsens über die zentralen außenpolitischen Ziele als Grundlage für eine konsistente Reformpolitik; die zweite Grundvoraussetzung ist die erfolgreiche Transformation des Parteiensystems. Das gilt sowohl für nationalistische Parteien, die im Zuge des Zerfalls des alten Jugoslawien entstanden sind, aber natürlich auch für die kommunistischen Parteien in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Während Slowenien und Kroatien Beispiele für eine erfolgreiche Transformation dieser beiden Parteientypen sind, bildet Serbien das Gegenbeispiel, weil in diesem Land bisher weder die Transformation der Sozialistischen Partei (SPS) noch der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) als abgeschlossen bezeichnet werden kann. Der Einfluss der SRS geht seit 2008 durch die Abspaltung des gemäßigten Flügels allerdings zurück. Trotzdem hat in Serbien auf vielen Gebieten vielleicht die umfassendste Abkehr von Tito stattgefunden.
Serbien war neben Montenegro der älteste Staat im ehemaligen Jugoslawien. Doch – wie bereits erwähnt – verlor Montenegro seine staatliche Existenz nach dem Ersten Weltkrieg durch den Anschluss an Serbien und sogar der Name verschwand; dagegen waren Serbien und seine Dynastie der Karađorđević die führende Macht im Königreich Jugoslawien. Die Monarchie war in der serbischen Bevölkerung tief verankert, die Kommunisten waren schwach, und nach der Niederlage gegen das Deutsche Reich im April 1941 waren die königstreuen Četniks als Widerstandsbewegung gegen die Besatzungsmächte in Serbien wohl zunächst weit stärker als die Tito-Partisanen. Auf diesen Umstand verweist auch Hermann Neubacher5), der als Sonderbeauftragter des Reichsaußenministeriums ab 1943 auch für Serbien zuständig war:
„Serbien war, als ich meine Mission antrat, eine der schwächsten Positionen des Balkan-Kommunismus. Der überwiegend agrarische Charakter des Landes (über 80 Prozent bäuerliche Bevölkerung) verwies den Kommunismus auf die wenigen Industriegebiete und auf die Hauptstadt Belgrad, wo die Universität ein Hauptstützpunkt der KP geworden war. Das Bauerntum dieses Landes war patriarchalisch, gegen Neuerungen zutiefst mißtrauisch, durch Jahrhunderte türkischer Hörigkeit zum verschlagenen, hartnäckigen Widerstand bis zur Meisterschaft erzogen. Ich sah in diesem serbischen Bauerntum eine der stärksten Positionen gegen die Bolschewisierung des Balkans und stellte daher die Beendigung der bisherigen Sündenbock-Politik Serbien gegenüber in den Mittelpunkt meiner politischen Planung. Das bedeutet aber – und daraus möge man die Schlüsselstellung der Serben auf dem Balkan ermessen – nicht weniger als eine weitgehende Revision der deutschen Politik im Südostraume.“
Unabhängig davon, ob diese Einschätzung in der zweiten Hälfte des Kriegs noch zutreffend war oder nicht, konnte der Oberösterreicher Neubacher beim Oberösterreicher Hitler in Berlin diese Neuorientierung der Serben-Politik nicht durchsetzen; trotzdem wurde Neubachers Ansatz von den kommunistischen Partisanen offensichtlich als Bedrohung empfunden. So heißt es in der Anklageschrift des Militärprokurators beim Belgrader Kreisgericht von 1951 gegen Neubacher:6)
„Die Grundlinie Neubachers bestand darin, zwecks Schwächung der Partisanenbewegung die Politik eines Groß-Serbien mit Hilfe Nedićs wieder aufleben zu lassen, die Verräter Draža Mihailović und Ljotić zur Mitarbeit zu gewinnen und gegenüber Serbien eine Politik der Durchführung der Sühnemaßnahmen auf eine neue Art zur Anwendung zu bringen … Bei dieser Gelegenheit änderte er die alten Bestimmungen über die Durchführung der Sühnemaßnahmen, die politisch fehlerhaft und schädlich für die Interessen des faschistischen Deutschland waren.“
35 Jahre später sollte dieses Thema noch eine Rolle spielen, und zwar im berühmten „Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste“ aus dem Jahr 1985. Über die Vertretung von Serben in der kommunistischen Führung während des Zweiten Weltkriegs heißt es in dem Memorandum7):
„Während des Krieges war Serbien bei der Verabschiedung von Beschlüssen, welche die zukünftigen zwischennationalen Beziehungen und die jugoslawische Gesellschaftsordnung bestimmen sollten, nicht vollkommen gleichberechtigt beteiligt. Der Antifaschistische Rat Serbiens wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 gegründet, also später als in den anderen Teilrepubliken, die Kommunistische Partei Serbiens sogar erst nach Kriegsende.“
Das Gefühl, wirtschaftliches und politisches Opfer im kommunistischen Jugoslawien gewesen zu sein, zieht sich durch das gesamte Memorandum und die gesamte Schrift. Schwaches Serbien und starkes Jugoslawien – dieses (vermeintliche) Credo Titos spiegelt auch die kommunistische Verfassung aus dem Jahr 1974 wieder. Sie sah sechs Teilrepubliken (Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und Serbien) und zwei autonome Provinzen (Kosovo und Vojvodina) vor. Diese Gliederung empfanden Teile der intellektuellen Elite Serbiens offensichtlich als Ungerechtigkeit, wie die Publikation8) der Serbischen Akademie der Wissenschaften zeigt:
„Obwohl Serbien nach Größe und Einwohnerzahl die größte der Teilrepubliken ist, verlor es mit der Verfassung aus dem Jahre 1974 wichtige Attribute der Staatlichkeit.