Im Kreuzfeuer. Christian WehrschützЧитать онлайн книгу.
hat und spielt wie am Balkan. Ein Blick auf die Funktionen, die Österreicher inne hatten und haben, zeigt, wie weit diese Rolle über Bevölkerungszahl und politisches Gewicht der Republik hinausreicht. Zu diesen Funktionsträgern zählten und zählen:
Der Diplomat Stefan Lehne, der als rechte Hand von Javier Solana eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über die Umwandlung Jugoslawiens in den Staatenbund Serbien und Montenegro spielte.
Der ehemalige Generalsekretär des Außenministeriums, Albert Rohan. Während der Verhandlungen über den endgültigen Status des Kosovos war er Stellvertreter des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari, der diese UNO-Mission leitete.
Die Diplomaten Wolfgang Petritsch und Valentin Inzko. Petritsch wurde während seiner Zeit als österreichischer Botschafter in Belgrad (1997 bis 1999) zum EU-Sonderbeauftragten für den Kosovo ernannt. Als solcher war er 1999 EU-Chefverhandler bei den gescheiterten Friedensverhandlungen von Rambouillet. Zwischen 1999 und 2002 war Petritsch Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und für die zivile Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton verantwortlich. Diese Funktion übt seit 2009 Valentin Inzko aus. Wie wichtig diese Aufgaben auch für Österreich sind, zeigt sich daran, dass heimische Firmen mehr als 1,4 Milliarden Euro investiert haben und damit größter Investor in Bosnien sind.
Der Diplomat Werner Almhofer leitet seit 2008 die OSZE-Mission im Kosovo. Als Geschäftsträger war er lange in Belgrad und darüber hinaus auch als Botschafter in Sarajevo tätig.
Der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek; von 2002 bis 2008 leitete er den EU-Stabilitätspakt für Südosteuropa.
Hannes Swoboda, Abgeordneter zum Europäischen Parlament, war für das Jahr 2008 Berichterstatter des Parlaments für den Fortschrittsbericht über die EU-Annäherung Kroatiens.
Altkanzler Franz Vranitzky; er war von März bis Oktober 1997 OSZE-Sonderbeauftragter für Albanien. Bei der Parlamentswahl in Albanien Ende Juni 2009 stellte Österreich mit dem Nationalratsabgeordneten Wolfgang Großruck zum ersten Mal den Leiter einer Mission von internationalen Wahlbeobachtern.
Zu nennen sind im Zusammenhang mit dem Balkan noch zwei Personen, die Kraft ihrer Funktion aber auch durch ihren persönlichen Einsatz in Albanien einen Ruf genießen, der in Österreich weitgehend unbekannt ist. Dies sind die frühere Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und die Steirerin Marianne Graf, die mit ihrer Partnerschaft Albania – Austria auf der Grundlage von privaten Spenden vielen Menschen vor allem in Nordalbanien seit zehn Jahren hilft. Dabei geht es immer um Hilfe zur Selbsthilfe, und die Gemeinde Rubik ehrte Graf im Juni 2009, indem sie eine Straße nach der Steirerin benannte. Rubik ist eine ehemalige Industriestadt; die Industrie ist zusammengebrochen, die Hälfte der 8.000 Bewohner ist arbeitslos, jeder Vierte arbeitet als Gastarbeiter im Ausland, um die Familien daheim zu ernähren. Die internationale Krise hat auch diese Gastarbeiter getroffen, die nun weniger Geld schicken. 500 Familien erhalten pro Monate eine Sozialhilfe von 20 Euro, während ein Kilogramm Reis etwa 70 Eurocent kostet. In dieser Stadt hat Graf Schulen, Wohnungen für Arme, ein Bildungszentrum für Frauen und Jugendliche gebaut. Ein Hang wurde bepflanzt, um die Stadt vor Muren zu schützen. Das sind nur einige Projekte, die Graf in dieser Stadt, aber auch in anderen Teilen Albaniens auf die Beine gestellt hat.
Was Elisabeth Gehrer betrifft, stellt sich die Frage, wie das Schulwesen in Albanien ohne ihre Hilfe wohl aussehen müsste. 16.000 Schultische, 27.000 Stühle, 500 Tafeln und 125.000 Hefte haben Schulen in Österreich auf ihre Initiative hin gesammelt und nach Albanien gebracht. Ihr verdankt das Land auch einen Bildungsbeauftragten, der nun die Schule in der Stadt Shkodra im Norden leitet, die Österreich gebaut hat. Diese Höhere Technische Schule für Informationstechnologie umfasst neun Schulstufen, wobei der Unterricht in einigen Fächern auch in deutscher Sprache stattfindet. Nordalbanien ist ein österreichischer Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit, die von der Verbesserung der Wasserversorgung über die Steigerung des Wirkungsgrades von Kraftwerken bis hin zur Unterstützung von landwirtschaftlichen Fachschulen reicht.8) Derartige Projekte verwirklicht Österreich auch in allen anderen Staaten des Westbalkans, wobei auf die Zusammenarbeit im universitären Bereich ebenso großer Wert gelegt wird. Dazu zählt ein Projekt im Kosovo, wo Österreich in wesentlichem Ausmaß an der Akkreditierung von privaten Universitäten beteiligt ist. Diese Zusammenarbeit mit dem Westbalkan ist durchaus keine Einbahnstraße, weil Studenten aus diesen Ländern nach ihrer Rückkehr in die Heimat durchaus auch politisch Karriere gemacht haben, und etwa als Unterrichtsminister den Regierungen in Albanien und im Kosovo angehört haben, bzw. angehören. Hinzu kommt, dass in den österreichischen Museen noch umfangreiche Sammlungen aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie lagern, die im Zuge einer geplanten Digitalisierung in Zusammenarbeit mit Museen von Agram über Belgrad bis Skopje erfasst werden könnten.
Generell ist festzustellen, dass Österreich bei der geistigen und kulturellen Entwicklung am Balkan eine Rolle gespielt hat, die weit über das hinausgeht, was noch im Bewusstsein Österreichs selbst verankert ist. Das betrifft etwa die Entwicklung des Bildungswesens in Bosnien, gilt aber auch für die Aufenthalte von führenden geistigen Vertretern aus diesen Ländern in Österreich. Ein Paradebeispiel ist Vuk Stefanović Karadžić (1787–1864). Den entscheidenden Abschnitt seines schöpferischen Lebens verbrachte der Vater der modernen serbischen Schriftsprache in Wien, wo er mit der Österreicherin Ana Maria Kraus verheiratet war. Karadžić reinigte die serbische Sprache von vor allem kirchenslawischen Einflüssen, schuf ein neues Alphabet und verfasste eine Grammatik und ein Wörterbuch. Viele seiner Werke publizierte er zuerst in Wien. Seine Zusammenarbeit mit dem Zensor Jernej Kopitar9) war besonders fruchtbringend. Vuk Karadžić starb in Wien, seine Sprache wurde in Serbien erst vier Jahre später zur offiziellen Schriftsprache Serbiens. 1897 wurden seine sterblichen Überreste nach Belgrad überführt. Seine letzte Ruhestätte fand er schließlich beim Eingang einer Kirche, gegenüber dem serbischen Patriarchat. Von der österreichischen Botschaft liegt diese Kirche nur hundert Meter entfernt, sodass die historische Nähe gewahrt blieb.
Nach dem Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo war oft vom Balkan als dem österreichischen Schicksalsraum die Rede. Ich bin kein Anhänger des philosophischen Determinismus, obwohl sich für mich persönlich der Balkan durchaus als schicksalhaft erwiesen hat. Faktum ist, dass wir mit diesen Völkern jahrhundertelang zum Teil sogar in einem gemeinsamen Staat gelebt haben. Daraus resultieren kulturelle Nähe, große wirtschaftliche Chancen aber auch politische und soziale Herausforderungen. Gegen die Geografie lässt sich nicht Politik machen, daher bleibt Ost- und Südosteuropa für Österreich der Schlüsselraum. Mit diesem Raum und seinen Völkern verbindet uns eine gemeinsame Geschichte, die auch viele Wunden geschlagen hat – auf beiden Seiten. Wir dürfen uns nicht zu Geiseln dieser Geschichte machen, eine Lehre, die gerade diese Völker vielfach erst noch ziehen müssen. Doch wir müssen die Geschichte, die Kultur und die Mentalität der Völker verstehen, nicht zuletzt um unsere Chancen zu nutzen und um gemeinsam die Zukunft in einem friedlichen Europa zu meistern. Nach zehn Jahren am Balkan kann ich daher nur sagen, dass uns noch eine große intellektuelle Aufgabe bevorsteht.
Anmerkungen
1) Unter einer angeblich hundertjährigen Linde wurde Slobodan Milošević im Garten seiner Villa am 18. März 2006 beigesetzt. Erzählungen zufolge soll Milošević unter diesem Baum seine spätere Ehefrau Mira Marković zum ersten Mal geküsst haben. Auch Mira stammt aus der ostserbischen Stadt.
2) Mit dem Frieden von Passarowitz trat das Osmanische Reich das Temesvarer Banat und die Kleine Walachei (im heutigen Rumänien) sowie Nordserbien mit Belgrad und einen Grenzstreifen in Nordbosnien an Österreich ab. 1739 gingen die Gebiete mit Ausnahme des Banats mit dem Frieden von Belgrad wieder verloren.