Das Leben ist ein Ponyhof. Anja LerzЧитать онлайн книгу.
wurde sie für jedermann am Ort zur Pfarrkatze. Sonntags folgt sie mir bis zur Kirchentür. Dort wartet sie, bis der Gottesdienst vorbei ist, und nimmt anschließend die Huldigungen meiner Gemeindeglieder gnädig entgegen, die ihr ab und zu eine Kleinigkeit zustecken, zum Beispiel eine Kieler Sprotte oder ein Katzenleckerli.
Einmal jedoch ist es ihr gelungen, hinter mir in die Kirche zu schlüpfen. Diese Predigt war im wahrsten Sinne des Wortes für die Katz. Kein Mensch kann sich auf eine Predigt konzentrieren, während eine braune Tigerkatze mit geschäftiger Miene im Altarraum hin und her läuft und neugierig jeden Winkel erkundet.
Als liebsten Schlafplatz hat sie sich inzwischen meinen Talarkoffer erkiest, der innen wie außen liebevoll eingehaart wird. Auf Schwarz machen sich rotbraune Katzenhaare ganz wunderbar. Ich besitze zwar inzwischen drei Fusselrollen, die auch eifrig zum Einsatz kommen, aber die Katzenhaare sind einfach überall: In der Wohnung, auf meinen Kleidern, auf dem Talar, in meiner Beerdigungsagende, sogar am Aufgang zur Kanzel, weil sie sich da immer mit besonderer Hingabe reibt.
Im Konfirmandenunterricht will ich am Dienstag das Thema Schöpfung behandeln. Jessy liegt immer noch anmutig zusammengerollt auf dem Laserdrucker. Ein Bild völliger Entspannung. Ich lächle und fahre den Laptop wieder hoch.
„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“, steht in den Psalmen.
Heiter und gelassen, trotz brennender Hände, mache ich mich an meinen Unterrichtsentwurf. Ich werde die Konfirmanden wohl von ihren Haustieren erzählen lassen. Und leite dann über zum Lob des Schöpfers bei Franz von Assisi.
Inzwischen ist es Zeit für das Abendessen. Schwester Katze hat das Nickerchen auf dem Laserdrucker beendet. Sobald ich mich in der Küche zu schaffen mache, steht sie auf der Matte. Jedes Mal.
„Jessy, das ist Menschenfutter. Kein Katzenfutter. Dein Napf ist noch halbvoll.“
„Mau.“
„Ach, du arme, arme Mieze! Den ganzen Tag noch nichts gefressen. Dein böses Frauchen lässt dich bei lebendigem Leibe verhungern. Was für eine Gemeinheit.“
„Mau.“
„Also gut. Aber nur aus reiner Gnade!“
Ich werfe ihr also ein Stück Hühnchen hin, das – chrrr … – sofort dankbar verschlungen wird.
Es ist dunkel geworden. Ich schließe die Terrassentür und lasse die Jalousien herunter. Überflüssig zu erwähnen, dass Lady Gaga trotz später Stunde alsbald wieder an der Tür kratzt und raus will. Und dann wieder rein. Und wieder raus. So wird es gehen bis zum Jüngsten Tag. Katzen sind immer auf der falschen Seite der Tür.
Ich mache es mir gemütlich, zünde eine Kerze an, lege die Brandenburgischen Konzerte von Bach auf und setze mich mit einem guten Buch und einem Glas Rotwein aufs Sofa. Morgen ist Gottesdienst, gut, den Tag besinnlich ausklingen zu lassen.
Schrapp, schrapp, schrapp.
Ich stehe auf, das offene Buch in der Hand, und öffne lesend die Terrassentür. Katze rein. Gefühlt zum 97. Mal am heutigen Tag. Sie springt aufs Sofa, putzt sich und kratzt sich dann lange und hingebungsvoll hinterm Ohr. Dann setzt sie sich ganz aufrecht hin und legt den Schwanz in einem ordentlichen Kringel um sich herum. Sie schaut mir direkt in die Augen und blinzelt ganz langsam. Ich lege das Buch zur Seite, schaue ihr meinerseits tief in die Augen und blinzle zurück. Das Blinzeln ist das Lächeln der Katze. Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie viel Intensität im Blick einer Katze liegt. Einem Menschen freundlich und direkt in die Augen schauen, das macht, soweit ich weiß, kein anderes Tier.
So langsam erreiche ich Bettschwere. Ich bestücke eine Lebend-Mausefalle, die ich extra für solche Anlässe gekauft habe, mit zwei Rosinen aus meinem Müsli und stelle sie neben das Sideboard. Morgen werde ich die Wühlmaus auf freien Fuß setzen. Heute Nacht ist sie sicher, vorausgesetzt, sie geht in die Falle. Jessy beobachtet diese Aktion höchst interessiert. Dass Mäuse in diese Fallen gehen, weiß sie. Wie man so eine Falle öffnet und an den Inhalt kommt, zum Glück nicht.
Der Prophet Jesaja prophezeit ja, dass eines Tages im Reich Gottes die Löwen bei den Lämmern liegen und Kalb und Bärenjunges friedlich nebeneinander weiden werden. Wie das wohl für Katz und Maus ausgehen wird? Vielleicht gibt’s im Neuen Jerusalem Plantagen, auf denen vegetarische Mäuse angebaut werden? Karottenmäuse oder Kohlrabimäuse?
Ich spreche mein Abendgebet und gehe ins Bett. Und ja, ich gebe es zu: Ich bete nicht nur jeden Abend für die Nöte dieser Welt, sondern auch darum, dass Gott mir meinen Stubentiger noch möglichst lange erhält. Denn ohne ihn sähe ich wirklich ganz schön alt aus in diesem Käsenest und allein in diesem riesigen Pfarrhaus.
Ich knipse das Licht aus. Dann schlage ich meine Bettdecke sorgfältig um meine Füße, bevor ich sanft ins Reich der Träume gleite.
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