Die Krieger des alten Japan. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.
die Kusunoki in die Schlacht von Minatogawa geführt hatte, waren bald nur noch 70 am Leben, unter ihnen Masasue, sein jüngster Bruder. Mehrmals hatten sich die Brüder im Schlachtgetümmel aus den Augen verloren. Schließlich sah Kusunoki, wie Masasue, von Pfeilen übersät wie ein Igel, schwankend inmitten zahlloser Leichen stand und mit dem Schwert auf seine Gegner einschlug. Plötzlich wußte Kusunoki, daß das Ende gekommen war, und es erfaßte ihn eine tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden. Er blutete aus elf Wunden, doch er verspürte in diesem Augenblick keinerlei Schmerzen. Er hielt inne und blickte zum Himmel, der noch immer eine Hitze ausstrahlte wie geschmolzenes Blei. Es schien ihm, daß er durch das Geschrei und den Schlachtenlärm hindurch das besänftigende Geräusch der Wellen des Flusses hören konnte. Ja, das Ende war gekommen. Jetzt und hier.
Er gab seinem Bruder und einigen Samurai, die sich in seiner Nähe wie Löwen schlugen, Zeichen. Unweit von ihnen lag ein kleiner Bauernhof. Er hatte sich dafür entschieden, dort zu sterben, wie es sich schickte, wenn alles außer der Ehre verloren war. Die letzten seiner Heldenschar hielten den Brüdern den Rücken frei, damit sie sich unbehelligt zu dem Gehöft begeben konnten. Schließlich lächelte Kusunoki und fragte Masasue: »Welches ist dein letzter Wunsch?«
»Sieben Leben in dieser Welt zu haben«, erwiderte jener mit Nachdruck, »um die Feinde des Kaisers vernichten zu können.«52
Sie wechselten einen letzten Blick und stießen sich gegenseitig ihre Schwerter in den Leib, so daß sie wie aneinandergenagelt starben. Ihre letzten Getreuen, die ihnen gefolgt waren, taten es ihnen gleich, um sich Gefangenschaft und Schande zu ersparen.
43 Jahre war Kusunoki Masashige, als er starb. Der berühmt gewordene kurze Dialog mit seinem Bruder im Augenblick ihres Selbstmords ging in die Geschichte als »Shichisei Hôkoku« (»dem Kaiser sieben Leben lang dienen«) ein und wurde später zum patriotischen Wahlspruch bei Kamikaze-Operationen im Zweiten Weltkrieg.
Drei Tage nach der Schlacht am Minato-Fluß zog Ashikaga Takauji in Kyôto ein und erklärte den Kaiser Go-Daigo erneut für abgesetzt. Go-Daigo war noch die Zeit zur Flucht geblieben. Diesmal zog er sich in eine Gemeinde auf dem Berg Hiei zurück, wo er drei Jahre später starb. Zuvor hatte er Kusunoki posthum den Titel des Sakon-e-chûjô und den kaiserlichen Rang des Shô San-i zuerkannt. Nitta Yoshisada, dessen überstürzter Rückzug die Niederlage beschleunigt hatte, blieb dem Kaiser treu und setzte seinen Kampf gegen die Ashikaga fort. Aber noch im gleichen Jahr ereilte ihn in einer Schlacht sein Schicksal. Er war 38 Jahre alt geworden.
Der Sohn Kusunokis, Masatsura, trat in die kaisertreuen Fußstapfen seines Vaters. Nach der Niederlage am Minatogawa konnte seine Mutter ihn nur mit Mühe davon abhalten, seinerseits Selbstmord zu begehen, nachdem er mit dem schrecklichen Anblick des abgetrennten und bereits verwesenden Hauptes seines Vaters konfrontiert worden war. Takauji hatte es der Witwe des Helden zukommen lassen – verbunden mit dem Ausdruck seines Bedauerns. Fast zwölf Jahre nach diesen Geschehnissen, am 4. Februar 1348, griff das erwachsen gewordene Löwenjunge mit seinen kaisertreuen Truppen, die es um sich gesammelt hatte, das Heer von Kô-no-Moronao und Kô-no-Moroyasu, der Generäle des Shôguns Ashikaga Takauji, an. Die Schlacht fand bei Shijônawate statt. Der 23jährige Kusunoki Masatsura und mit ihm der Klan der Kusunoki wurden vernichtend geschlagen.
Der Untergang Kusunoki-Klans bei Shijônawate. Nach einem Holzschnitt von Utagawa Kuniyoshi.
Ashikaga Takauji53, der große Sieger in dieser Geschichte, war bereits 1338 offiziell zum ersten Shôgun der Familie der Ashikaga erklärt worden. Der Regierungssitz des neuen Shôgunats wurde in Muromachi, einem Stadtteil von Kyôto, eingerichtet. 1339 ließ Ashikaga einen Zen-Tempel erbauen, den Tenryû-ji, den er dem Andenken an seinen kaiserlichen Gegner, Go-Daigo, widmete.
In der Galerie der tapferen Krieger des alten Japan gilt Kusunoki Masashige als eine Persönlichkeit, deren Treue zu ihrem Ehrenwort sprichwörtlich wurde. Aber der Nachruhm Kusunoki Masashiges, des großen und edlen Verlierers in dieser Geschichte, begann erst lange Zeit nach seinem Tode. Im Jahre 1563, als noch immer die Nachkommen Ashikaga Takaujis die Macht im Lande ausübten, wurde er offiziell amnestiert. Jedoch galt er zunächst lediglich als wenig bedeutsamer, treuer Samurai, der für eine verlorene Sache gekämpft hatte. Erst im 17. Jahrhundert, unter den Tokugawa, begann seine Glorifizierung. Noch größere Verehrung wurde ihm während der Meiji-Restauration am Ende des 19. Jahrhunderts zuteil. 1872 wurde an dem Ort, an welchem er sich den Tod gab, ein Shintô-Tempel errichtet. Seinen Höhepunkt erlebte der Nachruhm Kusunokis während der Zeit der japanischen Militärherrschaft zwischen 1930 und 1945. 1945 wurde der Gegenangriff der Kamikaze-Flieger auf die amerikanische Pazifikflotte unter dem Codenamen »Kikusui« durchgeführt. Kikusui bedeutet »Chrysantheme auf dem Wasser«, und der Name sollte an die Chrysantheme erinnern, die das Wappen des großen Samurai zierte. Noch heute kann man eine Reiterstatue aus Bronze mitten auf der Esplanade des Kaiserpalastes in Tokio bewundern, die die Inschrift »Kusunoki Masashige« trägt. Früher war der Name noch mit dem Zusatz dainankô, »der Große«, versehen, doch im Zuge der traumatischen Niederlage der Japaner von 1945 wurde der Zusatz entfernt. Während zahlreiche Statuen ähnlicher Art, die in den Parks und in den Schulhöfen gestanden hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, hat man die des treuen Dieners des Kaisers Go-Daigo verschont.
Doch unabhängig davon, wie die verschiedenen politischen Parteien seinen Namen für ihre Zwecke ausnutzten, bleibt der Gefolgsmann des Go-Daigo in der Geschichte des japanischen Mittelalters ein Musterbild an Loyalität, Vaterlandsliebe und Heldenmut bis zur Selbstaufopferung. Er verkörperte den Typus des einsamen Getreuen, der zum Märtyrer wurde. Er war das vollendete Beispiel eines Samurai, der lange Zeit unbesiegbar war, weil er seine Kraft aus seiner Aufrichtigkeit (makoto) schöpfen konnte, und dies in einer Zeit, die durch Intrigen und das Trachten nach persönlichem Vorteil geprägt war. Seine Niederlage, aber auch sein Ruhm, erwuchsen daraus, daß er nicht mehr und nicht weniger war als ein ergebener Diener, und dies aus freien Stücken. Sein Dasein war von dramatischer Schicksalhaftigkeit geprägt, und es ist von jener für Japan charakteristischen Melancholie angesichts der Vergänglichkeit aller Dinge (mono-no-aware) durchdrungen.
Die nachhaltigste Spur, die Kusunoki Masashige in der Geschichte seines Landes hinterlassen hat, betrifft allerdings die Militärordnung. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts war die Kriegskunst bedeutenden Wandlungen unterworfen. Die unaufhörlichen Kleinkriege, mit denen Kusunoki die Truppen Ashikagas bedrängte, führten zu entscheidenden Veränderungen in der Ausrüstung der Kämpfer. Die Krieger mußten sich während der Auseinandersetzungen in den bergigen Regionen daran anpassen, daß sie zu Fuß kämpfen mußten und daß es häufig zu Zweikämpfen kam. Der Guerillakrieg, wie ihn Kusunokis Samurai während der Belagerungen der Festungen von Akasaka und Chihaya führten, offenbarte, daß leichtere Rüstungen und leichtere Waffen von Vorteil sein würden. Auch zeigte sich, wie wichtig es war, daß sowohl die Angriffs- als auch die Verteidigungswaffen für den Nahkampf geeignet waren. Somit war die Kriegsführung des Kusunoki Masashige der Auftakt für einen tiefgreifenden Wandel der Kriegstaktik.
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