Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.
Fendt-Traktor zwischen zwei Karpfenteichen heimwärts tuckerte, hinten dran ein vollbeladener Anhänger. Eine Bremse, einer dieser blutsaugenden Plagegeister umschwirrte damals Resers Gesicht. Verzweifelt und schimpfend schlug er nach dem Insekt und verlor dabei die Kontrolle über sein Gespann. Das machte sich selbstständig und steuerte auf den nächsten, abschüssig gelegenen Weiher zu. Der Reser hatte keine Chance mehr. Er flog in hohem Bogen in den Karpfenteich. Auch sein Fendt überschlug sich und begrub den Reser unter sich. »Je älter dass werdn, desto bleder werdns, die Mannsbilder«, meinte die Retta, als man ihr die traurige Botschaft überbrachte. »Warum is der alte Gaul ausgrechnet heit in den Wald naus gfoahrn? Hätt er mir lieber beim Staubsaugn gholfn.«
Seit diesen Ereignissen treffen und sehen sich die beiden Witwen fast täglich, teilen ihr gemeinsames Leid und genießen andererseits ihr Leben in ihrer fränkischen Heimatgemeinde. Sie sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Während Rettas zwei erwachsene Töchter in den USA leben, ist Kunnis Ehe kinderlos geblieben. Nur Gerald Fuchs, Kunnis Neffe, lebt noch in Röttenbach. Er ist Kommissar der Mordkommission Erlangen. Persönlichen Kontakt haben die beiden selten, leben sie doch in einem ständigen, unausgesprochenen Wettbewerb, was das Aufklären von Verbrechen anbelangt. Denn gewisse Eigenarten haben sie schon, die beiden Witwen. Seit ein paar Jahren haben sie sich der Kriminalistik verschrieben und schon so manchen komplizierten Kriminalfall gelöst. Dem Erlanger Kommissar waren sie dabei meist eine Nasenlänge voraus.
VORWORT II
Dass unsere Geschichte nicht im schönen Franken beginnt, sondern in der steinigen Oberpfalz, hat dreierlei Gründe: Zum einen liegt das an der gebürtigen Bad Tölzerin Roserl Hinterwimmer, der oberbayerischen, rothaarigen Nutte, welche in der oberpfälzischen Metropole Amberg ihrem Gewerbe nachgeht – zum anderen an der Tatsache, dass das kleinste Fünf-Sterne-Hotel der Welt, das Eh’häusl, ebenfalls in der oberpfälzischen Stadt beheimatet ist, und drittens, dass über das Roserl – weit entfernt im italienischen Kalabrien – vor Monaten ihr Todesurteil gefällt wurde. Dennoch könnte sich der eine oder andere Leser berechtigterweise die Frage stellen: Was hat die Oberpfalz mit einem Frankenkrimi zu tun? Aber eins nach dem anderen.
Eh’häusl? Sie haben richtig gehört. Das Eh’häusl, ist das kleinste Fünf-Sterne-Hotel der Welt, ein einmaliges Kleinod – ohne Portier. Im Jahr 1728 soll es von einem Amberger Bürger erbaut worden sein. Damals durften Heiratswillige nur dann vor den städtischen Traualtar treten, wenn sie einen schuldenfreien Haus- und Grundstücksbesitz nachweisen konnten. Die Stadtväter wollten mit diesem Erlass erreichen, dass sich die Geburtenrate bei finanziell weniger gut bestellten Paaren in Grenzen hielt. Sie wollten dem Bettler- und Landstreichertum nicht auch noch Vorschub leisten. Na, jedenfalls kaufte seinerzeit der besagte Amberger Bürger, ein findiger Bräutigam, einen kleinen, brachliegenden Hofraum zwischen zwei eng beieinanderstehenden Häusern, ließ dazwischen eine Vorder- und Rückwand errichten und setzte dem Ganzen ein Dach oben drauf. Schon war ein kleines, schmales Haus entstanden. Nach den Flitterwochen verkaufte er sein Eigentum an ein anderes, heiratswilliges Paar, und so ging das viele Jahre weiter. Erst im Jahr 1976 kam die Stadt Amberg auf die Idee, das kleine Anwesen zu einem Spitzenhotel der Extraklasse auszubauen – ideal geeignet für genau zwei Personen – Romantik pur inklusive.
Fast dreihundert Jahre lang wurde im Eh’häusl nie jemand ermordet, bis zum 3. Juli 2015. Der Täter, ein gebürtiger Franke, auf dem besten Wege ein wichtiges Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft, der Ndrangheta, zu werden, das Opfer eine Edel-Nutte, geboren in Bad Tölz, derzeit wohnhaft in Amberg. Bevor es nun gleich los geht, ist nur noch eine Frage zu klären: Wer oder was ist die Ndrangheta? Ndrangheta! Ein Wort aus dem Altgriechischen, jener Sprache des Dichters Homer, die in einem Dialekt Kalabriens auch heute noch weiterlebt. Andragathia, das heißt Mannhaftigkeit. Dem Ursprungsmythos nach sind in fernen Zeiten drei Ritter aus Katalonien gekommen, Osso, Mastrosso und Carcagnosso. Die drei Spanier kamen ins Land, um die Ehre ihrer Schwester zu retten und einen Mann zu töten. Für ihre Tat wurden sie auf die sizilianische Insel Favignana verbannt. Am Ende ihrer Haft verfassten sie den ersten Verhaltenskodex und das Gesetz der Omertà. Sie gründeten drei Geheimgesellschaften – Osso die Cosa Nostra auf Sizilien, Mastrosso die Ndrangheta in Kalabrien, Carcagnosso die Camorra in Neapel.
Heute ist die Ndrangheta die modernste und mächtigste Organisation im Kokaingeschäft, ein molekulares Netz, zusammengehalten durch strengste Regeln, überlieferte Traditionen und Blutsbeziehungen. Eine Struktur wie Granit, das Opus Dei der organisierten Kriminalität. Aus den Bergdörfern der ausgedörrten, felsigen Südspitze Italiens demonstriert sie ihre Macht bis nach Adelaide in Australien und nach Caracas, Venezuela. Mit ihren privilegierten Beziehungen zu den Drogenbaronen in Kolumbien hat sie die Kontrolle über den Kokainmarkt Europas übernommen. Doch ihre tentakelartige Struktur reicht auch bis in die letzten Winkel deutscher Provinz. Die Stadt Erfurt zum Beispiel, nicht zu groß, nicht zu klein, ist eine ihrer deutschen Hochburgen. Von hier aus unterhält die Ndrangheta Beziehungen nach Fulda, Weimar, Dresden und Leipzig, selbst bis ins Ruhrgebiet, verwaltet ihre Finanzen und investiert in Portugal, Spanien und Frankreich. Sie kooperiert mit gewaltbereiten Armeniern, die ihre Getränkeläden, Shisha-Bars und ein Netz von Autohäusern in ganz Thüringen aufgebaut haben. In der Nacht zum 15. August 2007 starben in der Mühlheimer Straße in Duisburg sechs Männer im Kugelhagel und Deutschland musste ein neues Wort lernen. Und es gibt eine Chance, dass sich dieses Wort genauso in unsere Alltagssprache einbürgern wird wie Caffè Latte, Gnocchi und Spaghetti vongole: Ndrangheta.
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Der 3. Juli 2015 begann genauso heiß und drückend, wie es die Tage zuvor schon waren. Wieder kletterte die Quecksilbersäule im Lauf des Tages auf sechsunddreißig Grad im Schatten. Ganz Süddeutschland stöhnte unter der bleiernen Hitze. Auch die oberpfälzische Metropole Amberg blieb nicht davon verschont. Die Rasenflächen der öffentlichen Parkanlagen zeigten ein durchgängig vertrocknetes Hellbraun. Nur hie und da widerstand ein hartnäckiger Löwenzahn und schob seine gezackten grünen Blätter durch die verbrannte Erde. Träge schlichen die Menschen über die Kopfsteinpflaster in der Altstadt. Das Café Zentral, gleich neben dem historischen, gotischen Rathaus, hatte seine breite, schattenspendende Markise bis zum Anschlag ausgefahren. Darunter versteckten sich die Gäste vor den sengenden Strahlen der glühenden Sonne. Ein freies Plätzchen war nicht mehr zu finden. Die Besucher schlapperten ihre Eisbecher und Eiskaffees in einer affenartigen Geschwindigkeit in sich hinein, bevor sich die Vanille-, Schoko-, Erdbeer- und Mangoeiskugeln von selbst in eine breiige Flüssigkeit auflösen konnten. Nicht der kleinste Windhauch strich über den altehrwürdigen Platz. Die ganze Stadt litt unter der nachmittäglichen Hitze. Im Kurfürstenbad an der Vils plärrten und lärmten Schüler und Jugendliche und füllten die Badebecken. Selbst die Stockenten auf dem nahen Fluss hatten sich in den schattigen Uferbereich verzogen und warteten geduldig auf den Sonnenuntergang. Noch war es nicht so weit. Wer in der Stadt nichts zu besorgen hatte, und nicht im klimatisierten Büro seiner Arbeit nachging, hatte zu Hause Tür, Tor und Fenster verrammelt, um die kriechende Hitze auszusperren. Doch auf Dauer halfen auch diese Maßnahmen nichts. Das anhaltende Wüstenklima drang auch durch die dicksten Mauern und bestens isolierten Glasflächen.
Auch die Rosi, genauer gesagt die Roserl Hinterwimmer, gebürtige Bad Tölzerin, litt unter der Hitzewelle. In ihrem Arbeitszimmer unter dem Altbaudach in der Seminargasse schwitzte sie einsam vor sich hin. Das Geschäft ging äußerst schlecht in diesen Tagen. Es war quasi zum Erliegen gekommen. Kein Wunder, bei diesen Tagestemperaturen. Welcher Freier wollte bei dieser Affenhitze tagsüber schon bumsen? Selbst die taffen und immer geilen US-Boys vom nahe gelegenen Truppenübungsplatz Grafenwöhr blieben aus. Sie bevorzugten ihre Baracken und Zeltlager, und wer nicht gerade Dienst schob, döste träge vor sich hin. Das Roserl wusste nicht so recht, ob sie darüber froh sein oder sich ärgern sollte. Einerseits trauerte sie den entgangenen Einnahmen nach, andererseits, wenn sie sich vorstellte, wie bei dieser Hitze ein schwitzender, stinkender Freier sich unter oder über ihr abrackerte, nur um zu seinem Höhepunkt zu kommen … Ekelig. Na ja, das Leben hat immer zwei Seiten. Es sah nicht gut aus derzeit. Viel zu heiß. Lediglich einen einzigen Stammkunden konnte das Roserl in dieser Woche beglücken. Das war gestern Abend. Moritz mit dem kleinen Schniedel hatte sie mal wieder besucht. Moritz, mit dem leichten fränkischen Dialekt. »Ich täts gern ohne Gummi machen«, bildete