Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.
der Brenner und der ganze italienische Stiefel lagen noch vor ihm. Seine Frau Francesca, geborene Antonelli, hielt die Stellung in dem neu erworbenen Mühlenanwesen. Auch wenn es bis zu den Sommerferien nicht mehr so lange hin war, vier Wochen mussten Emanuele und Filippo, die beiden sieben- und neunjährigen Söhne, den Schulalltag noch über sich ergehen lassen. Ohne Vater. So war auch Mama Francesca gezwungen, die wenigen Wochen bis zum Ferienbeginn noch im beschaulichen Aischgrund auszuharren, bevor sie und die beiden Kinder ins Flugzeug steigen und ihm nachreisen konnten. Wie jedes Jahr trieb es die Familie auch heuer wieder in die süditalienische Heimat ihrer Eltern und Großeltern. Emanuele und Filippo freuten sich schon auf Oma und Opa, welche sie immer wieder aufs Neue verwöhnten. Il Tedesco, Francescas deutscher Ehemann, fuhr ihr schon in ihre Heimat voraus. Nicht weil er es dort besonders schön fand oder ihrer überdrüssig war, nein, ihr Vater Calippo hatte ihn darum gebeten. »Ich muss mit deinem Mann reden«, hatte er seiner Tochter am Telefon erklärt. »Es geht um etwas Geschäftliches«. Worum im Einzelnen, das wusste sie nicht, und das interessierte sie auch nicht. Männersache. Francesca wusste schon von Kindesbeinen an, dass Papa schon immer ein Clanchef der Ndrangheta war. Aber auch für sie galt, was für alle Frauen in der Region gilt: Loro vedono. Sanno. Non chiedono – Sie sehen, Sie wissen. Sie fragen nicht. Papas Wort galt. Er wusste, ob etwas wichtig oder weniger wichtig war, ob eine Sache dringend erledigt werden musste oder noch Zeit hatte. Francesca war weder blind noch naiv. Sie wusste, dass sich ihr Vater mit illegalen Dingen beschäftigte. Sie sah es, aber sie sagte nichts, wie alle Frauen der Mafiamitglieder. Sie war damit groß geworden. Im Gegenteil, sie war stolz, dass Papa ihren deutschen Mann schon vor langer Zeit in sein Herz geschlossen hatte. Die beiden hatten sich von Anfang an gut verstanden und ihr Vertrauen zueinander war von Jahr zu Jahr gewachsen. Sie hatte ihren Favorito, wie sie ihren Mann liebevoll nannte, auf einer Mittelmeerkreuzfahrt kennen und lieben gelernt. Er war schon damals ganz anders als die meisten italienischen Männer, welche sie kannte. Ruhiger, zuverlässiger, rücksichtsvoller, stellte sich nicht ständig in den Vordergrund. Er hörte gerne zu, sah unheimlich gut aus und war der perfekte Liebhaber. All die positiven Eigenschaften hatte ihr Favorito bis heute konserviert und sie wusste, dass er ihr in all den zurückliegenden Jahren immer treu geblieben war und sie sprichwörtlich immer noch auf Händen trug. Ihr Mann arbeitete hart, war aber berufsbedingt leider sehr oft unterwegs. Umso mehr liebte Francesca das Leben an seiner Seite, wenn er mal zu Hause war. Sie war glücklich und stolz auf ihre beiden Söhne, denen sie den dunklen Teint und die kohlschwarzen Augen vererbt hatte, und sie freute sich schon jetzt auf das baldige Wiedersehen mit ihrem Mann im fernen Platì.
*
Il Tedesco, alias Il Favorito, alias Rolf war nach einer langen, ermüdenden Autofahrt gut in Platì, an der Stiefelspitze Italiens, angekommen. Das abgelegene kalabrische Bergdorf am Fuß des Aspromonte, des rauen Berges, mit seinen knapp viertausend Einwohnern, krallte sich mit seinen halb verfallenen Häusern regelrecht in das Bergmassiv. Auf jeden fremden Betrachter machte es auf den ersten Blick einen ärmlichen Eindruck. Die nahezu entvölkert wirkende Ortschaft mit ihren brüchigen Hausfassaden, welche teilweise sogar Einschusslöcher zeigten, den unbefestigten Straßen und Gassen voller großer und kleiner Schlaglöcher, auf denen nach einem heftigen Regenguss die umbra-braune Brühe den Berghang hinabstürzte, gab, eingesäumt von grünen Wiesen und Olivenhainen, ein wildromantisches Bild her. Doch hier zu leben, inmitten einer der Hochburgen der kalabrischen Mafia, welche selbst italienische Polizeibeamte meiden wie der Teufel das Weihwasser, war eine andere Sache. »Warum wird hier nicht investiert?«, hatte er seinen Schwiegervater schon vor längerer Zeit gefragt, als der ihm anvertraute, dass er in der Ndrangheta ein hohes Tier sei.
»Wir wollen es nicht«, hatte dieser ihm gesagt. »Wir wollen keine Autobahn, die bis hierher führt. Keine Kindergärten, keinen Sportplatz, kein Schwimmbad, nicht mal eine funktionierende Kanalisation.«
»Warum nicht? Eine funktionierende Infrastruktur würde eure Bürger doch viel zufriedener machen.«
»Genau deswegen. Es würde sie in ihren Ansprüchen verderben. Platì muss arm bleiben. Nur so können wir Auftragskiller schon für zweitausendfünfhundert Euro anheuern. Lieber geben wir unseren eigenen Leuten etwas, als allen.«
Il Tedesco hatte das Prinzip schnell verstanden. Die Mafia brauchte die Armut, um ihre Geschäfte wirksam umzusetzen. Auch das Haus seines Schwiegervaters sah von außen erbärmlich arm aus. Es hätte schon längst einen neuen Anstrich vertragen. Der weiße Putz blätterte von den nackten Wänden. Der Eisenzaun um das Grundstück herum rostete still vor sich hin und die gesamte Gartenanlage mit dem wuchernden Unkraut wirkte ungepflegt und total vertrocknet. Kein Besucher, der das Haus zum ersten Mal betrat, hätte mit dem Luxus gerechnet, welche die Innenarchitektur des Anwesens bot. Der Eingangsbereich war mit feinstem weißen Marmor ausgelegt, ebenso wie die breite Treppe, welche in das Obergeschoss führte. Die Armaturen in den vier Badezimmern waren vergoldet. Überall die neueste IT-Ausstattung: Riesige Flachbildschirme hingen an den Wänden. Die moderne Sicherungstechnik übertrug mittels versteckter Kameras im Außenbereich jeden Winkel auf dem Grundstück und in der Nähe des Hauses. Neben den vier Bädern, den drei Gästezimmern und der riesigen modernen Wohn-Essküche gab es noch drei weitere Schlafzimmer, eine alte Bibliothek, ein Zimmer mit einem riesigen Fernsehgerät und ein nicht gerade kleines Besprechungszimmer. Das Haus war praktisch in den Aspromonte hineingebaut.
Calippo Antonelli stand in der Hierarchie der Ndrangheta, zumindest in Platì, mit an vorderster Stelle. Seine fünfundsechzig Jahre sah man ihm nicht an. Obwohl von der süditalienischen Sonne verwöhnt, hatte sein Gesicht nur wenige Falten. Seine nach hinten gekämmten Haare waren noch voll und zeigten nur hie und da ein paar wenige silberne Fäden. Mit seinen ein Meter zweiundachtzig gehörte er zu den wenigen hochgewachsenen Männern des Dorfes. Man hatte ihn noch nie in typischer Freizeitkleidung gesehen, stets trug er elegante, schlank geschnittene, dunkle Anzüge und rote Slipper aus feinstem Leder. Lediglich die Krawatte sparte sich Calippo. Er war einer der einflussreichen Associazionei, Mitglieder eines Rates, den nur Familienoberhäupter erreichen können. Seit zehn Jahren war sein Schwiegersohn, den er nur Il Tedesco nannte, nun mit seiner einzigen Tochter Francesca verheiratet, hatte ihm zwei wunderbare Enkel geschenkt und zeigte sich in all den Jahren immer als loyal, höflich, zurückhaltend und familienverbunden. Er, Calippo, hatte ihn getestet – testen lassen. Angebliche Polizeibeamte hatten Il Tedesco auf die Rolle seines Schwiegervaters innerhalb der Mafiaorganisation angesprochen, hatten ihm gedroht und ihn verhört. Calippo Antonelli hatte milde und zufrieden gelächelt, als seine Leute ihm berichteten: Kein einziges verräterisches Sterbenswörtchen kam über die Lippen seines Schwiegersohnes. Selbst Drohungen ließen ihn kalt. Er blieb stumm wie ein Fisch. Calippo war mächtig stolz auf ihn. Ohne ihn vorher zu instruieren, hatte sein Schwiegersohn von selbst das Prinzip der Falsa Politica befolgt. Er hatte die richtige Sprache gegenüber den angeblichen Polizisten gewählt. Niemals sollte die Polizei die Wahrheit über die Ndrangheta erfahren. Nun war es an der Zeit, ihn in die Geschäfte der Ehrenwerten Gesellschaft einzubinden. Andere Associazioneis, insbesondere die Führer aus den Familienclans der Nirtas, Faraos und Romeos hatten noch Bedenken. Damals vor vier Monaten. »Er ist nicht von eurem Blut. Du musst ihm noch eine Aufgabe geben, welche er ohne zu zögern ausführt«, hatten sie gefordert. »Er darf auch vor einem Mordauftrag nicht zurückschrecken.« Calippo hatte lange überlegt, welche Aufgabe er seinem Schwiegersohn geben sollte, um auch die anderen Clanführer zu beeindrucken. Dann war ihm dieses Luder in Deutschland wieder eingefallen, welches damals gegen seinen Sohn Luigi ausgesagt hatte und wieder auf der Zeugenliste der italienischen Staatsanwaltschaft stand. Er erinnerte sich an sie. Er hatte Fotos von ihr in der Presse gesehen. Ein geiles Luder. Nicht wirklich bedrohlich für die Organisation, aber es würde auch nicht schaden, wenn sie nicht mehr aussagen konnte. Sie war eine der vielen ehemaligen Liebschaften seines Sohnes und ideal für die Aufgabe, für den Test, den die anderen Clanoberhäupter forderten.
»Finde und töte sie«, hatte er seinem Schwiegersohn vor Monaten gesagt. »Wenn du die Prüfung bestehst, wirst du einer von uns.« Dann hatte er ihm die Colt 1911 A1, Kaliber 45, in die Hand gedrückt und ihn nochmals ermahnt. »Sprich mit niemandem darüber, auch nicht mit Francesca.« Il Tedesco hatte die Prüfung mit Bravour bestanden, wie sich nun zeigte. Nicht dass Calippo daran auch nur die geringsten Zweifel gehabt hätte, aber die Professionalität und Geschwindigkeit, die