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Psychodelica. Patrik KnotheЧитать онлайн книгу.

Psychodelica - Patrik Knothe


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und gelacht. Nach Feierabend sei sie an mir vorbeigelaufen, habe mich jedoch nicht wecken wollen und sei nochmals zum Café zurückgekehrt, um das Getränk zu besorgen. Ob ich denn heute Abend schon etwas vorhätte …

      Ich hatte mich nicht in ihr getäuscht! Wusste ich es doch, dass sie nicht zu der Sorte gehörte, die sich naserümpfend von jemandem abwandte, der seelenruhig an einem Brunnen den Trick vollführte! Vielleicht hätte ich es ihr auch gleich sagen sollen, was ich auf den Granitssteinen getan hatte. Doch schließlich war es erst unser zweites Gespräch und ich war mir unsicher, wie viele Abnormalitäten sie ertragen konnte.

      Am Seeufer war es nicht ansatzweise so bevölkert, wie in der Innenstadt. Nur ein paar kleine Grüppchen von Studenten genossen sorglos die Abendsonne und ich sah mich plötzlich einer ganzen Reihe von lieblichen Eindrücken ausgesetzt: Kerzenlichter zur mystischen Stimmungsmache, das Geräusch aneinander schlagender Flaschen, junge Frauen mit langen, glänzenden Haaren und Hornbrillen, die sich im Schneidersitz gegenüber saßen und sich nicht um irgendwelche Grasflecken scherten, schlanke, wuschelhaarige Männer, die mit nacktem Oberkörper und hinter dem Kopf gefalteten Händen auf dem Rasen lagen, Fahrräder, Tischgrillsets, brutzelnde Würste, Fußbälle, spanische Gitarren. Nichts Schlechtes, nichts Böses war hier und ich fühlte mich wieder wie im weinroten Nebelmeer und so gar nicht in einer Stadt unter Städtern.

      Hätte ich den Studenten an diesem milden Abend erzählt, dass ihre wuschligen Köpfe und Kerzenlichter bald der Vergangenheit angehörten, sobald sie sich erst einmal als nützlich erweisen würden, so hätte mir mit Sicherheit keiner von ihnen geglaubt. Wer konnte es ihnen verübeln! – Ich glaubte es ja selbst kaum …

       XVII

      Zu meiner Überraschung sah ich Rosa am Ufer sitzen, ein halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit. Mit verzauberter Miene, die blutroten Lippen wieder leicht geöffnet, las sie in einem Buch und ließ ihre nackten Waden in den See baumeln.

      „Was liest du denn da?“, fragte ich und sie blickte verwundert auf.

      Die widerspenstige, brünette Strähne war sowohl ihrem Zopf als auch ihrem Ohr entkommen. Sie hing direkt über ihrem nachtblauen rechten Auge.

      „Homers Odyssee …“, antwortete sie.

      Ein besseres Buch könne man an diesem Tag kaum lesen, gab ich zurück und setzte mich neben sie. In ihrer WG sei es viel zu laut gewesen, weshalb sie sich bereits kurz nach Feierabend hierher aufgemacht habe, sagte sie, hob ihre nass schimmernden Beine aus dem Wasser und ich beobachtete, wie die Tropfen bis zu ihren Füßen hinunterglitten und zurück in den See fielen.

      Rosa sagte, sie studiere Physik, Deutsch und Philosophie auf Lehramt und stehe kurz vor dem ersten Staatsexamen.

      „Eine ungewöhnliche Fächerkombination“, erwiderte ich.

      „Oh, wie oft ich das schon gehört habe“, lachte sie. „Macht den Anschein, als wüsste ich nicht, wohin mit mir, nicht wahr?“

      „Nicht für mich! Macht eher den Anschein, als hättest du sehr viel verstanden.“

      „Was denn verstanden?“

      „Dass im Zusammenspiel von Geist und Natur die Wahrheit liegt; nicht nur in einem von beiden. Aber ich bin kein Wissenschaftler. Nur ein …“

      ‚Nutzloser‘ wollte ich sagen, doch aus irgendeinem Grund schämte ich mich, es auszusprechen.

      „Was bist du?“, fragte sie spielerisch, strahlte mich an und unsere Schultern berührten sich.

      Ich erzählte ihr aus meinem Leben und war zuerst erstaunt, mit welch einer Faszination sie die – mir bedeutungslos anmutenden – Fakten meines Lebens aufzusaugen schien. Je länger jedoch die Sätze aus mir heraussprudelten, desto eher beschlich mich das Gefühl, dass es Rosa viel mehr darum ging, mich anzusehen und mich sprechen zu hören, als sich den Namen meiner Schwester oder die Höhe des Berges hinter unserem Alpen-Haus zu merken. Vielleicht hätte mich das stören sollen. Doch eigentlich war es völlig egal, was ich sagte. Solange sie mir zuhörte.

       XVIII

      Die Sonne verschwand hinter den monströsen Hochhäusern und wir beschlossen, einen Spaziergang am See zu machen. Als wir uns aus dem Wasser erhoben, trat Rosa auf einen spitzen Stein, stolperte und fiel auf die Knie. Kurz schrie sie auf und ich rechnete bereits mit Schlimmerem. Aber sowie ich sie stützend zurück auf den Rasen begleitete, musste ich sofort an die Kinder denken, die beim Herumtollen laut auf den Boden stürzen und im Anschluss eher aufgrund des Schrecks als wegen des Schmerzes anfangen zu weinen. Wie die Kinder war auch Rosa schon im nächsten Moment wieder bester Laune und ein angenehmes Kribbeln durchlief mich, als mir bewusst wurde, dass einer meiner Arme um ihre Hüften geschlungen war und ich ihre Hand hielt.

      Als wir auf dem Rasen saßen und ich ihre leicht aufgeschürften Knie begutachtete, fühlte ich mich plötzlich wie fremd gesteuert und mir war, als könne ich mich selbst von außen beobachten. Ich sah ihr tief in die Augen und hörte mich Homer zitieren:

      „Und Odysseus umschlang mit den Händen der Königin Knie; Und mit einmal zerfloss um ihn das heilige Dunkel.

      Die meisten Frauen, die ich kannte, hätten daraufhin nur gelacht und sich abgewandt. Rosa jedoch hielt meinem Blick stand und erwiderte:

      „… er glich dem waldigen Gipfel

      Hoher Kettengebirge, der einsam vor allen emporsteigt.

      Ich hielt meine Hand schützend auf ihre aufgeschürften Knie und küsste sie auf die blutroten Lippen.

       XIX

      „Weißt du, dass du mich eben mit einem grässlichen Ungeheuer, einem Riesen, verglichen hast?“, fragte ich.

      Wir gingen Hand in Hand am See entlang und das Licht der Laternen spiegelte sich auf dem Wasser. Ein leichter Wind verwandelte den Widerschein in tausende, fröhlich tanzende Glühwürmchen. Beinahe wie die fliegenden Mücken meines Tricks.

      „Ach komm!“, erwiderte sie lachend. „Dafür, dass ich die Geschichte noch nicht gut kenne, war das gar nicht schlecht.“

      Ich blickte nach oben zu den funkelnden Sternen. War ich jemals glücklicher gewesen als heute? Der Himmel war plötzlich überall, selbst dort, wo sich eben noch die Wohnhäuser, Kirchen und Einkaufszentren der Stadt befunden hatten. Die wild verstreuten, grell strahlenden Fenster waren zu Sternen geworden. Die dunklen Mauern, Dächer und Schornsteine verschmolzen mit der Schwärze der Nacht. Gerade als ich überprüfen wollte, ob zumindest der Uferboden noch da war, wo er sein sollte, wurde die Stille von einem ohrenbetäubenden, tiefen Brüllen zerrissen. Erschrocken fuhr ich herum.

      Es war nicht mehr Rosa, die neben mir ging, sondern ein Löwe – riesig, gewaltig, mit wackelndem Schwanz und weit geöffnetem Maul, so dass seine fingerlangen Eckzähne aufblitzten. Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit, doch war die Nacht so hell, dass immer wieder kurz ein Hauch von Bernstein in ihnen zu erkennen war. Seltsamerweise verschwand meine Furcht sofort, als ich sah, von wem das Brüllen gekommen war. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, hörte ich mich erleichtert zu dem Löwen sagen. „Du hättest mich wenigstens vorwarnen können, dass du gleich brüllst.“

      „Ich bin ein Löwe und muss niemanden vorwarnen, wenn ich brüllen will“, antwortete er und ich meinte, seine tiefe, angenehme Bariton-Stimme schon einmal irgendwo gehört zu haben.

      „Vielleicht hättest du es aus Höflichkeit tun können“, gab ich zurück.

      „Dann wäre aber der Überraschungseffekt verloren gegangen und auf den kommt es doch an! Ach, sei nicht wütend“, sagte er und streifte mich zärtlich mit seiner weichen Mähne. „Ich bin nun einmal ein Löwe.“

      „Ja, das sagtest du schon.“

      Ich senkte verwirrt den Blick und stellte zu meiner Überraschung fest, dass auch der Boden mit Sternen bedeckt war. Ich vermochte allerdings nicht zu erkennen, ob wir nun wirklich auf ihnen gingen oder sie –


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