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»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.

»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig


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Bauer sah auf das Ziffernblatt der hohen Standuhr. »Wird heut net der Bergdoktor wiederholt?«, wollte sie von Kunni wissen, während sie ein Stück Zwetschgenkuchen auf ihren Kuchenteller schaufelte und aus der Glasschale zwei turmhohe Sahnehäubchen oben drauf klatschte.

      »Weiß net, schalt halt den Fernseher ein«, antwortete die Kunni, während sie die beiden Kaffeetassen mit duftendem Kaffee füllte, jeweils zwei Süßstoff-Tabletten dazu gab und die dunkle Brühe kräftig umrührte. »Milch auch?«

      »Freilich, ohne Milch schmeckt doch der Kaffee net.« Margarethe Bauer drückte auf der Fernbedienung des Fernsehers herum. Das Gerät knisterte und kurz darauf erschien eine Fernsehreporterin in Großaufnahme. Ihr Gesichtsausdruck wirkte wie versteinert. In der rechten Hand hielt sie einen aufgespannten, geblümten Regenschirm, in der linken ihr Mikrofon mit dem ZDF-Logo. Der Wind zerrte an ihrer dunklen Afro-Frisur und schaukelte den Regenschirm hin und her. »Is des net in Nermberch?«, warf die Retta ein.

      »Hab ich mir a grad denkt«, bestätigte die Kunni zweifelnd.

      »Was isn da scho widder passiert?«

      »Ruhich, leise!«

      »… seit einer knappen Stunde sind auch die staatlichen Ermittlungsbehörden vom Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz am Ort der Verwüstung«, berichtete die Reporterin mit aufgeregter Stimme. »Im Hintergrund sehen sie das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg oder besser gesagt das, was davon noch übrig geblieben ist. Heute Morgen, um Ortszeit neun Uhr eins, eine halbe Stunde nach Öffnung, explodierten unmittelbar vor dem Gebäude zwei Sprengsätze, welche über Funk gezündet wurden und sich in einem in Fürth gestohlenen VW Golf befanden. Soweit bekannt ist, fielen dem Anschlag zehn Menschen zum Opfer, sechs weitere liegen schwer verletzt in den Erlanger Kliniken und zahlreiche andere Personen wurden durch umherfliegende Splitter leicht verletzt. Hinter mir sieht es aus, wie nach einem Bombenangriff.« Die Kamera zoomte das schwer beschädigte Gebäude heran und schwenkte Sekunden später wieder auf die zerzauste Berichterstatterin zurück. »Das Türkische Generalkonsulat sowie die nebenstehenden Gebäude sind schwer beschädigt. Wer für den schrecklichen Anschlag verantwortlich ist, ist bis dato noch nicht bekannt. Ein Bekennerschreiben gibt es, soweit uns bisherige Informationen vorliegen, nicht. Von der Polizei und der zuständigen Staatsanwaltschaft unbestätigt hält sich allerdings ein hartnäckiges Gerücht, demzufolge hinter dem verabscheuungswürdigen Terrorakt vermutlich eine palästinensische Großfamilie stecken könnte, die in Berlin beheimatet sein soll. Die Gerüchte besagen, dass Teile dieser Familie Mitglieder der Organisierten Kriminalität sind und dass die Motive des schrecklichen Bombenanschlags möglicherweise im Bereich eines persönlichen Rachefeldzuges liegen könnten, welcher einem getöteten Mitarbeiter des Konsulats gegolten haben soll. Warum bei dem Anschlag allerdings weitere neun unschuldige Menschen ihr Leben lassen mussten, nun, diese Frage ist im Moment noch völlig ungeklärt. Die Polizei vor Ort hat für heute um dreiundzwanzig Uhr eine Pressekonferenz anberaumt. Viele Fragen bleiben im Moment noch offen. Wir berichten weiter. Bleiben Sie dran. Und nun schalten wir zurück ins Studio Mainz. Es folgt die Wiederholung der Sendung Die Fischers Froni und der Jägers Toni, aus unserer Serie Der Bergdoktor

      »Glaubst du das mit der palästinensischen Großfamilie?«, wollte die Kunni, sichtlich erschüttert, wissen und schob sich ein Stück Kuchen in den Mund.

      »Könnt scho sein«, antwortete die Retta, »das sind doch sowieso alles Schlaggn und Gauner, die Palästinenser. Wie die scho ausschaua! Mit ihre Bärt und stiere Blick. Zum Fürchtn. Da brauch ich mich doch bloß an den Arafat zu erinnern, mit seinem komischen Kopftuch und den kleinen, listigen Schweinsaugen. Von denen kannst du doch keinem net traun. Das sind doch alle Gangster und Verbrecher.«

      »Aber die bringen doch keine zehn Leut net um, die mit ihnen gar nix zu tun ham. Mirnixdirnix. Am helllichten Tag noch dazu. Also ich glaub des net. Wenns die NSU noch geben tät, dann tät ich sagn, da stecken die dahinter.«

      »Meinst du?«, zweifelte Margarethe Bauer und griff sich ihr zweites Stück Kuchen. »Hast du noch an Kaffee? Ist das die Milde Sorte vo Tchibo? Hast ganz schön stark gmacht. Hoffentlich kann ich heut Nacht schlafen.«

       16

      Nicht nur Ahmet Özkan hatte vor Jahren unfreiwilligen Kontakt mit dem syrischen Geheimdienst, auch die palästinensische Großfamilie Abusharekh in Berlin-Neukölln pflegte rege Beziehungen mit den Glaubensbrüdern, wobei sich diese Aktivitäten jedoch am Rande der Legalität bewegten. Ali, der Familienvorstand, stand politisch dem syrischen Regime und dem Führungsgremium der Baath-Partei sehr nahe. Er unterstützte den 1969 gegründeten Geheimdienst der Syrer, indem er schon so manchen in Deutschland aktiven Regimefeind diskreditiert hatte. Einige unaufgeklärte Morde und Entführungen wären ohne seine Informationsbereitschaft nicht geschehen. Obwohl Ali Abusharekh bei seinen Kontakten sehr vorsichtig war, war ihm der Bundesnachrichtendienst doch auf die Schliche gekommen und hatte auch den Verfassungsschutz informiert. Ali Abusharekh wurde von Zeit zu Zeit observiert, sein Festnetz- und sein Mobiltelefon wurden vom BND abgehört.

      Doch er war ein äußerst vorsichtiger, verschlagener und misstrauischer Mann. Über vertrauliche Angelegenheiten, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt waren, sprach er nie am Telefon. Er zog das persönliche Gespräch außerhalb der eigenen vier Wände vor. Im Notfall benutzte er sein abhörsicheres Satellitentelefon. Nur ganz wenige Menschen kannten die Telefonnummer. Seine Kontakte reichten bis tief in die Türkei hinein, wo noch Hundertausende Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, darauf warteten, bis an die nordafrikanische Küste weitertransportiert zu werden, um ihre ungewisse Überfahrt nach Europa anzutreten. Seine Beziehungen waren aber auch über halb Europa verteilt, und wann immer ein Boot mit Flüchtlingen in Lampedusa oder einem anderen Mittelmeerhafen eintraf, wusste er nach wenigen Stunden, ob Syrer unter den Ankömmlingen waren und welche politischen Ansichten sie vertraten. Der Chef des Familienclans befehligte höchstpersönlich mehrere Schleuserbanden im Nahen Osten, Tunesien und Libyen. Er verdiente am Leid der Flüchtlinge und setzte bewusst ihr Leben aufs Spiel, indem er seine Handlanger anwies, nur alte, verrottete Seelenverkäufer für die Überfahrt zu beschaffen, Boote und Fischkutter, welche den Namen seetüchtig in keinster Weise mehr verdienten. Darauf pferchten seine Leute die hoffnungsvollen Flüchtlinge und ließen sie dann mit den Schleppern in See stechen. Meist in der Nacht und bei jedem Wetter. Circa einhundertdreißig Kilometer waren es von Tunesien, circa dreihundert von Libyen bis nach Lampedusa. Kurz genug, um zu jeder Zeit zu sterben, lange genug, um stundenlange Ängste und Zweifel zu durchleben. Auch im Mittelmeer gab es nicht selten überraschend auftretende, heftige Stürme und Gewitter mit meterhohen Wellen. Einmal, als die Flüchtlinge sich weigerten, auf hoher See auf ein anderes Boot umzusteigen, versenkten die Schlepper kurzerhand das Flüchtlingsboot. Ali Abusharekh erinnerte sich an den Anruf auf seinem Satellitentelefon, damals, vor einem knappen dreiviertel Jahr, als er weit nach Mitternacht mit dem Problem konfrontiert wurde. »Lasst sie absaufen«, hatte er voller Zorn in den Hörer geschrien. Mehr als zweihundert Menschen – Kinder, Frauen und Männer – ertranken elendiglich und qualvoll, als ihr alter Kutter in den Tiefen des Mittelmeers versank. Die Schlepper, welche die Ventile des alten Kahns geöffnet hatten, verhöhnten die wenigen, die noch schwimmend auf der Wasseroberfläche trieben. Bald würden auch ihre Kräfte nachlassen.

      *

      Hinter dem mannshohen Maschendrahtzaun, an dessen oberen Ende drei Reihen Stacheldraht gezogen waren, ragten die langen, dreistöckigen Mannschaftswohngebäude der ehemaligen Polizeikaserne empor. Kein besonders schöner Anblick, diese in Stein errichtete Tristesse und die kahl geteerten Flächen zwischen den langgezogenen Gebäuden. Ein Wohnblock stand aufgereiht neben dem anderen. Es sah aus wie in einem Sammellager, aber das war es ja auch. Das Rote Kreuz hatte zusätzlich riesige Mannschaftszelte zwischen den Gebäuden aufgebaut, manche reichten bis direkt an die Hauswände heran, manche standen in unmittelbarer Nähe des Zauns. Reihen von mobilen Dixie-Toiletten, von Schmeißfliegen umschwärmt, schlossen sich an und stanken vor sich hin. Niemand fühlte sich zuständig, sie zu entleeren. Vor manchen Fenstern der Wohngebäude waren Wäscheleinen gezogen, an denen wenig reizvolle Unterwäsche, Kopftücher und Hemden zum Trocknen hingen. Ein blickdichtes Schiebetor,


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