Mit dem Herzen atmen. Arnold MettnitzerЧитать онлайн книгу.
Handke, sein Mitschüler aus Tanzenberg, in einem Interview auf diese Frage geantwortet. Ein großer Gedanke! Und ein klein wenig Trost. Aber nicht groß genug, um die Trauer in dieser Stunde zu vertreiben!
Hubert, ich danke dir für jahrzehntelange tiefe Freundschaft. Hätte ich dich noch fragen können, was ich an deinem Grab in deinem Sinne noch sagen sollte, würdest du mich vielleicht gebeten haben, allen Anwesenden für ihr Kommen zu danken, sie um Vergebung zu bitten, wenn du sie gekränkt haben solltest. Und du hättest mich gebeten, jedem Einzelnen von ihnen – so wie wir beide das immer wieder auch füreinander getan haben – den Segen Gottes zuzusprechen. Gott segne dich, Hubert! Luxi! Du Licht! Ewiges Licht leuchte dir!5
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Abschied
Die schwer kranke Mutter meines Schulfreundes Max bittet mich um einen Besuch. Max erwartet mich in der Wohnung seiner Eltern und sagt mir, bevor ich das Schlafzimmer der Mutter betrete: „Mama weiß nicht, wie schlecht es um sie steht!“ Ich gehe zu ihr hinein und wir reden lange und gut und über alles. Zum Abschied sagt sie zu mir: „Sag Hans und Max nicht, wie schlecht es um mich steht!“ Draußen erwartet mich Max und schaut mich fragend an: Ich sage ihm: „Deine Mama hat mich gebeten, euch nicht zu sagen, wie schlecht es um sie steht!“
Ein paar Wochen später, nach dem Begräbnis, kommt Max auf mich zu und bedankt sich für meinen letzten Besuch bei seiner Mutter. Denn dadurch wäre es ihm und seinem Vater möglich geworden, über alles zu reden, gemeinsam in Dankbarkeit füreinander zurückzublicken und bewusst Abschied zu nehmen.
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Du bist ein Himmelskind
Der griechische Philosoph Epikur (um 341–270/271 v. Chr) rät seinen Schülern, sich um den Tod nicht zu kümmern, weil er sie schlicht nichts anginge. In seiner Schrift „Von der Überwindung der Angst“ sagt er sinngemäß, dass der Tod uns nichts anginge. Da alles Gute und Schlechte auf der Wahrnehmung beruhe, der Tod aber der Verlust der Wahrnehmung bedeute, hätte uns der Tod als Lebende nicht zu bekümmern. Im Leben, so Epikur, gäbe es nichts Furchtbares für den, der in rechter Weise begriffen hätte, dass es im Nichtleben nichts Furchtbares gibt. „Denn was uns, wenn es da ist, nicht belästigt, das kann, wenn es bloß erwartet wird, nur eingebildete Qualen bereiten. Das Schauerlichste aller Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr da. Er geht also weder die Lebenden an noch die Verstorbenen: denn die einen geht er nichts an, die anderen sind nicht mehr.“6
Mich in diesem Sinne um den Tod nicht zu kümmern, kann mir nur dann gelingen, wenn ich den Tod vom Menschen abstrahiere und dabei so tue, als wäre er nicht ein Teil von mir. Wenn ich aber, wie Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „O HERR, gib jedem seinen eignen Tod“, den Tod als „Frucht, um die sich alles dreht“7, sehe, dann kann mich Epikur nicht beruhigen oder ermutigen geschweige denn trösten. Trost, Ermutigung, tiefe innere Berührung sind mir in vielen Erfahrungen meines Lebens ausgerechnet an Sterbebetten geschenkt worden.
Einmal, als Belinda, meine Ministrantin, mich in Klein St. Paul nach der Abendmesse ins Haus ihres sterbenden Opas begleitet. Mit in sein Zimmer gehen wollte sie nicht. Schlussendlich beten wir dann aber doch mit der ganzen Familie versammelt um den schon seit Tagen im Koma liegenden Großvater. Beim „Vaterunser“ bewegt er plötzlich seine Lippen und betet mit. Und nach dem Beten haucht er für uns alle hörbar sein Leben aus. Die achtjährige Belinda schaut mich an und sagt dann: „Jetzt habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben!“ Ein anderes Mal stehe ich am Sterbebett von Gittli, die seit Tagen nur mehr schläft und auf den Tod wartet. Sanft rüttle ich sie wach, sie schlägt die Augen auf, erkennt mich, lächelt und sagt zu mir: „Arnold, mich holt gerade der Teufel!“ – „Aber Gittli“, antworte ich ihr, „das ist unmöglich! Du bist ein Himmelskind!“ Sie lächelt mich an und schläft wieder ein. Ein paar Stunden später stirbt sie. Diese letzte Begegnung mit ihr bleibt in meinem Herzen als ein unendlich sanfter Augenblick, den ich seither als stilles Glück in mir trage. Seither weiß ich viel mehr vom Glück, zur rechten Zeit am richtigen Ort beim richtigen Menschen zu sein!
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Ernesto Cardenal Martínez
Ernesto Cardenal Martínez wird 1925 in Granada in Nicaragua geboren. Er studiert Philosophie und Literaturwissenschaft, später auch noch Theologie in verschiedenen Ländern und wird 1965 zum katholischen Priester geweiht. Cardenal unterstützt die linke „Sandinistische Nationale Befreiungsfront“, die 1979 die Somoza-Diktatur stürzt, die die Politik des Landes für mehr als 40 Jahre bestimmt hatte. Cardenal steigt zum Kulturminister von Nicaragua auf. 1985 wird er wegen seiner politischen Tätigkeit in der „Nationalen Befreiungsfront“ als Priester suspendiert.
Der heute 92-Jährige ist einer der engagiertesten Befreiungstheologen. Bekannt ist er vor allem für seinen Einsatz im Kampf gegen Ungerechtigkeiten in Lateinamerika. Vor Kurzem hat er sich offen der Regierung des Präsidenten Daniel Ortega widersetzt, den er der Willkür bezichtigt. Zudem wehrt er sich gegen das Projekt eines transozeanischen Kanals, den der Präsident an der Grenze zu Costa Rica bauen will. 1980 erhält Cardenal den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“, 2005 wird er für den Literaturnobelpreis nominiert. Im März 2017 tourte der Dichterpriester im Rahmen einer Lesereise durch Deutschland und die Schweiz. Dabei bezeichnet er Papst Franziskus als große „Überraschung für die Welt“, denn dieser habe eine Revolution im Vatikan und in der Kurie ausgelöst. Die beiden Vorgänger Johannes Paul II. (1978–2005) und den emeritierten Papst Benedikt XVI. (2005–2013) bezeichnet Cardenal als „sehr konservativ“. Sie hätten die Kirche um 200 Jahre zurückgeworfen und viele Fortschritte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zurückgedreht.
Das literarische Werk von Ernesto Cardenal, das ich seit meinen römischen Studientagen kenne, hat mich in seiner spirituellen Tiefe, seiner Solidarität mit den Ärmsten, in seinem unerschrockencharismatischen Engagement und seiner daraus gewachsenen politischen Tätigkeit tief beeindruckt. In allem, was er schreibt, kommt zum Ausdruck, wofür er steht: für eine Theologie, die sich der Trennung von Diesseits und Jenseits entzieht, für den Glauben an eine Welt, die der Harmonie zustrebt und schließlich für ein besonderes Verständnis von der Liebe. Es schließt Sinnlichkeit und Begehren ein, umgreift mühelos die gesamte Schöpfung vom Allerkleinsten bis zum Kosmos und mündet in Verantwortung.
Von allen seinen Gedichten und Texten berührt mich ganz besonders Cardenals Gebet für Marilyn Monroe (1926–1962), das er für sie nach ihrem Tod verfasste:
Herr,
nimm auf dieses Mädchen, das die ganze Welt kannte als Marilyn Monroe,
auch wenn dies nicht ihr wirklicher Name war,
(doch Du kennst ihren Namen, den Namen des Waisenkindes, das vergewaltigt wurde mit 9 Jahren,
den Namen der kleinen Verkäuferin, die mit 16 versuchte, ihrem Leben ein Ende zu machen)
dieses Mädchen, das jetzt vor Dir steht, ohne jedes Make-up,
ohne ihren Manager,
ohne Fotografen, ohne Autogramme zu geben,
einsam wie ein Astronaut vor der Nacht des Universums.
Als Kind träumte sie, dass sie nackt in einer Kirche stand, (so stand es in der Zeitschrift Time)
vor einer knienden Menge, die Köpfe bis zur Erde geneigt,
und sie musste auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht zu zertreten
Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.
Kirche, Haus, Höhle – das bedeutet die Sicherheit des mütterlichen Schoßes,
aber doch auch mehr als das …