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Er, Sie und Es. Marge PiercyЧитать онлайн книгу.

Er, Sie und Es - Marge Piercy


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seiner männerdominierten Kultur änderten Frauen ihren Namen. Ehen basierten auf Fünf- oder Zehnjahresverträgen, und Namensänderungen ohne besonderen Anlass waren unwirksam. Trotzdem bekam Shira eine Gänsehaut, als sie hörte, wie Ari der Name seines Vaters gegeben wurde. So hatte sie ihn nicht eintragen lassen bei der Geburt, aber Y-S missachtete ihre Entscheidung.

      »In vorliegender Angelegenheit lautet das Urteil der Geschworenen, dem Vater Joshua Rogovin, Status T12A, das Sorgerecht zu erteilen und der Mutter Shira Shipman, Status T10B, Besuchsrecht zweimal wöchentlich, mittwochs und sonntags. Dieser Spruch erging am 28. Januar 2059, automatische Überprüfung am 28. Januar 2061. Spruch registriert. Ende.«

      Josh wandte sich auf seinem Sitz um und starrte sie finster an. Sein Anwalt strahlte und klopfte ihm auf die Schulter. »Was habe ich Ihnen gesagt? Im Sack!«

      »Das können sie doch nicht machen!«, sagte Shira. »Sie können mir nicht Ari wegnehmen!«

      Josh schnitt eine Grimasse, fast ein Lächeln. »Jetzt gehört er mir. Er ist mein Sohn, er ist ein Rogovin.« Seine hellen Augen, irgendwo zwischen Grau und Blau, schienen ihren Schmerz wahrzunehmen und abzutun.

      »Ihr Exmann hat einen höheren Technodienstgrad als Sie«, sagte ihr Anwalt. »Ich habe Sie gewarnt, dass das berücksichtigt wird. Sie hängen seit drei Jahren im gleichen Dienstgrad fest.«

      »Ich lege Einspruch ein. Ari braucht mich.« Und ich brauche ihn, dachte sie.

      »Das ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie mich fragen, vergeuden Sie Ihre Kredite. Natürlich vertrete ich Sie, wenn Sie das wünschen.«

      Josh und sein Anwalt waren schon hinausgerauscht. Shiras Anwalt stand über sie gebeugt, ungeduldig wippte er mit einem Fuß. »Ich habe einen Termin mit einem anderen Mandanten. Überdenken Sie das mit dem Einspruch. Ich kann das Verfahren morgen in die Wege leiten, wenn Sie wollen.«

      Unvermittelt stand sie auf und stürzte zum Ausgang, als ihr einfiel, dass sie zu spät zu Ari kam. »Bereiten Sie den Einspruch vor«, rief sie über die Schulter. »Ich gebe ihn nicht her.«

      Sie sprang auf die Eilspur des gleitenden Gehwegs und hüpfte leichtfüßig von Bahn zu Bahn. Das galt als ungehörig für Grützer – Glop-Slang für die höheren Angestellten und das technische Personal der Multis –, obwohl die Tagelöhner es andauernd taten, aber das war ihr jetzt egal. Sie wollte nur schnell zu Ari. Sie eilte an der Spinnwebarchitektur des Dienstviertels vorbei. Unter dem Kuppeldom gab es kein Wetter, und kein Gebäude konnte höher als sechs Stockwerke sein. Darum herrschten lange, parabelförmige Kurven vor, bizarre Spindeln und labyrinthische Gitter aus glitzerndem, durchsichtigem Filigran. Beinahe alles war schwarz, weiß oder blau, wie die rückenfreien Dienstanzüge, die bis zur Wadenmitte hinabreichten und die alle Grützer trugen. Nahezu jeder Leitende, Mann oder Frau, war unter dem Messer gewesen, um dem Y-S-Ideal zu gleichen, das Gesicht dem vom Bildschirm so ähnlich, wie die Finanzen es erlaubten.

      Die Technos, die auf den Gleitern vorbeihuschten, sahen schon unterschiedlicher aus, aber auch sie trugen Anzüge in den abgesegneten Farben. Angehörige gleichen Dienstgrades grüßten einander mit ritueller Geste, einem kurzen Kopfnicken. In der Rangordnung tiefer Stehende ignorierte man gewöhnlich. Kam man an Höherrangigen vorbei, wartete man, bis man bemerkt wurde, und verneigte sich dann tief. Wie oft war sie schon in Schwierigkeiten geraten, weil sie sich so intensiv unterhalten hatte, dass sie unabsichtlich versäumte, einen Gleichrangigen oder Vorgesetzten zu grüßen. Die Tagelöhner trugen Overalls oder Uniformen in Gelb-, Braun- und Grüntönen: die Farben gemäß ihren Arbeiten. Wenn sie zur falschen Zeit am falschen Platz waren, fiel das sofort auf. Shira sprang von Bahn zu Bahn, es war ihr gleichgültig, wer sie sah, wer sie anzeigte – als würdelose Person, die den Y-S-Anstand vermissen ließ. Sie fühlte sich hier sowieso immer zu körperlich, zu laut, zu weiblich, zu jüdisch, zu dunkel, zu überschwänglich, zu gefühlvoll.

      Die Tagesstätte für die Kinder von Mittelstufentechnos lag jetzt unmittelbar vor ihr, hinter einer hohen Hecke bunter Krotonsträucher. Über dem Eingang hing schlaff die blau-weiß-schwarze Y-S-Fahne. Sie hatte sich noch nicht allzu sehr verspätet, denn sie sah ein paar versprengte Mütter und einen Vater, während sie das letzte Stück vom nächsten Gleiter rannte. Ihr fiel ein, dass sie nie einen Erwachsenen durch diese Straßen rennen sah. Jedem war viel zu sehr bewusst, dass er beobachtet wurde, beurteilt. Dies war der Bezirk der Mittelstufentechnos, kleine Häuser, jedes auf seinem Grundstück. Sie hatte mit Josh in einem davon gewohnt. Vier Häusertypen für diese Schicht, mit den gleichen abgesegneten Sträuchern und gepflegtem Rasengeviert, aber freier Farbwahl. Niemand wählte Rot oder Violett. Die einzigen Verkehrsmittel, die sich auf den Mittelstreifen bewegten, waren Servicefahrzeuge: Lieferwagen, Reparatur- und Notfallwagen, Sicherheitsaffen, alles Elektrovehikel, die eintönig piepten.

      Die Aufseherin, Jane Forest, behandelte sie merklich kühler. »Aber Shipman, ein Sicherheitsbevollmächtigter hat Ari Rogovin vor achtzehn Minuten abgeholt. Uns wurde mitgeteilt, das sei korrekt. Sie sind nicht mehr berechtigt, Ari Rogovin abzuholen, außer mittwochs.«

      »Ein Affe hat ihn abgeholt? Aber wieso?«

      »Ersuchen Sie bitte die Sicherheitszentrale um Auskunft.«

      Obwohl Shira schreien und protestieren wollte, war ihr klar, Jane würde niemals Anordnungen abändern, die ihr erteilt worden waren; sonst wäre sie die längste Zeit Aufseherin gewesen. Jeder Widerspruch von Shira war zwecklos und würde ihr nur Ärger einbringen. Sie musste sofort ihren Anwalt anrufen. Aber am meisten spürte sie das Verlangen, mit Malkah zu telefonieren.

      Noch vor einem Monat hätte sie ihre Sekretärin angerufen, Rosario, denn sie hatten sich angefreundet. Doch der niedere Angestellte, mit dem Rosario einen Zehnjahresvertrag eingegangen war, hatte ihre Ehe nicht erneuert. Wie auch bei niederrangigen Beschäftigten üblich hatte er sich eine neue, zwanzig Jahre jüngere Frau genommen. Rosario war zweiundvierzig, und Y-S entließ sie. Shira hatte Einwände erhoben, sie brauche Rosario, aber sie besaß keine Macht. Frauen über vierzig, die weder Technos waren noch Aufseherinnen, Spezialistinnen oder Leiterinnen, wurden entlassen, wenn sie nicht mehr zeitweiliges Eigentum eines männlichen Grützers waren. Weibliche Grützer hatten angeblich die gleichen Vorrechte, und wenn ihre Stellung es erlaubte, nahmen sie sich junge Ehemänner.

      Rosario war in den Glop entschwunden. Vielleicht wurde sie als Tagelöhnerin täglich durch das Tunnelsystem in die Enklave hinein- und aus ihr hinausgeschleust, verdingte sich als Wäscherin oder Köchin oder tat Wartungsarbeiten, die nicht von Robotern verrichtet wurden, doch Shira würde sie nie mehr zu Gesicht bekommen. Rosario war aus der sicheren Festung ausgestoßen worden in den überbevölkerten, brutalen, gärenden Pferch des halb verhungerten Glop, wo neun Zehntel aller Menschen von Norika hausten. Sollte sie noch am Leben sein, Shira würde es nie erfahren. Glop, das klang nach Auswurf und war auch so gemeint: ein Slangwort für die Megalopolis, die sich vom einstigen Boston südwärts erstreckte bis zu dem, was einmal Atlanta gewesen war, sowie für all die ähnlichen Gebiete auf dem Kontinent, auf der Welt.

      Sobald Shira ihre Zweizimmerwohnung erreichte, das Höchste, was ihrem Dienstgrad in den sogenannten Silos für niederrangige Technos zustand, fragte sie die Wohnung nach Mitteilungen. Jede Wohneinheit in der Konzern-Enklave war computergesteuert. Es war kein so anspruchsvolles System wie das, mit dem sie aufgewachsen war und das Malkah programmiert hatte, aber zur Nachrichtenübermittlung reichte es. Sie erfuhr, dass Malkah vor fünfzig Minuten angerufen hatte. Shira kontaktierte zuerst ihren Anwalt und dann Malkah. Bei Gesprächen machte sie sich nicht die Mühe, sich einzustöpseln – das tat niemand. Sie sprach ihre Anweisungen einfach aus. Malkahs rundes, ein wenig verhutzeltes Gesicht erschien, ihr Haar, ebenso schwarz wie Shiras, war in Zöpfen um ihren Kopf gewunden. »Shira, du siehst durcheinander aus.« Malkah hatte eine tiefe, volltönende Stimme. Obwohl sie Shiras Großmutter war, hatte sie sie großgezogen. Das war in ihrer Familie Brauch, bat Shipman, die Dynastie der Töchter, bis Shira das Schema durchbrochen hatte.

      »Isst du gerade?«, fragte Shira höflich, denn es war eine Stunde später in der freien Stadt Tikva am Atlantik, wo Malkah lebte und wo Shira aufgewachsen war.

      »Was fehlt dir?« Malkah kam immer sofort zur Sache.

      »Y-S hat Josh das Sorgerecht


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