Kaltfront. Petra GabrielЧитать онлайн книгу.
um. Wohin? Die Schritte näherten sich. Sie schloss möglichst leise die Schranktür, quetschte sich unter das Bett und flehte innerlich zu allen Heiligen, die ihr einfielen, dass nichts von dem Blut und dem Hirn des Toten auf sie heruntertropfen würde. Der süßlich-metallische Geruch des ekligen Gemischs brachte sie fast zum Brechen. Ihre Wunde stach schmerzhaft. Ida hatte Mühe, nicht aufzuschreien.
Sie vernahm ein leichtes Schlurfen, dann sah sie pelzverbrämte Männerstiefel, die am Bettrand stehen blieben. Ida versteifte sich noch mehr und hörte dann die ihr bekannte Stimme sagen: «Is denn det zu glaubn! Onkel Hermann, komm mal her! Hier liecht ’n Toter!»
Da fiel Ida ein, woher sie die Stimme kannte. Das war der Mann, der hinter ihr her gerufen und dann auf sie geschossen hatte. Polizei, Polizei, Polizei! Die Worte dröhnten wie Ambossschläge in ihrem Kopf. Beinahe hätte sie aufgestöhnt, gerade noch konnte sie sich beherrschen.
Weitere Schritte näherten sich, das Geräusch eines stolpernden Menschen folgte, dann war ein Fluch zu hören sowie die Worte «Scheiß Flickenteppich». Pause. Schließlich sagte der Mann: «Was für ’n Galama! Was machen wir nu?»
Einige Sekunden herrschte Stille. Dann sagte die Stimme, die sie kannte: «Wenn wir die Kollegen holn, dann wissen die, dass wir in der Wohnung warn, Onkel Hermann. Das wär schlecht.»
«Das wär sehr schlecht», antwortete die andere Stimme. «Da du suspendiert bist, könnte das so aussehen, als hättest du etwas vertuschen wollen. Hoppla, hier liegt ein Beil!»
«Das erinnert mich an diesen Massenmörder. Wie hieß der noch? Du weißt schon, Onkel Hermann, ich meine den, auf den es ein Lied gibt.»
«Der Mann hieß Fritz Haarmann. Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt Haarmann auch zu dir, / mit dem kleinen Hackebeilchen, / macht er Schabefleisch aus dir», sang der Ältere. «’25 ist er gestorbn, kam aus Hannover, wenn ich mich richtig erinnere. Du glaubst an einen Serienmörder?»
«Nee, eigentlich nich. Ich denk eher, das war ’ne Tat im Affekt, so wie der Mann kiekt. Womöglich glauben die noch, ich hätte …»
«Nee, das glauben die nicht. Nie und nimmer. Die Kollegen kennen dich schließlich, Otto. Die wissen, dass wir Kappes so etwas niemals tun könnten. Du und ich, wir fangen Mörder. Aber wir sind keine.»
«Trotzdem …»
«Ja, trotzdem … Die Situation ist misslich.»
«Und wat machn wir nu?»
«Ich denke, wir gehen wieder und tun so, als wären wir nie hier gewesen. Und ich rufe bei den Kollegen an, anonym, mit verstellter Stimme.»
Ida hörte ein zustimmendes Brummen. «Und ick schau die Tage mal ganz unverbindlich bei die Kollegen vorbei und erkundige mir, wie es so geht.»
«Otto?»
«Hm?»
«Ich frage mich gerade, ob das der Mann sein könnte, der euch den Tipp zu der Fälscherwerkstatt gegeben hat. Vielleicht sind die Fälscher dahintergekommen, wer sie verpfiffen hat, haben den Laden in Windeseile ausgeräumt und später, als ihr wieder weg wart, dem Verräter eins übergebraten. Dieses Beil sieht mir wie ein Küchenbeil zum Knochenhacken aus. Klara hat so eins.» Und dann sagte er, was auch Ida gedacht hatte: «Die liegen normalerweise nicht einfach so herum, sondern sind in einer Küchenschublade verstaut. Das könnte darauf hindeuten, dass sich der Mörder in der Wohnung auskannte. Aber gehen wir, ehe wir hier aus Versehen noch Spuren verwischen.»
«Oder welche hinterlassen.»
Die Männerstiefel verschwanden aus Idas Blickfeld. Sie atmete erleichtert aus, aber ganz vorsichtig und leise.
«Moment, ich muss noch den Flickenteppich wieder richtig hinlegen, bevor wir gehen», sagte die Männerstimme, die dem Onkel namens Hermann gehörte.
Ida versteifte sich wieder. Ein Gesicht erschien in ihrem Blickfeld. «Wen haben wir denn da? Dann komm Se mal raus, junge Frau!»
«Wat is denn, Onkel Hermann?»
«Unter dem Bett hat sich jemand versteckt.»
Ida wusste, dass ihr nichts anderes übrigblieb, und schob sich unter dem Bett hervor.
Onkel und Neffe sahen sich einer Frau mit schwarzem Wuschelkopf, einem ebenmäßigen Gesicht mit hochroten Wangen und dunkelbraunen Knopfaugen gegenüber, die sie flehend anschauten. Ein Gesicht, schön wie das eines dunklen Engels, dachte Hermann Kappe unwillkürlich.
«Ich hab ihn nicht umgebracht», stammelte Ida Berkowitz.
«Das ist ja ’n Ding!», meinte Otto Kappe indes verblüfft. «Det isse! Auf die hab ich geschossen.»
«Das macht nichts, es geht mir gut.»
Hermann Kappe hob die Hände. «Nu mal langsam mit die jungen Pferde! Das ist alles zu viel auf einmal für ’nen alten Mann. Wer sind Sie? Was machen Sie hier?»
«Ich hab doch nur … ein paar Sachen holen wollen. Ich darf hier wohnen, übergangsweise. Aus der alten Wohnung musste ich raus, weil … Jedenfalls, als ich heute hierherkam, lag er schon da.»
«Wer ist der Mann? Gehört ihm die Wohnung? Und vor allem – wer sind Sie?», wiederholte Kappe senior.
Ida zögerte. Sie wollte nicht zu viel sagen. Immerhin war sie inzwischen so etwas wie eine Verbrecherin. Bald würde ganz Berlin von dem Störfall bei der Gasag wissen. Sie versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. «Also, hier kann ich wohl vorläufig nicht mehr wohnen», antwortete sie ausweichend.
«Wohl kaum. Außerdem wird die Wohnung versiegelt. Das ist jetzt ein Tatort.»
«Ich war das nicht, ganz bestimmt nicht!»
«Das kann sein. Kann aber auch nicht sein. Wie geht’s Ihnen? Und wo ham Se die Waffe gelassen?», fiel Otto Kappe ein.
Ida schaute ihn groß an. «Mir geht es gut. Nichts Schlimmes.»
Die Erleichterung war Otto Kappe anzusehen. «Und die Waffe? Ich hab doch gesehn, dass Sie eine Waffe aus Ihrer Manteltasche gezogen ham!»
«Ich hab keine Waffe. Woher soll ich so was denn haben?»
«Ich hab doch genau gesehn, dass Sie was aus der Manteltasche gezogen haben.»
«Ich soll was aus meiner Tasche gezogen haben?» Ida runzelte die Stirn.
Otto Kappe nickte energisch.
«Daran kann ich mich nicht erinnern. Es ging alles so schnell. Und wenn, dann hab ich ganz sicher keine Waffe herausgeholt, höchstens ein Taschentuch.»
Kappe junior sackte in sich zusammen.
«Otto, du bringst hier alles durcheinander. Nun lass uns doch mal der Reihenfolge nach vorgehen. Ich verstehe, dass dir die Geschichte an die Nieren geht. Also noch mal: Wer sind Sie, wer ist dieser Mann, und warum sind Sie aus dem Krankenhaus abgehauen?»
«Wer der Mann ist, weiß ich nicht», behauptete Ida leise. «Ich hab ihn hier noch nie gesehen. Mein Gott, wo soll ich denn jetzt hin? Ich bemühe mich schon eine ganze Weile um eine Wohnung, wenigstens ein Zimmer. Das ist aber nicht so einfach. Die verlangen heutzutage horrende Mieten. Deswegen haben die Genossen gesagt, ich kann hier wohnen, bis ich eine neue Bleibe hab.»
Kappe wurde hellhörig. «Die Genossen?»
«Ja, von der Berliner SPD. Ich bin Mitglied. Die bringen hier manchmal Gäste unter, Genossen, die aus Westdeutschland nach Berlin zu Besuch kommen.» Ida hoffte verzweifelt, dass sie ihr die Geschichte abnahmen. Der Ältere sah nicht überzeugt aus. Dabei machte er einen ganz sympathischen Eindruck. Er hatte vergissmeinnichtblaue Augen, die bestimmt ganz freundlich gucken konnten. Darunter saß eine Nase, die wie eine Knüppelkirsche aussah. Wahrscheinlich war er bei seinen Enkelkindern ein beliebter Opa. Und der andere, der Jüngere war größer als sein Onkel, nicht ganz so kompakt, aber ebenfalls nicht der Schlankeste. Er hatte dasselbe energische Kinn und sah seinem Onkel auch sonst recht ähnlich. Sie konnten die Verwandtschaft jedenfalls nicht