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Was den Raben gehört. Beate VeraЧитать онлайн книгу.

Was den Raben gehört - Beate Vera


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Gewächs zu befreien, fand man sich in der Ödnis eines niedergebrannten Ackers wieder, in der man alleine auf weiter, karger Flur stand, ohne Hoffnung auf neues Grün. So fühlten sich Depressionen an. Auf gar keinen Fall rief diese Erkrankung das Bild eines so wunderbaren Tieres wie eines Hundes in ihrer Vorstellung hervor.

      Am sonst so grünen südlichen Stadtrand der Hauptstadt zeigte sich die Natur Anfang Dezember von ihrer spärlichen Seite. Kahle Bäume und Büsche säumten die Wege des ehemaligen Grenzstreifens, auf dem Lea in Richtung Teltowkanal geradelt war. Schmuddelige Grau- und Brauntöne dominierten die Umgebung. Die Grünflächen entlang des Mauerwegs wie auch innerhalb der kleinen Reihenhaussiedlung im Eifelviertel, in der Lea wohnte, boten ein von Kälte und Mangel geplagtes Erscheinungsbild. Sie verlangten nach einer Lage Schnee, um unter dieser weißen Decke zu ruhen und sich zu erneuern.

      Leas übliche Taktik, Datum und Wetter zu ignorieren und sich warm anzuziehen, um fünf Kilometer am Tag zu laufen, zeigte heute keine Wirkung. Sie litt an einer fiebrigen Erkältung. Ihren großen rotbraunen Schottischen Hirschhund Talisker beeindruckte das wenig. Er musste sich bewegen, über vierhundert Jahre des Jagens in rauem Klima prägten den Charakter seiner Rasse. Und so stand Lea nun neben ihrem Fahrrad am Ufer des Teltowkanals und wartete darauf, dass Talisker aus dem Unterholz zurückkehrte. Ihr Schädel dröhnte, ihre Nase war wund, und ihre Gelenke schienen vor Schmerz zu vibrieren. Sie hatte 39 Grad Fieber, und elend war eine reichlich unzulängliche Beschreibung ihres Zustands. Martin war auch noch nicht wieder von der Kieler Förde zurückgekehrt. Am achten Tag in Folge ohne ihren Freund, den Privatermittler, schrie jede Faser ihres Körpers nach ihm. Vermutlich war diese Gefühlswallung aber bloß auf die Grippe zurückzuführen. Lea wünschte sich sehnlichst zurück in ihr Bett. So schön die Vorstellung von ihrem großen Doppelbett, den warmen Decken und den vielen Kissen auch war, sie rückte in weite Ferne, als Lea ihre Nachbarin Carola Sabersky auf sich zukommen sah.

      Carola war mit Horst unterwegs, dem Basset der Familie Sabersky, der seiner Kennung als Niederlaufhund immer mehr Ehre machte, da ihn fünf Mitglieder des sechsköpfigen Haushalts stets mit Leckerlis verwöhnten. Sein Bauch war nur noch wenige Zentimeter vom Boden entfernt, und seine prallen, kleinen Beinchen schienen unter der Last seines Wanstes immer krummer zu werden. Ein jedes Mal, da Lea Horst begegnete, musste sie breit grinsen – der Hund strahlte eine ansteckende Gemütlichkeit aus. Da er Talisker gerade einmal bis zum Kniegelenk reichte, fühlte sie sich immer an Pat und Patachon erinnert, die beiden dänischen Komiker aus den Stummfilmen der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, wenn sie die zwei Hunde zusammen sah.

      Carola gestikulierte wild, während sie sich Lea näherte. »Hast du es schon gehört?« Ohne Leas Antwort abzuwarten, fuhr sie fort. Die Geschichte musste gut sein, wenn sie sich so beeilte, sie Lea zu erzählen. »Deine neuen Nachbarn haben heute Morgen eine unglaublich gruselige Entdeckung gemacht, als sie im Keller mit der Kernsanierung weitermachen wollten. Ich hab sowieso nicht verstanden, warum die bei diesem Winterwetter ihre Bude renovieren wollen. Wenn sie Pech haben und die Temperaturen richtig tief unter null sinken, können sie sich warm anziehen! Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich meine, sie haben das Haus ja bereits bezogen und die alte Wohnung aufgegeben. Aber jetzt sind sie wohl doch erst mal in eine Pension gezogen. Kein Wunder, nach dem Fund!«

      Lea mochte Carola Sabersky, deren Mann Arne, wie Carola immer wieder erklärte, nicht mit dem Gutsbesitzer Max Sabersky verwandt war, dessen früherer Landbesitz im nahegelegenen Teltow seit rund zwanzig Jahren für Restitutionsklagen sorgte, sondern aus Hamburg stammte. Lea bewunderte ihre Nachbarin für die unerschütterliche Ruhe, mit der sie ihr Familienleben managte. Vier Kinder an zwei verschiedenen Schulen und mit diversen Hobbys zu koordinieren, Haus und Garten in Schuss zu halten und die Familie samt den zahlreichen Haustieren zu versorgen war kein einfaches Unterfangen, zumal Arne seit drei Monaten vollkommen in seiner neuen Aufgabe als Schuldirektor des nahegelegenen Albrecht-Berblinger-Gymnasiums aufging. Der gutdotierte Posten verlangte ihm eine Menge Überstunden ab. Und Arne war ein Tausendprozentiger, für ihn gab es keine halben Sachen. Seine asketische Gestalt entsprach durchaus seinem Lebensethos. Carola dagegen hatte den Kampf gegen ihre Kleidergröße schon vor Jahren souverän aufgegeben. Schließlich war sie die Klügere, und die gab bekanntlich nach. Was ihre Hosenbunde auch alle taten, Gürtel hatte sie seit der Geburt der Zwillinge nicht mehr getragen. So lange Carola gelegentlich brauchte, um auf den Punkt zu kommen, so lange benötigte Lea so manches Mal, um auf den Punkt zu denken. Vielleicht war ihr die etwas jüngere Nachbarin deshalb so sympathisch.

      »Was denn für einen grausigen Fund? Ich hab gar nichts mitbekommen, als ich aus dem Haus ging«, fragte Lea.

      Carola schüttelte den Kopf. »Das sieht dir wieder ähnlich. Du bist sicher hinten raus und durch den Garten direkt auf den Mauerweg, was? Dabei muss da gerade das ganz große Kino in eurer Zeile losgegangen sein. Stell dir vor: Die haben im Keller zwei Skelette gefunden!«

      Lea traute ihren Ohren kaum. Die neuen Nachbarn waren vor drei Wochen angekommen, nachdem der Vorbesitzer, Erwin Bäcker, in eine Wohnung in der Nähe seines Bruders und dessen Familie gezogen war. Bäcker war ein unkomplizierter Zeitgenosse gewesen, und alle hatten gehofft, dass sich auch die neuen Besitzer gut in die Nachbarschaft einfügen würden. Die Familie Wallace hatte Lea sofort zugesagt, allein wegen der Tatsache, dass Ryan Wallace, ein Studiomusiker – er spielte Gitarre, Bass und Klavier – aus Edinburgh kam. Leas Vater war Schotte, und sie hatte einen Großteil ihrer Jugend in Stirling verbracht, das nicht sehr weit entfernt von Edinburgh lag. Ryan Wallaces Frau Julia, eine geborene Almendinger aus dem Schwabenland, besaß einen Abschluss in Finance der Harvard Business School und hatte mit nur dreißig Jahren die Leitung des Controllings eines Biotechunternehmens übernommen, das seinen Sitz in Teltow hatte. Ryan wollte mit dem gemeinsamen Baby Danny zu Hause bleiben. Zu dem kleinen Rotschopf passte der schottische Name, dessen eigentliche Form Aidan so viel wie Feuer bedeutete, zumindest optisch sehr gut. Die glücklichen Eltern hatten ihrem neuen Leben am südlichen Berliner Stadtrand voller Zuversicht entgegengesehen. Lea mochte sich gar nicht ausmalen, wie sich die zwei nach dem Fund in ihrem Keller fühlten.

      Ihre Neugier war sofort geweckt – zwei menschliche Skelette! Die mussten seit der Errichtung der Siedlung dort liegen, denn bislang war an dem Haus nichts Grundlegendes verändert worden. Lea selbst wohnte seit zwanzig Jahren im Dürener Weg. Ihr Grundstück grenzte an den ehemaligen Mauerstreifen, jetzt Teil des BUGA-Wanderwegs, und war eines der Filetstücke in der kleinen Siedlung im Süden Berlins. Ihr verstorbener Mann Mark hatte das Haus von seiner Großmutter geerbt, bei der er aufgewachsen war. Als sie nach deren Tod dort eingezogen waren, hatte Erwin Bäcker schon in der Siedlung gelebt, zwei Häuser von ihnen entfernt. Zwischen ihnen wohnten die Lehmann-Schwestern. Die Vorbesitzer von Bäckers Haus hatte Lea deshalb nie kennengelernt, eventuell stünde ihr Name noch in ihrem Grundbuchauszug. Da es sich um eine Eigentümergemeinschaft handelte, war der vollständige Grundbuchauszug Teil des Kaufvertrags, die Vorbesitzer würden darin erfasst sein, denn Marks Großmutter und ihr Mann hatten zu den ersten Käufern eines der Neubauten im Eifelviertel gehört.

      Carola riss Lea aus ihren Gedanken. »Stell dir mal vor, du ziehst in ein Haus, in dem schon seit Jahren zwei Tote im Keller liegen! Gott, ist das fies! Ich mag gar nicht darüber nachdenken. Und dann passiert das Ganze auch noch im Advent, das ist wirklich hart. Apropos, was macht ihr denn zu Weihnachten? Feiert ihr zusammen? Duncan kommt doch sicherlich heim über die Feiertage, oder?«

      Leas Miene verdunkelte sich. Weihnachten war ein heikles Thema zwischen ihr und Martin. Das Tempo, das sie vorlegten, seit sie sich im vergangenen Juli begegnet waren, war atemberaubend, die Sinne betäubend und allgemein so verwirrend wie beängstigend. Lea berührte unwillkürlich ihren linken Oberarm, auf dem eine wellenförmige Narbe sie dauerhaft an die Gefahr erinnerte, in der sie im letzten Sommer geschwebt hatte. Obwohl beide Situationen ganz und gar nicht miteinander vergleichbar waren, verspürte sie ein ähnlich beunruhigendes Gefühl bei der Festtagsplanung.

      Martins Schwester Melanie lebte mit ihren zwei Kindern in Teltow, und Martin verbrachte den Heiligen Abend gewöhnlich bei ihnen und übernachtete anschließend dort. Laut Martin war es der einzige Abend im Jahr, an dem seine geschiedenen Eltern an einen Tisch zu bekommen waren. Um siebzehn Uhr kam stets ein Nachbar als Weihnachtsmann verkleidet vorbei und verteilte Geschenke. Gegessen wurden Würstchen mit Kartoffelsalat, und später am Abend gingen sie zum


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