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Was den Raben gehört. Beate VeraЧитать онлайн книгу.

Was den Raben gehört - Beate Vera


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die hervorragenden Assistenten, die er sich stets auszusuchen pflegte, eine bedeutende Rolle. Nicht umsonst hatte Glander sich gemeinsam mit Merve Celik selbstständig gemacht, Prinz’ letzter Assistentin. Sie war eine ausgezeichnete Kripobeamtin gewesen und hatte eine hohe Aufklärungsrate vorzuweisen, auch wenn Prinz sich mit diesen Erfolgen geschmückt hatte. Man munkelte, dass er beste Verbindungen in die oberste Führungsebene hatte. Glander vermutete, dass er das Glück gehabt hatte, vor vielen Jahren bei irgendeiner Schmutzwäsche das Waschbrett gehalten zu haben, und nun davon zehrte.

      »Na, da erwartet hoffentlich niemand unmittelbare Erkenntnisse«, konstatierte Glander trocken.

      Aufgeregt warf Harnack ein: »Eben! Und deshalb möchten die Damen Lehmann, dass du dich des Falles annimmst. Warte mal, ich gebe dir Lea, die hat die beiden gerade mit Hochprozentigem versorgt. Hier ist sie.«

      »Hallo, Martin! Bist du noch weit weg? Die beiden sind völlig durch den Wind. Es gibt da auch noch einen kleinen Bruder, Holger, zu dem sie aber schon jahrzehntelang keinen Kontakt mehr haben. Was ich bislang aus ihnen herausbekommen habe, ist nur, dass die Familie all die Jahre dachte, die Mutter habe sich aus dem Staub gemacht und die Familie sitzenlassen. Schon das wäre ja hart genug …«

      Glander konnte sich eines leichten Anflugs von Stolz nicht erwehren. Lea war offiziell keine Mitarbeiterin seiner Agentur, dennoch hatten die Ereignisse im September ihr Interesse für seine Arbeit geweckt. Das war nicht von der Hand zu weisen. Lea hatte in Schottland Anglistik, Germanistik und im Nebenfach Psychologie studiert. Nach der Krebsdiagnose ihres Mannes hatte sie ihre langjährige Tätigkeit als Simultandolmetscherin aufgegeben und bisher noch nicht wieder aufgenommen. Sie hatte erst einmal wieder Boden unter den Füßen gewinnen müssen, wie sie es formulierte. Trotz einiger sehr guter Angebote schien sie nicht in ihren alten Beruf zurückkehren zu wollen. Der Fall im September hatte zudem etwas ganz anderes bei ihr in Bewegung gesetzt: Lea hatte ein paar alte Kontakte spielen lassen und sich eine Gasthörerschaft für Forensische Psychiatrie an der Freien Universität Berlin verschafft.

      Erst jetzt bemerkte Glander, wie erkältet Lea klang. »Lea, mach langsam, ich bin in zehn Minuten bei euch. Ist deine Erkältung nicht besser geworden?«

      »Nein, im Gegenteil, ich bin ziemlich erschöpft, aber ich kann die beiden jetzt auch nicht heimschicken. Ich meine, stell dir vor, du hast beinahe fünfzig Jahre in dem Glauben gelebt, deine Mutter habe dich und die Familie im Stich gelassen, und dann findest du heraus, dass sie ermordet wurde!«

      »Ich weiß. Das muss sehr schlimm für die beiden sein. Wie gesagt, ich bin gleich da, und dann rede ich mit ihnen. Ich bin schon am Hindenburgdamm.«

      Sie verabschiedeten sich, und Glander rief Merve an.

      *

      Merve Celik, Exkommissarin des LKA 1 und Glanders Partnerin in der Ermittlungsagentur Celik & Glander, legte die Farbrolle in den Tiegel und wischte sich mit dem Handrücken eine Strähne ihrer schwarzen Lockenpracht aus dem Gesicht, die voller apfelgrüner Farbsprenkel war. Günay hatte auf der Farbe bestanden, und Merve wusste, dass es sinnlos war, mit ihrer fünfjährigen Nichte zu diskutieren, wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Merve hatte auch gar nicht vor zu diskutieren. Günay und ihre zwei Jahre ältere Schwester Gülsen hatten genug durchgemacht. Merves Schwester Sevgi hatte ihren Mann nach acht Jahren Ehe verlassen. Acht Jahre, in denen er sie regelmäßig geschlagen und erniedrigt hatte. Merve hatte davon erst erfahren, als ihre Schwester mit den Kindern eines Tages vor ihrer Wohnungstür gestanden hatte, weil er sich auch an ihnen hatte vergreifen wollen. Kadir, Merves Schwager, tobte vor Wut über den angeblichen Hochverrat seiner Frau und lauerte ihr ein paar Tage später vor der Kita auf. Acht Wochen lang hatte Sevgi anschließend im Krankenhaus gelegen. Sie würde für immer entstellt bleiben, aber wenigstens lebte sie.

      Ein Blick aus dem Fenster ließ Merve über das nasskalte Wetter fluchen. Die Farbe würde eine ganze Zeit lang zum Trocknen brauchen, und Günay würde noch ein paar Tage auf ihr Zimmer warten müssen. Merve stieg die Treppe hinab und ging ins Wohnzimmer. Sevgi saß auf dem Sofa und nähte einen Vorhang. Als sie Merve bemerkte, blickte sie von ihrer Arbeit auf und lächelte. Zwei wulstige Narben, Folgen der tiefen Schnitte, die ihr Mann ihr zugefügt hatte, durchzogen ihr Gesicht und verzerrten ihr Lächeln. Sevgi hatte drei Bauchoperationen durchstehen müssen, aber die Ärzte hatten gesagt, alles sei gut verheilt und sie habe großes Glück im Unglück gehabt. Wie jedes Mal, wenn sie ihre Schwester ansah, musste Merve an den Anruf ihres Kollegen denken, der ihr von dem Angriff auf ihre Schwester berichtet hatte. Gewaltige Wut durchströmte sie, und ihre Hände begannen zu zittern.

      Sevgi legte ihr Nähzeug beiseite und zeigte neben sich auf das Sofa. »Komm, mach eine Pause, der Tee ist noch warm. Oder willst du lieber ein Bier? Das ist im Kühlschrank.«

      Kadirs Prozess würde im März beginnen, bis dahin saß er in U-Haft. Die Mädchen waren in therapeutischer Behandlung und schienen gute Fortschritte zu machen. Endlich wieder ein eigenes Zuhause zu haben tat ihnen gut. Merve war sehr gerührt davon, wie schnell Lea ihrer Schwester und den Kindern dieses Haus im Dürener Weg vermittelt hatte. Es hatte seit dem Sommer leer gestanden, da der Besitzer ums Leben gekommen war, ein im Ausland lebender entfernter Verwandter kein Interesse daran hatte und auch der Makler es nicht losgeworden war. Lea hatte damals die Leiche des Hausbesitzers gefunden und Glander bei den Ermittlungen kennengelernt. Später hatte sie einen lächerlich geringen Kaufpreis mit dem Makler verhandelt, und jetzt gehörte dieses kleine Reihenhaus Merve. Die hatte es mit dem großzügigen Honorar für ihre letzten Fälle anzahlen können und finanzierte den Rest und die Renovierung durch einen günstigen Kredit. Die sanitären Einbauten und das Verlegen der elektrischen Leitungen hatte sie von Fachleuten machen lassen, den Rest erledigte sie selbst mit der Hilfe der Nachbarsfamilie, den Saberskys.

      Merve nahm neben ihrer Schwester Platz und legte den Arm um sie. Sie würde ihren Schwager mit keinem milden Urteil davonkommen lassen, das hatte sie sich an Sevgis Krankenbett geschworen. Und er täte gut daran, auch nach seiner Gefängnishaft nie mehr bei ihnen aufzutauchen. Bei dem Anblick ihrer Schwester durchflutete Merve erneut eine Welle des Hasses und der Ohnmacht. Während ihrer gesamten Kripolaufbahn hatte sie stets eine emotionale Distanz zu ihren Fällen und den Opfern bewahren können. Das hatte auch maßgeblich zu ihrer hohen Aufklärungsrate beigetragen. Im Falle ihrer Schwester wollte ihr das einfach nicht gelingen, sosehr sie sich auch bemühte. Sevgis Schicksal ging ihr direkt unter die Haut, sie wollte Rache. Ihr Schwager sollte genau die gleichen Schmerzen erfahren, die ihre Schwester erleiden musste. Sie würde für Gerechtigkeit sorgen. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft würde sie alles dafür tun, dass die Beweislage wasserdicht war und er das höchstmögliche Strafmaß erhielt. Wofür arbeitete sie sonst auf der Seite von Recht und Gesetz? Ihr Handy riss sie aus ihren trüben Gedanken.

      »Celik!«, meldete sie sich.

      »Merve, ich bin’s. Hast du mitbekommen, was bei euch in der Straße los ist?«

      Merve erhob sich vom Sofa. »Hallo, Glander! Nein, ich stand bis eben in einem Traum aus Apfelgrün. Ich bin am Malern. Was ist denn passiert?«

      »Die neuen Nachbarn in Leas Zeile haben zwei Skelette in ihrem Keller gefunden. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei dem einen Leichnam um die Mutter der Runen handelt. Die ist Mitte der Sechziger spurlos verschwunden. Lutz rief mich gerade von Lea aus an, er sitzt mit den beiden bei ihr im Wohnzimmer.«

      Die Lehmann-Schwestern trugen ihren Spitznamen »die Runen« nicht grundlos. Das Klischee der konventionellen, nüchternen und leicht versnobten Pferdefreundinnen in Barbourjacke und Cavallo Reitstiefeln traf ganz und gar nicht auf sie zu, denn die zwei hatten einen für diese Kreise eher ungewöhnlichen ausgeprägten Hang zur Esoterik. Sie ließen sich regelmäßig ihre Horoskope erstellen und sich vor wichtigen Entscheidungen von ihrer Seherin Tarotkarten legen. Vor diesem Hintergrund und in Anlehnung an ihre Vornamen hatte irgendein Nachbar ihnen vor Jahren diesen humorigen Spitznamen gegeben. Auf Merve wirkten die beiden Schwestern so humorig wie jüngere Versionen der schrulligen Brewster-Schwestern in Arsen und Spitzenhäubchen – also auch ein bisschen unheimlich.

      Sie pfiff leise durch die Zähne. »Das ist krass. Hat Lutz gesagt, wer für den Fall zuständig ist?«

      »Unser alter


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