Mordgelüste in der Schlossklinik Buchenhain. Herbert SeiboldЧитать онлайн книгу.
Verwaltung in Kafkas Schloss verglichen! Ein für den neuen Geschäftsführer unglaublicher Fauxpas. Der schäumte immer noch vor Wut, da sein eigenes Verwaltungsschlösschen wirklich nicht als Paradigma einer unheimlichen Macht taugte. „Die Ungeheuerlichkeit dieses Vergleichs konnte nur von einem weltfremden Humanisten und versteckten Bösmenschen, zumindest von einem hoffnungslosen Träumer stammen!“
Frau von Hess zuckte kurz zusammen, als sie seine heraustretenden Augen sah. Sie machte sich ganz klein und hatte sogar kurz ihr Lächeln eingestellt.
Muniel aber fuhr jetzt unerwartet ruhiger fort: „In meinem Fall spielt Macht eine untergeordnete Rolle, ich bin doch – finden Sie nicht auch? – eher, wie soll ich sagen, altruistisch“, murmelte mit sich selbst wieder zufrieden der Verwaltungsdirektor und leckte sich die spröden und trockenen Lippen.
Frau von Hess-Prinz nickte ihm zu, musste aber zweimal schlucken. Bevor sie etwas sagte, dachte sie mit Blick in sein Gesicht, dass es Lippen seien, die schon lange nicht mehr geküsst worden waren.
Kurt Muniel fuhr stattdessen fort: „Manche Institutionen, zum Beispiel in Krankenhausverwaltungen der Universitätskliniken, sozusagen in C5-Positionen, wie die Stellungen von Verwaltungsdirektoren dort ironischerweise genannt werden – C4 ist normalerweise die höchste akademische Position in der Universität –, mögen kalte Machtinstrumente sein. Solche Verwaltungen schaffen eine tiefe Kluft zu den Menschen im Krankenhaus. Gut, dass es bei uns nicht so ist. Ich habe das Krankenhaus durch Visionen und klare Ziele vorerst gerettet und damit auch Arbeitsplätze! Jeden Morgen müssten mir die Ärzte zum Dienstantritt die Füße küssen.“ Der Geschäftsführer merkte nicht, dass er diese langen, immer wiederkehrenden, selbstzufriedenen Sätze schon zu oft vorgetragen hatte.
„Herr Doktor.“ Frau von Hess-Prinz’ Gesicht blieb auch jetzt gelassen freundlich und sie legte lächelnd ihre Hand auf seinen Unterarm. „Bitte quälen Sie sich nicht mehr so. Ich hole uns jetzt noch einen doppelten Espresso. Sie sind ja noch ganz blass. Ich habe übrigens schon dem Hausmeister Bescheid gesagt. Er wird sich um die Reparatur des Fensters kümmern.“
„Ich danke für den Espresso. Ich glaube aber – hm –, ich brauche eher einen doppelten Grappa“, entgegnet ihr Chef immer noch sichtbar genervt und fügte hinzu: „Haben Sie denn, Frau von Hess“, er hatte eine tiefe Falte auf der Stirn und sie bemerkte einen abrupten Umschwung von der Vertrautheit in die Distanziertheit mit ihr bekanntem Unbehagen, „eine Vorstellung, wer diesen Stein geworfen haben könnte?“
„Ich jedenfalls nicht, Herr Direktor“, feixte Veronika von Hess-Prinz und lächelte dabei schelmisch.
„Könnte es beim nächsten Mal eine Bombe sein, die neben mir hochgeht, während ich mich mit Zahlen am Schreibtisch herumschlage?“, fürchtete Muniel nun.
Frau von Hess schlug sofort einen sachlichen Ton an: „Jedenfalls kommt einer aus dem Umfeld der Klinik infrage und keine dummen Jungs von der Unterstadt und keine Palästinenser, obwohl von dort mehrmals im Monat E-Mails kommen, in denen um Assistentenstellen gebeten wird. Ja, auch entlassene Mitarbeiter sind nicht ausgeschlossen. Ich bin keine Profilerin. Spontan denke ich an einen impulsiven, eher einfach gestrickten Menschen, der Konflikte mit der Faust statt mit Argumenten und Worten zu lösen gewohnt ist. Im Moment fällt mir kein Konkreter mit Gesicht ein. Vielleicht ein Pfleger oder Handwerker, wenn nicht gar der Gärtner. Sie müssen Ihre Personalbesprechungen rekapitulieren. Haben Sie jemanden dieser Personengruppe – auch verdientermaßen – hart zurechtgewiesen? Übrigens! Bevor das Fenster ausgewechselt wird, müssen wir die Kriminalpolizei wegen der Spurensicherung holen – aber ohne Blaulicht und Uniformen. Ich sage gleich noch dem Hausmeister Bescheid – sorry, Sir! Darf ich dafür ausnahmsweise Ihr Telefon benutzen?“
Veronika konnte mit schwierigen Männern wirklich professionell umgehen und war jetzt ganz in ihrem Organisationselement. Sie spürte, dass ihr Herzklopfen verschwunden war, ihr wurde trotz der Kälte im Raum heiß und daran waren nicht die kommenden Wechseljahre schuld. Ihre Augen blitzten selbstbewusst. Selbst Muniel merkt manchmal, dass ich die Dinge im Griff habe, dachte sie zufrieden. Sie drehte sich zu ihm um. Er tippte gerade auf seinem Smartphone. Es störte sie nicht einmal, dass ihr Chef schon wieder wie geistesabwesend auf seinem Handy herumtippte.
Zu Beginn ihrer Zusammenarbeit hatte sie regelmäßig Herzklopfen gehabt, wenn sie an seine Tür klopfen musste. Das Gefühl, das ihren Brustkorb zu sprengen drohte, wurde durch Gewöhnung zunehmend besser, eine leichte Angst blieb aber, wenn er seinen harten und entschlossenen Blick auf sie richtete, besonders aber, wenn er laut wurde. Ich bin die Einzige, die seine Laune verbessern kann, hatte sie schon von Anfang an gedacht, als er ihr Chef geworden war und sie sein galliges unstetes Wesen erkannt hatte. Sie hatte sich eine Entspannungsstrategie zurechtgelegt. „Durch meinen Optimismus wird er mir aus der Hand fressen und mein Lächeln wird seinen Frust ersticken“, sagte sie sich mehrmals am Tag wie ein Mantra vor. Dafür ging sie auch in Meditationskurse. Sie hatte viele Gesichter – das musste sie wohl auch bei diesem Chef. Sie sah ihn jetzt an wie eine Mutter ihr unglückliches Kind.
„Darf ich mich kurz setzen, obwohl ich schon zu lange Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehme, Herr Doktor?“ Sie konnte ihn tatsächlich für Sekunden verzaubern. Mit einer Grandezza, wie sie von einem Baron kommen könnte, bot er ihr nämlich – oh Wunder – einen Stuhl an. Für Sekunden konnte er schlagartig eine andere Seite – die Gentleman-Seite – von sich zeigen. Veronika nutzte jetzt einfach diese andere Seite ihres Chefs und verteilte ihre Süßigkeiten, indem sie flötete: „Sie haben doch schon viel erreicht. Der Vorstand der Klinik GmbH müsste Ihnen tatsächlich – wie Sie selbst bemerkten – die Füße küssen. Ich bin ja so froh, dass es dank Ihrer Führung bergauf geht.“ Sie war erstaunt, dass ihr dieses Lob ohne zu stottern und ohne rot zu werden über die Lippen kam.
„Werden denn meine Bemühungen und Erfolge wahrgenommen?“, brummte er kaum hörbar, wurde aber allmählich lauter. Seine Stimme krächzte jetzt schon fast als Zeichen, dass Emotionen in ihm kochten. Auf dem Gesicht selbst konnte man noch keine Regung ablesen. Das Wort ‚Pokerface‘ kursierte schon mal unter den Mitarbeitern, wenn vom Verwaltungschef die Rede war.
„Natürlich sollte ich immer froh gestimmt sein, wenn, ja wenn da nicht der ständige Kampf um positive Bilanzzahlen wäre und wenn ich nicht so Schwierigkeiten hätte, die Mitarbeiter der Kliniken alle mit ins Boot zu kriegen. Wieso verstehen die das nicht? Die Sache ist doch ganz einfach, für einfache Ärzte vielleicht aber deshalb schwierig, weil die zwar Patienten und Krankheiten, aber nicht gleichzeitig gewinnrelevante Zahlen im Kopf behalten können. Als wenn das Gegensätze wären – für intelligente Menschen! Aufnahmen und Entlassungen können doch leicht so gesteuert werden, dass ein positiver ‚case mix‘ zustande kommt und Einnahmen die Ausgaben, auch die hohen Personalkosten, übertreffen. Zugegeben, unsere Patienten sollten nur so krank sein, dass die mittlere Verweildauer nie zu lange oder zu kurz wird und die Diagnosen die kalkulierten Bilanzen durcheinanderbringen. Patienten als Zahlen – so was darf man ja nicht laut sagen!“
Muniels Stirnfalte war wieder verschwunden und er machte ein Gesicht, als ob er dieses – wie alle glaubten – kranke System besiegt hätte. Veronika nickte ergeben, sie kannte die Litanei der Verzweiflung, wenn er sie für ein Seelenstündchen missbrauchte. Ohne Mühe ergab sie sich in ihr Geschick, ihm zuhören zu müssen.
„Meine Güte, alles wäre einfacher, wenn im Jahr 2003 nicht das diagnoseabhängige Bezahlsystem der Fallpauschalabrechnung, kurz DRG, eingeführt worden wäre“, kam Muniel auf sein Lieblingsthema zurück und wie aus einem alten einstudierten Drehbuch ergänzte seine Sekretärin: „Ja, die Gesundheitspolitik hat nicht nur kluge Entscheidungen getroffen. Es steht mir aber nicht zu, Namen aus der Politik zu nennen.“
Er lächelte sie jetzt – oh großes Wunder – sogar an und sie spürte, dass ihre Spannung nachließ und damit auch der Druck in ihrem Unterleib. Das ihr sehr unangenehme Glucksen im Bauch hatte auch aufgehört. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Chef diese Geräusche vernahm. Sie hoffte, mit Yoga und modernen „Freidiäten“, wie sie neuerdings selbst im Supermarkt angeboten wurden, auch noch dieses Problem zu lösen. Wir Frauen sind stark und unsichtbar mächtig! Ich muss nur wissen, wie mit ihm umzugehen ist, dass es auch mir dabei besser geht, dachte sie zufrieden und legte ihre