Tausend und eine Nacht. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.
mit dem Gedanken vertraut, dass er nun wohl an die Stelle des Elefanten treten müsse. Zum Glück sah er, dass die Schlangen sich in ihre Höhlen zurückzogen, weil es Tag wurde; denn sie fürchteten den Vogel Roch.
An diesem Tage schritt Sindbad ganze Wegstrecken lang auf gleißenden Diamanten, ohne die geringste Lust zu haben, einige davon aufzuheben, und jeder wäre doch ein Königreich wert gewesen. Aber die Nacht war schon wieder auf dem Wege; denn weil die Berge so himmelhoch waren, verbarg sich die Sonne sehr rasch; und weil Sindbad keinen Ausweg aus dem Tale sah, erspähte er eine Höhle zur Nachtruhe, kroch hinein und verschloss sie mit einem Steine. Nicht lange, da vernahm er das Gleiten der Riesenschlangen draußen, die einander mit furchtbarem Zischen begegneten; jene Nacht gehörte darum nicht zu den Annehmlichkeiten im Leben des Seefahrers.
Er vermochte kein Auge zu schließen und war froh, als die Sonne endlich einen Schein durch den Spalt am Türstein der Höhle warf. Um diese Zeit schritt er heraus, aß noch den Rest seines Mahles und lehnte sich zum Schlafen an einen Felsen.
Kaum hatten sich seine Lider gesenkt, als etwas mit großem Geräusche neben ihm niederfiel, das ihn jäh aus dem Schlummer riss. Es war ein großes Stück rohes Fleisch, und zugleich erkannte er, dass an den Hängen des Tales noch andere und größere Stücke herabrollten.
»Dies ist also jenes Tal der Diamanten, von denen mir die Kaufleute auf dem Schiffe erzählt haben«, dachte Sindbad. Er hatte die Geschichte damals für ein Märchen gehalten; denn sie lautete: »Das Tal der Diamanten ist so tief und die Berge ringsumher sind so steil, dass kein Mensch hinabsteigen kann, um das edle Gestein zu gewinnen. Wer sich nun in den Besitz der Diamanten setzen will, der muss von den Gipfeln der Berge große Stücke Fleisch in das Tal rollen, dann kommen die Adler und tragen das Fleisch ihren Jungen in die Nester auf den Gipfel. An jedem Stücke Fleisch aber sind etliche Diamanten des Talgrundes hängen geblieben; und wer nun die Adler von ihrem Horste scheucht, der findet die Diamanten.«
Was Sindbad gefürchtet hatte, traf also zu: es gab keinen Ausweg aus diesem fürchterlichen Tale des Todes! Aber die Stunde, die ihm die Bestätigung dieser Erkenntnis brachte, erfüllte ihn zugleich mit der ganzen Freude köstlicher Hoffnung. »Wie?« fragte er sich, »hat mich nicht der Vogel Roch viele Meilen durch die Luft getragen? Und sollte den Adlern dieser Berge nicht möglich sein, mich emporzuschleppen zu jenen Gipfeln?«
Er hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, so band er sich auch schon das längste Stück des herabgerollten Fleisches auf den Rücken, sammelte in Eile seinen ledernen Speisesack voll der schönsten Diamanten, schlang diesen fest an seinen Gürtel und legte sich auf den Bauch ins Gras.
Es waren noch nicht fünf Minuten vergangen, so geschah ein Brausen in der Luft. Das kam von den Adlern, die sich gierig auf das Fleisch stürzten, das da umherlag; und der stärkste unter ihnen packte das größte mit seinen Fängen und trug Sindbad samt dem Fleische zu seinem Horst.
Die Kaufleute, die in der Nähe der Nester auf der Lauer lagen, schlugen nun einen großen Lärm, bis sie die Adler verscheucht hatten, und alsbald näherte sich einer dem Flecke, auf dem Sindbad hockte.
Natürlich wunderte sich der Kaufmann nicht wenig, einen Menschen in dieser Gegend zu finden; und wie sie alle im Kreise standen, staunten sie über die unerhörte Dreistigkeit, mit der der Seefahrer seine List ausgeführt hatte.
Sindbad fühlte sich aber nicht recht wohl im Besitze seiner Diamanten; denn er dachte: »Nun werden Sie mit Übermacht sich auf mich stürzen und mich meines kostbaren Gutes berauben.« Dem war aber nicht so; denn jedem Kaufmann war ein bestimmtes Nest zugeteilt, an dessen Inhalt die anderen kein recht hatten. Und jener, der den Sindbad statt der Diamanten in seinem Horste entdeckte, hätte für diesmal das Nachsehen gehabt, wenn Sindbad nicht seinen Beutel aufgetan und gesagt hätte: »Da wähle dir einen der hellsten Steine, ich will ihn dir schenken!«
Der Glanz, der aus dem Beutel fiel, war leuchtender als der Glanz der Sonne und brach in ihre Augen, dass sie die Lider senken mussten; waren sich doch alle einig, dass sie so kostbares Gestein an dem Hofe keines Königs gesehen hätten. Der Kaufmann begnügte sich damit, einen einzigen von den Diamanten Sindbads für sich auszuwählen, und Sindbad forderte ihn auf, einen größeren zu nehmen.
»Ach«, sagte der glückliche Mann, »ich habe an diesem einen genug; denn er allein ist ein Königreich wert.«
Des anderen Tages reisten sie über die Berge von dannen, wo sie noch viele riesige Schlangen trafen, denen sie jedoch glücklich entgingen. Sie erreichten nach einigen Wandertagen einen Hafen und fuhren von da zu einer Insel, auf der in damaliger Zeit ein Baum wuchs, aus denen die Menschen den Kampfer gewannen. Dieser Baum war so groß, dass sich in seinem Schatten tausend Menschen lagern konnten. Nachdem Sindbad noch einige Handelsgeschäfte abgeschlossen hatte, reiste er wieder heim nach Bagdad.
Nicht lange hatte er dort gesessen, so befand er sich wieder auf dem Weltmeere, und ein wilder Sturm erfasste diesmal das Schiff, sodass der Kapitän gezwungen war, eine Insel anzulaufen, an der er viel lieber vorübergesegelt wäre; denn jene Insel war von einer zahllosen Menge scheußlicher Zwerge bewohnt. Das waren zwei Fuß hohe, behaarte Gesellen, deren jeden ein Mann sich leicht vom Leibe halten konnte. Aber sie kamen in Scharen wie die Heuschrecken, warfen sich schon ins Meer, als sie das Schiff erblickten, kletterten daran empor wie die Ratten und waren lästiger als ein Schwarm von Hornissen.
Aber der Kapitän hatte gewarnt, einen der Zwerge zu töten; denn sonst würden die anderen über die Schiffsleute herfallen und nicht eher ruhen, bis der letzte der Mannschaft vernichtet sei.
Der Kapitän hatte von Stund’ an kein Kommando mehr auf seinem Schiffe. Die Zwerge richteten das Steuer, landeten und nötigten alle, die an Bord waren, an Land zu gehen; das Schiff aber führten sie nach einer anderen Insel draußen im Ozean.
Die Mannschaft und die Reisenden erwarteten nun einen sicheren Tod. Alle gingen ein Stück landeinwärts und kamen zu einem großen Gebäude; das Tor tat sich auf, und sie traten in einen Hof, darin lagen auf der einen Seite sehr viele Menschenknochen, auf der anderen eine Menge Bratspieße. Kein Mensch konnte von diesem schrecklichen Orte fliehen; denn das Tor hatte sich mittlerweile lautlos geschlossen.
Als die Sonne unterging, trat mit mächtigem Geräusche ein Mann aus dem Hause, der war so groß wie ein Palmbaum, hatte lange Haare am Leibe und auf der Stirn ein Auge, das glühte wie eine heiße Kohle. Lange Zähne ragten aus seinem Munde hervor, die Oberlippe war gespalten wie bei einem Kamel, und die Unterlippe hing