Berufs- und Arbeitspädagogik. Bernhard GressЧитать онлайн книгу.
Die öffentliche Verantwortung wird vom Staat selbst unmittelbar getragen oder aber in Teilbereichen auf andere Einrichtungen (zum Beispiel Kommunen, Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft) übertragen. Zur Wahrnehmung der Verantwortung dienen unter anderem folgende Maßnahmen:
> Bau oder finanzielle Förderung von Schulen, Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen
> Unterhaltung von Bildungseinrichtungen
> Überwachung der allgemeinen Schulpflicht
> Schulaufsicht
> Aufsicht über sonstige Bildungseinrichtungen.
Die öffentliche Verantwortung für die Berufsausbildung ist entsprechend der Zuordnung im dualen System (Ausbildungsbetrieb und Berufsschule) zweigeteilt.
Ein Bildungssystem ist nur dann chancengerecht, wenn durch Differenzierung und Individualisierung dem Leistungsstand, den Neigungen und den persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen entsprochen wird (innere Differenzierung). Das bedeutet, dass innerhalb einer Lerngruppe dem Leistungsgefälle Rechnung getragen wird. Das bedeutet aber auch, dass besondere Begabungen und Leistungen in der Berufsausbildung anerkannt und öffentlich gefördert werden (äußere Differenzierung), zum Beispiel durch Begabtenförderungsprogramme. (>> Abschnitt 4.4.5.4)
1.3.2.2 Durchlässigkeit des Bildungswesens
Chancengleichheit setzt aber auch Durchlässigkeit der Bildungswege voraus.
Die Durchlässigkeit muss beim Übergang von einer schulischen in eine berufliche bzw. betriebliche Ausbildung beginnen.
Sie soll u. a. folgende weitere Übergänge und Verzahnungen ermöglichen:
> von der Einstiegsqualifizierung und von der Berufsausbildungsvorbereitung in die Berufsausbildung
> von der zweijährigen in eine dreijährige Berufsausbildung
> von der normalen Berufsausbildung in Zusatzqualifikationen
> von der Berufsausbildung in die Berufliche Oberschule
> von der Berufsausbildung in die berufliche Fortbildung
> von einer Fortbildung (Fortbildungsabschluss) in aufbauende Fortbildungsmaßnahmen und Abschlüsse
> von der Beruflichen Oberschule in die Fachhochschule
> von der Berufsausbildung in die Fachhochschule oder Hochschule
> von der Beruflichen Oberschule zur Universität
> vom beruflichen Fortbildungsabschluss (z. B. Meisterprüfung) zur Fachhochschule oder Hochschule
> von bestimmten berufsbildenden Qualifikationen zur Hochschulzugangsberechtigung.
Darüber hinaus sollten im beruflichen Bildungswesen erworbene Kompetenzen auf einschlägige Hochschulstudiengänge studienzeitverkürzend angerechnet werden. International gesehen sind bessere Übergänge zwischen den Bildungssystemen in der Europäischen Union anzustreben.
1.3.2.3 Transparenz
Die Gesellschaftspolitik muss dafür sorgen, dass sowohl das allgemeine Bildungswesen als auch die Organisation der beruflichen Bildung überschaubar sind (Transparenz). Dies ermöglicht dem jungen Menschen, zum jeweils richtigen Zeitpunkt die richtige Wahl zu treffen.
1.3.2.4 Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Allgemeinbildung
Die Bildungspolitik der zurückliegenden Jahrzehnte, die schwerpunktmäßig auf die Förderung der Allgemeinbildung (Gymnasien) und der Hochschulbildung ausgerichtet war, hat dazu geführt, dass es mehr Studenten als Lehrlinge gibt. Die Folge ist ein teilweiser Mangel an qualifizierten Facharbeitern und Meistern.
Ein Land wie die Bundesrepublik, das nur wenige Rohstoffe besitzt, ist aber auf die Leistungsfähigkeit der arbeitenden Menschen in allen Bereichen angewiesen. Die Bewältigung des technischen Fortschritts, die Weiterentwicklung der Formgebung und die Einführung neuer Arbeitsverfahren und Innovationen erfordern den qualifizierten Praktiker genauso wie den Akademiker. Deshalb muss die berufliche Bildung aufgewertet und eine Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung sichergestellt werden.
Dies hat nichts mit Gleichheit der Bildungsinhalte zu tun, sondern Gleichwertigkeit bedeutet gleiche politische und gesellschaftliche Anerkennung der beruflichen Bildung.
Nach dem klassischen Bildungsbegriff war Allgemeinbildung von der Auffassung getragen, man solle den Menschen zunächst zweckfrei bilden und ihn so zu Selbstständigkeit und Fähigkeit der Lebensbewältigung im Privaten wie für eine berufliche Tätigkeit bringen.
Berufsbildung dagegen heißt ja zunächst und vor allem Qualifizierung für einen bestimmten Beruf. Aber auch die Berufsbildung hat über die Vermittlung berufsspezifischen Wissens eine Bildungswirkung (zum Beispiel Einsichten, Urteile, Übertragung des Erlernten auf andere Bereiche).
Wenn unter Bildung vornehmlich die Entwicklung zur Selbstständigkeit verstanden wird und wenn durch Einsichten Urteilsfähigkeit, Wertorientierung und Verantwortung vermittelt werden, dann kann es keinen Gegensatz zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung geben.
Folgende Maßnahmen sind zur Herstellung der Gleichwertigkeit beruflicher Bildung zweckmäßig:
Das berufliche Bildungswesen wird auf Dauer nur dann konkurrenzfähig bleiben, wenn demjenigen, der eine praktische Berufsausbildung durchläuft, mit der Sicherheit eines erlernten Berufes grundsätzlich die gleichen Aufstiegschancen eingeräumt werden wie demjenigen, der den gymnasialen Bildungsweg beschreitet. Mittlerweile wurde die grundsätzliche Studienberechtigung für Meister und auch beruflich Qualifizierte eingeführt. Damit ist ein wichtiger Meilenstein hinsichtlich der Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Allgemeinbildung erreicht.
1.3.3 Das duale System der Berufsausbildung: Struktur, Zuständigkeiten, Aufgabenbereiche, Kontrolle
1.3.3.1 Struktur des dualen Systems der Berufsausbildung
Die Berufsausbildung erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland im Handwerk überwiegend nach dem „dualen Ausbildungssystem“.
In diesem System erfolgt die Berufsausbildung getrennt im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule.
Schwerpunkt der praktischen Unterweisung ist der Betrieb. Die Berufsschule vermittelt Fachtheorie und allgemeinbildende Inhalte.
Die überbetriebliche Unterweisung ist eine Ergänzung zur praktischen Ausbildung im Betrieb.
1.3.3.2 Aufgabenschwerpunkte des Betriebes als Ausbildungsstätte
Die wesentliche Ausbildungspflicht für den Ausbildungsbetrieb ergibt sich aus § 14 Abs. 1 des Berufsbildungsgesetzes wie folgt:
Der Ausbildende hat dafür zu sorgen, dass dem Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist, und die Berufsausbildung in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert so durchzuführen, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann.
Der Ausbildungsbetrieb hat also die Verantwortung dafür, dass nach Ablauf der Ausbildungszeit und erfolgreich bestandener Gesellen- oder Abschlussprüfung die volle berufliche Handlungsfähigkeit für den jeweiligen Ausbildungsberuf vorhanden ist.