Preußentum und Sozialismus. Oswald SpenglerЧитать онлайн книгу.
Weltanschauung betrachteten, und die Epigonen der Sozialdemokratie, denen die eiserne Hand Bebels fehlte, der mit seinem starken Wirklichkeitssinn dies schamlose Schauspiel nicht geduldet, der eine Diktatur, von rechts oder links, gefordert und erreicht hätte. Er hätte dies Parlament zum Teufel gejagt und die Pazifisten und Völkerbundsschwärmer erschießen lassen.
Das also war der Bastillesturm der deutschen Revolution.
Souveränität der Parteiführer ist ein englischer Gedanke. Um ihn zu verwirklichen, müsste man Engländer von Instinkt sein und den gesamten Stil des englischen öffentlichen Lebens hinter sich und in sich haben. Mirabeau dachte daran. »Die Zeit, in der wir leben, ist sehr groß; die Menschen aber sind sehr klein und noch sehe ich niemand, mit dem ich mich einschiffen möchte« – ihm dies stolze und resignierte Wort nachzusprechen, hatte 1917 niemand das Recht. Die Härte der Staatsgewalt brechen, nichts Entscheidendes mehr über sich dulden, ohne selbst Entscheidungen gewachsen zu sein, das war der rein negative Sinn dieses Staatsstreiches: Absetzung des Staates, Ersatz durch eine Oligarchie subalterner Parteihäupter, die nach wie vor Opposition als Beruf und Regieren als Anmaßung empfanden, vor dem lachenden Gegner, vor verzweifelnden Zuschauern im Innern Stück für Stück abtragen, anbohren, verrücken, die neue Allmacht an den wichtigsten Beamten erproben wie ein Negerkönig ein Gewehr an seinen Sklaven, das war der neue Geist, bis in der schwarzen Stunde des letzten Widerstandes dieser Staat verschwand.
3.
Dem Handstreich der englischen Staatsgegner folgte mit Notwendigkeit im November 1918 der Aufstand des marxistischen Proletariats. Der Schauplatz wurde aus dem Sitzungssaal auf die Straße verlegt. Gedeckt durch die Meuterei der »Heimatarmee« brachen die Leser der radikalen Presse los, von den klügeren Führern verlassen, die nur noch halb von ihrer Sache überzeugt waren. Auf die Revolution der Dummheit folgte die der Gemeinheit. Es war wieder nicht das Volk, nicht einmal die sozialistisch geschulte Masse; es war das Pack mit dem Literatengeschmeiß an der Spitze, das in Aktion trat. Der echte Sozialismus stand im letzten Ringen an der Front oder lag in den Massengräbern von halb Europa, der, welcher im August 1914 aufgestanden war und den man hier verriet.
Es war die sinnloseste Tat der deutschen Geschichte. Es wird schwer sein, in der Geschichte anderer Völker Ähnliches zu finden. Ein Franzose würde den Vergleich mit 1789 als eine Beleidigung seiner Nation mit Recht ablehnen.
War das die große deutsche Revolution?
Wie flach, wie flau, wie wenig überzeugt war das alles! Wo man Helden erwartete, fand man befreite Sträflinge, Literaten, Deserteure, die brüllend und stehlend, von ihrer Wichtigkeit und dem Mangel an Gefahr trunken, umherzogen, absetzten, regierten, prügelten, dichteten. Man sagt, diese Gestalten beschmutzen jede Revolution. Gewiss. Nur dass in den anderen das gesamte Volk mit solcher Urgewalt hervorbrach, dass die Hefe verschwand. Hier handelte sie allein. Die ungeheure Masse, die ein Gedanke zur Einheit schmiedete, blieb aus.
In der Bebelpartei war etwas Soldatisches gewesen, das sie vor dem Sozialismus aller anderen Länder auszeichnete, klirrender Schritt der Arbeiterbataillone, ruhige Entschlossenheit, Disziplin, der Mut, für etwas Jenseitiges zu sterben. Seit die intelligenteren Führer von gestern sich dem Feinde von gestern, der vormärzlichen Spießbürgerlichkeit in die Arme geworfen hatten, aus Angst vor dem Erfolg einer Sache, die sie seit 40 Jahren vertraten, aus Angst vor der Verantwortung, vor dem Augenblick, wo sie Wirklichkeiten nicht mehr angreifen, sondern schaffen sollten, erlosch die Seele der Partei. Hier trennten sich – zum ersten Male! – Marxismus und Sozialismus, die Klassentheorie und der Gesamtinstinkt. Beschränkte Ehrlichkeit war nur bei den Spartakisten. Die Klügeren hatten den Glauben an das Dogma verloren, den Mut zum Bruche mit ihm noch nicht gefunden. Und so hatten wir das Schauspiel einer Arbeiterschaft, die durch einige dem Gehirn eingehämmerte Sätze und Begriffe in ihrem Bewusstsein vom Volke abgespalten war, von Führern, die ihre Fahne verließen, Geführten, die nun führerlos vorwärts stolperten – am Horizont ein Buch, das sie nie gelesen und das jene in seiner Beschränktheit nie verstanden hatten. Sieger in einer Revolution ist nie eine einzelne Klasse – da hat man 1789 falsch verstanden; Bourgeoisie ist nur ein Wort –, sondern, es sei immer wieder gesagt, das Blut, die zum Leib, zum Geist gewordne Idee, die alle vorwärts treibt. Sie nannten sich 1789 die Bourgeoisie, aber jeder echte Franzose war und ist heute noch Bürger. Jeder echte Deutsche ist Arbeiter. Das gehört zum Stil seines Lebens. Die Marxisten hatten die Gewalt in Händen. Aber sie dankten freiwillig ab; der Aufstand kam für ihre Überzeugung zu spät. Er war eine Lüge.
4.
Verstehen wir überhaupt etwas von Revolution? Als Bakunin 1848 den Aufruhr in Dresden mit einer Niederbrennung aller öffentlichen Gebäude krönen wollte und auf Widerstand stieß, erklärte er »Die Deutschen sind zu dumm dazu« und ging seiner Wege. Die unbeschreibliche Hässlichkeit der Novembertage ist ohne Beispiel. Kein mächtiger Augenblick, nichts Begeisterndes; kein großer Mann, kein bleibendes Wort, kein kühner Frevel, nur Kleinliches, Ekel, Albernheiten. Nein, wir sind keine Revolutionäre. Keine Not, keine Presse, keine Partei kann einen ordnungswidrigen Sturm mit der Gewalt von 1813, 1870, 1914 hervorrufen. Von ein paar Narren und Strebern abgesehen, wirkte die Revolution auf jeden wie ein einstürzendes Haus, am tiefsten vielleicht auf die Sozialistenführer selbst. Es ist ohne Beispiel: sie hatten plötzlich, was sie seit 40 Jahren erstrebten, die volle Gewalt, und empfanden sie als Unglück. Dieselben Soldaten, die unter der schwarz-weiß-roten Fahne vier Jahre lang als Helden gefochten hatten, haben unter der roten nichts gewollt, nichts gewagt, nichts geleistet. Diese Revolution hat ihren Anhängern den echten Mut nicht gegeben, sondern genommen.
Das klassische Land westeuropäischer Revolutionen ist Frankreich. Der Schall tönender Worte, die Blutströme auf dem Straßenpflaster, la sainte guillotine, die wüsten Brandnächte, der Paradetod auf der Barrikade, die Orgien rasender Massen – das alles entspricht dem sadistischen Geist dieser Rasse. Was an symbolischen Worten und Akten zu einer vollständigen Revolution gehört, kommt aus Paris und ist von uns nur schlecht nachgeahmt worden. Wie ein proletarischer Aufstand unter feindlichen Kanonen aussieht, haben sie uns schon 1871 vorgeführt. Es wird nicht das einzige Mal gewesen sein.
Der