Kreta Reiseführer Michael Müller Verlag. Eberhard FohrerЧитать онлайн книгу.
Bucht von Mália → Link.
Im Palast von Knossós
Hinterland von Iráklion
Iráklions hügliges Hinterland ist ein einziges Weinfeld - überall bedecken grüne Reben die Hänge, gut geschützt vor den heißen Sommerwinden aus Süden.
Von geradezu magischer Anziehungskraft ist natürlich der minoische Palast von Knossós, wenige Kilometer südlich von Iráklion. Aber auch die archäologischen Entdeckungen bei Archánes (die in Fachkreisen als Sensation gewertet wurden), das Töpferdorf Thrapsanó, das Weinstädtchen Pezá und das Kazantzákis-Museum in Mirtiá sind besuchenswert.
Die sanfte Weinlandschaft liegt eingebettet zwischen zwei Gebirgen: im Westen der mächtige Psilorítis, im Osten die steilen Hänge des Díkti-Massivs mit der berühmten Lassíthi-Ebene. Ein oder zwei ausgiebige Touren lohnen auch hier: Eine schöne Fahrt führt beispielsweise ins hoch gelegene Bergdorf Anógia, Ausgangspunkt eines Ausflugs zur Nída-Hochebene mit der Höhle Idéon Ándron, in der Göttervater Zeus aufgewachsen sein soll. Von hier aus kann man außerdem den Tímios Stavrós (2456 m) besteigen, der zusammen mit dem Páchnes im Westen der höchste Berg Kretas ist.
Knossós
Die Palastanlage der sagenhaften minoischen Könige liegt nur wenige Kilometer südöstlich von Iráklion und ist eins der bedeutendsten Baudenkmäler der Frühgeschichte.
In über 30 Jahren mühevoller Kleinstarbeit wurde das riesige Areal Anfang des 20. Jh. freigelegt - eine Trümmerwüste mit verkohlten Grundmauern, zerstörten Innenräumen und leeren Säulenstümpfen, aber von unschätzbarer Bedeutung für Archäologie und Altertumswissenschaft. Was hier tief in der Erde Kretas geruht hatte, war eine Sensation und übertraf die kühnsten Erwartungen aller Forscher: der schlagende Beweis für die Existenz einer hoch entwickelten Zivilisation lange vor der klassischen Antike Griechenlands!
Die Bronzebüste des Ausgräbers
Dass sich ein Besuch von Knossós auch für fachlich nicht vorgebildete Besucher lohnt, ist das Verdienst des Ausgräbers, Sir Arthur Evans. Mit viel Fantasie, Enthusiasmus und großer Einbildungskraft machte er aus dem Palast, was er heute ist - die wohl umstrittenste Rekonstruktion eines geschichtlichen Bauwerks, die es gibt.
Wo andere Archäologen alles peinlichst genau im Originalzustand belassen hätten, zog Evans Zwischendecken ein, vervollständigte abgebröckelte Mauern mit Beton, stellte neue Säulen auf die Stümpfe, malte die Räume mit knalligen Farben aus. Kurz, er tat alles, um wenigstens Teile des Palastes so wiederherzustellen, wie sie gewesen sein könnten. Andererseits ließ er Mauern, die nicht in sein Bild vom Palast passten, rigoros verschwinden, ja kartografierte sie nicht einmal. Vor allem dies wird ihm heute schwer angekreidet. Was Evans an strenger Wissenschaftlichkeit zu wenig hatte, hatte er zu viel an Intuition und Spekulation. So schloss er aus dem Vorhandensein einer schlichten Tonwanne gleich auf die Funktion des Raumes - natürlich ein Badezimmer. Der fehlende Abfluss störte ihn dabei nicht. Ein eingestürztes Obergeschoss (Piano Nobile) richtete er wieder völlig her - ob es wirklich jemals so aussah, wissen die (minoischen) Götter ... Jedoch muss man fairerweise berücksichtigen, dass die archäologische Wissenschaft damals noch in den Kinderschuhen steckte. So dachte Evans, er könne die kostbaren Reste der Originalräume mit Stahlbetondecken vor heftiger Sonneneinstrahlung und Regenfällen schützen. Eben dieser schwere Beton gefährdet aber heute die uralten Grundmauern durch sein Gewicht auf bedenkliche Weise.
Wie dem auch sei, Evans’ gewagte und originelle Rekonstruktionen haben jedenfalls dazu beigetragen, Knossós „attraktiv“ zu machen. Sie sind bis heute nahezu unverändert, obwohl die Wissenschaft mittlerweile vieles anders sieht - und die meisten Besucher freuen sich daran, auch wenn Knossós die zweitteuerste archäologische Stätte Griechenlands ist (nach der Akropolis in Athen).
Geschichte
Der Palasthügel von Knossós war schon während der Jungsteinzeit besiedelt - unter dem Zentralhof hat man Reste von Wohnhütten gefunden. Nach 2000 v. Chr. entstand dann der erste Palast, gleichzeitig mit den Palästen von Festós und Mália. Bereits damals muss um den Hügel herum eine größere Siedlung existiert haben.
Um 1700 v. Chr. wurden Knossós und die anderen Paläste wahrscheinlich durch ein Erdbeben zerstört, bereits um 1600 aber wiederaufgebaut - noch schöner und wesentlich größer als vorher. Die Blütezeit der minoischen Kultur fällt in diese Zeit. Knossós war der Mittelpunkt der Insel, mit seinen beiden Häfen und weit über 100.000 Einwohnern hatte die Stadt um den Palast wohl annähernd so viele Einwohner wie das heutige Iráklion! Von Knossós aus sollen der sagenhafte König Mínos und seine Nachfolger die ganze Insel und das östliche Mittelmeer beherrscht haben.
Das Labyrinth des Minotauros
Laut Arthur Evans war Knossós der Schauplatz des grausigen Mythos um den Minotauros (→ Geschichte). Imponierend in seiner Größe und Vielfältigkeit wirkt der Palast auch heute noch. Aber wie mögen ihn erst die Festlandsgriechen empfunden haben, als sie ihn nach der rätselhaften Brandkatastrophe von 1450 v. Chr. durchstöberten? Eingestürzte Lichtschächte und Mauern, lange rätselhafte Gänge, verschüttete Etagen, Treppen ins Dunkel ... Evans vermutete, dass sie ihn damals nach den zahllosen Doppeläxten (= labrys), die überall in die Wände und Pfeiler geritzt waren, „Labyrinthos“ nannten. Allmählich wurde dieses Wort gleichbedeutend mit Chaos und Irrgarten, in dem sich kein gewöhnlicher Sterblicher mehr zurechtfindet - das Wort Labyrinth war entstanden. So weit die Theorie von Evans, allerdings gibt es dagegen gewichtige Einwände und die Vermutung, dass sich das Labyrinth von Kreta ganz woanders befand (→ Link).
1450 v. Chr. bricht eine bis heute rätselhafte Katastrophe über Kreta herein, nach älteren Theorien verursacht durch einen gewaltigen Vulkanausbruch auf der Insel Santoríni, der eine ungeheure Flutwelle erzeugt, die wenig später die kretische Nordküste erreicht und furchtbare Verwüstungen anrichtet. Neuere Untersuchungen stellen den Zusammenhang zwischen Vulkanausbruch und Zerstörung der Paläste jedoch entschieden in Frage (→ Geschichte). Was auch immer die Ursache gewesen sein mag, der Palast brennt jedenfalls bis auf die Grundmauern nieder. Brandspuren sind noch heute an der Westfront zu erkennen. Anders als die übrigen Paläste wird Knossós aber zum zweiten Mal wiederaufgebaut, wahrscheinlich von den Mykenern, die damals Kreta eroberten. Aus dieser Zeit stammen auch die berühmten Linear-B-Schrifttäfelchen, die man auf Kreta nur hier gefunden hat - wahrscheinlich die älteste Form des mykenischen Griechisch. In den 1950er Jahren konnte ein Brite die Schrift entziffern (→ allgemeiner Teil/Geschichte).
Um 1400 folgt dann die endgültige Zerstörung des Palastes, vielleicht durch wieder neue Eroberer. Die Siedlung Knossós bleibt jedoch bestehen, ebenso wie ihre Häfen. Die Dorer bewohnen fortan die noch immer mächtige Stadt. Sie überdauert sogar die Besetzung durch Römer und Byzantiner, bis sie im 9. Jh. n. Chr. von den Sarazenen zerstört und geplündert wird. 1271 wird sie erstmals urkundlich erwähnt und ist mit Unterbrechungen