ACT leicht gemacht. Russ HarrisЧитать онлайн книгу.
und dir sonst wohin stecken!« Kennen Sie solche negativen Reaktionen von Klienten? Achtsamkeit hat, wenigstens in manchen Kreisen, einen schlechten Klang.
Ein Teil des Problems ist, dass viele Menschen – Klientinnen wie Therapeutinnen – die Worte »Meditation« und »Achtsamkeit« nicht unterscheiden. Um also ganz klar zu sein: Sie sind nicht dasselbe. Erstens bezieht sich Achtsamkeit nicht notwendigerweise auf formale meditative Praxis, wie das Beobachten des eigenen Atems oder die Reise durch den Körper. Manchmal ist das der Fall, sicher, aber das Wort bezieht sich auch auf eine Menge Fähigkeiten, Hilfsmittel und Praktiken, die mit formaler Meditation wenig oder keine Ähnlichkeit haben.
Vergessen Sie auch nicht, dass es viele verschiedene Arten von Meditation und Meditationspraktiken gibt. Manche von ihnen unterscheiden sich extrem von formaler Achtsamkeitsmeditation. Bei manchen Arten der Meditation ist zum Beispiel das Ziel, den »Geist von allen Gedanken zu befreien«. Dies ist gerade das Gegenteil von Achtsamkeitsmeditation, bei der man nicht die Erwartung hat, dass der »Geist leer wird«, sondern für die vielen Gedanken, die kontinuierlich auftauchen, offen ist und sich für sie interessiert. (Gleich mehr über diese Unterscheidung.)
Bei einigen ACT-Protokollen, wie zum Beispiel Akzeptanz- und Commitment-Therapie für Angststörungen von Eifert und Forsyth (2009) spielt formale Achtsamkeitsmeditation eine große Rolle. In den späteren Wochen dieses Therapieprotokolls meditieren die Klienten (in zwei Sitzungen von je 20 Minuten) bis zu 40 Minuten pro Tag. Dies ist jedoch ein Sonderfall der ACT. Die meisten Therapieprotokolle legen auf formale Meditation viel weniger Gewicht und betonen stattdessen informelle, schnelle Achtsamkeitskompetenzen, die leicht in den Alltag eingebaut und jederzeit, an jedem Ort und bei jeder Aktivität angewendet werden können.
Warum neigen ACT-Protokolle dazu? Es ist rein pragmatisch. Wenn wir so viele Menschen wie möglich dazu bringen wollten, mehr Sport zu treiben, würden wir nicht darauf bestehen: »Sie müssen 40 Minuten pro Tag ins Fitnessstudio gehen!« Wenn wir das täten, würden wir eine Menge Widerstand bekommen und sehr viele würden aussteigen. Stattdessen könnten wir vorschlagen: »Benutzen Sie die Treppen statt des Fahrstuhls!«, »Parken Sie eine Straßenecke vom Supermarkt entfernt!«, »Gehen Sie mittags zehn Minuten spazieren!« und so weiter. In der ACT gehen wir ähnlich vor, wenn es darum geht, Kompetenzen in Achtsamkeit zu entwickeln. Unser Ziel ist es, es Menschen einfach zu machen, diese neuen Achtsamkeitspraktiken in ihren Alltag einzubauen, und es ihnen leicht genug, dass sie bereit sind, sie zu machen.
»Achtsamkeit« wird zu einem dubiosen Wort
Als ich im Jahr 2006 mein erstes Buch »Raus aus der Glücksfalle« (2014, orig. The Happiness Trap), schrieb, war das Wort »Achtsamkeit« so wenig bekannt, dass ich es erst in der zweiten Hälfte des Buches erwähnte. Jetzt, zwölf Jahre später, sieht es so aus, als würde fast jede das Wort kennen. Leider gibt es jetzt so viele verschiedene Konnotationen, die mit diesem Wort verbunden werden, dass man es häufig besser gar nicht verwendet. Ich habe schon erwähnt, dass viele Menschen Achtsamkeit nicht von Buddhismus oder Meditation unterscheiden. Andere verwechseln Achtsamkeit mit positivem Denken, Entspannung oder Ablenkung, oder halten sie für eine Möglichkeit, unerwünschte Gedanken und Gefühle loszuwerden. Wie wir schon gesehen haben, ist nichts davon mit Achtsamkeit gemeint (wenigstens so, wie wir den Begriff in der ACT verstehen). Im Verlaufe dieses ganzen Buches werde ich Sie also ermutigen, stattdessen andere Worte zu verwenden: »Befreiung aus einer Verstrickung mit etwas«, »sich engagieren«, »Anker werfen«, »auf Aufgaben fokussierte Aufmerksamkeit«, »Umfassen« und so weiter. Und ich werde Ihnen empfehlen, Ihren Klientinnen klar zu sagen, welche spezifische Kompetenz sie vermitteln und wie sie ihnen bei ihren Problemen wahrscheinlich helfen kann (d. h. sprechen Sie nicht einfach nur von »Achtsamkeit«).
Wenn zum Beispiel schwierige Gedanken, Sorgen oder Grübeln Klienten im Griff haben, könnten wir davon sprechen, dass wir ihnen helfen, sich daraus zu »befreien« oder wie sie »Kompetenzen« erlernen, mit denen sie sich »befreien« können. Oder wenn es Klientinnen hilft, ihre Werte zu leben und ihre Ziele zu verfolgen, wenn sie Raum für schwierige Gefühle machen, können wir darüber sprechen, dass wir ihnen helfen, um diese Gefühle »zu umfassen« oder sich für sie »zu öffnen und Raum zu machen«. Dann können wir davon sprechen, ihnen beim »Umfassen« oder »sich öffnen und dafür Raum geben« zu helfen. Und wenn es ihnen schwerfällt, sich auf wichtige Aufgaben zu konzentrieren, sich auf das Leben einzulassen oder bei ihren Kindern präsent zu sein, dann können wir ihnen helfen, zu »fokussieren«, »neu zu fokussieren«, »sich einzulassen«, »ihre Aufmerksamkeit zu üben« oder »präsent zu sein«. Im Grunde ist »Achtsamkeit« als ein Begriff häufig einfach zu abstrakt, zu verkopft, zu allgemein und viel zu weit von den Problemen der Klientinnen entfernt.
Etwas, worauf man aufpassen sollte, ist der enorme Unterschied zwischen »Achtsamkeit praktizieren« und »Achtsamkeits meditation praktizieren«. Wieder handelt es sich um verschiedene Dinge. Es gibt unzählige
Möglichkeiten, wie man im Alltag Achtsamkeit praktizieren kann, ohne je zu meditieren. Es ist einfach so, dass die meisten Klienten nie dahin gelangen, in großem Stil zu meditieren, wenn überhaupt. Und viele wird allein der Gedanke an Meditation abschrecken. Wenn Sie ein Programm zur Achtsamkeitsmeditation anbieten und Leute deshalb zu Ihnen kommen, toll. Aber wenn Sie im therapeutischen Kontext anfangen, für »Meditation« zu werben, werden Sie häufig wenig Anklang finden.
Unter dem Strich ist es so, dass wir jede der vier spezifischen Achtsamkeitskompetenzen, die in der ACT beschrieben werden – Defusion, Akzeptanz, Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment und Selbst als Kontext – mit den jeweiligen Problemen der Klientinnen und ihren Therapiezielen verknüpfen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht nur sehen, warum dies relevant ist, sondern auch dahin kommen, ihren Nutzen in den Sitzungen zu erfahren.
Wenn Sie das Wort »Achtsamkeit« aber gegenüber einem Klienten verwenden, und es eine negative Reaktion hervorruft, dann sollten Sie diese Reaktion respektvoll untersuchen. Sieht der Klient Achtsamkeit als eine religiöse Praxis? Hat er Schlechtes über Achtsamkeit gehört? Was für Erfahrungen hat er in der Vergangenheit mit Achtsamkeit gemacht? Welche Praktiken oder Übungen von Achtsamkeit hat er schon ausprobiert? Was hat er sich erhofft und was ist tatsächlich geschehen?
Wenn Sie solchen Fragen nachgehen, werden Sie oft finden, dass Ihre Klientinnen die Art flexiblen, nichtmeditativen, praktischen Ansatz zu Achtsamkeit, den die ACT anbietet, nicht kennengelernt haben. Vielmehr haben sie wahrscheinlich Praktiken formaler Achtsamkeitsmeditation erlebt – die, seien wir ehrlich, für viele Menschen hart und langweilig sind. In solchen Fällen könnten wir sie beruhigen: »Das ist ein ganz anderer Ansatz zu Achtsamkeit, als wir bei diesem Modell haben. Aber vor dem Hintergrund, dass das Wort für Sie einen negativen Klang hat, hören wir auf, es zu verwenden. Sprechen wir einfach von der Fähigkeit, sich aus Verstrickungen zu befreien.«
Außerdem werden Sie häufig Klienten begegnen, die nicht wirklich verstehen, wie Achtsamkeit im Alltag helfen soll. Sehr verbreitet ist, dass sie sie als eine Entspannungstechnik missverstanden und erwartet haben, dass sie sie von ihrer Angst oder anderen schwierigen Gefühlen befreit. Sie sind enttäuscht, dass sie das so nicht bewirkt hat. In solchen Fällen braucht man etwas Psychoedukation in Bezug auf den Sinn von Achtsamkeit in der ACT.
WAS SIE MITNEHMEN KÖNNEN
»Achtsamkeit« ist nur ein schwieriges Wort in der ACT. Es gibt noch ziemlich viele andere, zum Beispiel »Werte«, »Engagement« (commitment), »Akzeptanz« und »positive Selbstzuwendung«. Diese Worte haben viele negative Konnotationen. Bei manchen Klientinnen kann man sie gut verwenden, aber bei anderen können sie negative Reaktionen auslösen. Wenn wir zu diesen Themen kommen, werde ich Ihnen also eine Auswahl anderer Worte nennen, die Sie statt ihrer verwenden können. Denken Sie daran, wie in Kapitel 1 gesagt (und wie ich später wiederholen werde), dass Sie in der ACT alles so anpassen und modifizieren, dass es zu Ihrem eigenen Stil und zu den Klienten passt, mit denen Sie arbeiten. Wenn Sie den Verdacht haben, dass ein bestimmtes Wort, eine Metapher, ein Hilfsmittel oder eine Technik bei Ihrer Klientin nicht gut ankommt, dann ändern, modifizieren Sie sie oder passen Sie sie an. Halten Sie sich nicht an das Skript, sondern seien Sie kreativ und improvisieren Sie um es herum.
Aber jetzt genug von dubiosen Begriffen: