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Das achtsame Gehirn. Daniel SiegelЧитать онлайн книгу.

Das achtsame Gehirn - Daniel Siegel


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regelmäßige Teilung. Ein Produkt dieser Teilung setzt durch Vermehrung die Stammzellenlinie fort (Proliferation), während das andere, die „Tochterzelle“, dazu angeregt werden kann, zu einer voll integrierfähigen Nervenzelle im Gehirn heranzuwachsen (Differenzierung). Wir wissen, dass sich Neurogenese bei Erwachsenen zumindest im Hippocampus vollzieht (synaptische Plastizität) und dass diese Tochterzellen über einen Zeitraum von mehreren Monaten dazu angeregt werden können, zu voll funktionsfähigen, integrierten Neuronen heranzuwachsen (Kempermann, Gast & Gage 2002).

      Erfahrungen können strukturelle Veränderungen im Gehirn bewirken. Häufig finden solche Veränderungen auf der fein abgestimmten mikrostrukturellen Ebene statt; zum Beispiel wenn wir im Gedächtnis neue Assoziationen schaffen. Mit Hilfe eines Scanners können solche Veränderungen jedoch kaum nachgewiesen werden, es sei denn, sie wären recht markant. Aufgrund von Sara Lazars veröffentlichter Arbeit (Lazar et al. 2005), die strukturelle Veränderungen aufzeigt, sollte uns bewusst sein, dass dieser Befund nur durch signifikantes Wachstum von Nervengewebe im Gehirn zustande gekommen sein kann. Sollte dies das Resultat von Erfahrung sein, dann könnte es sein, dass die Neuroplastizität im Zentrum jenes Befunds stünde: Ein wiederholtes Feuern von Neuronen in spezifischen Arealen würde zu einer deutlich erhöhten Synapsendichte in jenen Regionen führen, die durch die Achtsamkeitspraxis aktiviert werden. Das Wachstum von unterstützenden Zellen und Blutgefäßen könnte sowohl zum Funktionieren dieser Bereiche als auch zu der größeren Dicke beitragen. Das achtsame Gewahrsein ist somit eine Form der Erfahrung, welche die Neuroplastizität zu fördern scheint.

      Wenn wir unsere Aufmerksamkeit in spezifischer Weise fokussieren, dann aktivieren wir die Schaltkreise im Gehirn. Diese Aktivierung kann die synaptischen Verbindungen in den betreffenden Bereichen stärken. Wenn unsere Hypothese lautet, dass Achtsamkeit als eine Form der Beziehung zu sich selbst nicht nur aufmerksamkeitsbezogene Schaltungen, sondern auch soziale Schaltkreise beinhaltet, dann bedeutet dies, dass wir neue Dimensionen unserer achtsamen Erfahrung im Gehirn erforschen oder, mit anderen Worten, nach „neuronalen Korrelaten“ derselben suchen können (für Rezensionen der sozialen Neurowissenschaft siehe Cozolino 2006 und Goleman 2006).

      Bei der Untersuchung von Veränderungen im Gehirn als Reaktion auf Erfahrungen können wir auf Daten aus funktionellen Bildgebungsverfahren (wie der fMRI, der funktionellen Magnetresonanztomografie) oder elektronischen Überwachungsgeräten (wie EEGs und ähnlichen Testverfahren) zurückgreifen. Dabei sollten wir nicht nur auf die physische Struktur des Gehirns schauen, sondern auch auf das Funktionieren des Gehirns als Gesamtsystem, um aufzuzeigen, wie neuroplastische Veränderungen zu funktionalen Veränderungen führen können. Richard Davidsons Nachweis, dass es bei Stimulustests, bei denen bestimmte Emotionen provoziert wurden, zu einer linksfrontalen Funktionsverschiebung kam, zeigt, dass die Achtsamkeitspraxis Menschen hilft, ihre Emotionen auf positivere Weise zu regulieren, und zwar durch Annäherung statt durch Rückzugsverhalten (Davidson 2004). Die Tatsache, dass eine Korrelation zwischen dem Grad an Verschiebung zur linken Gehirnhälfte hin und der positiven Beeinflussung der Immunfunktion festgestellt wurde, zeigt uns, dass Achtsamkeit nicht nur dazu beiträgt, dass man sich wohl fühlt und sich schneller von negativen Gefühlen erholt, sondern dass sie tatsächlich unseren Gesundheitszustand verbessern kann.

      Neuroplastische Veränderungen sind nicht auf strukturelle Veränderungen beschränkt, sondern gehen auch mit Veränderungen in der Gehirnfunktion, im psychischen Erleben (etwa von Gefühlen und emotionaler Ausgeglichenheit) und in der körperlichen Verfassung (beispielsweise bei der Reaktion auf Stress und bei den Immunfunktionen) einher.

      Wie könnte unser Fokus auf Aufmerksamkeit und innere Einstimmung Veränderungen in jenen Schaltkreisen des Gehirns bewirken, die diese Funktionen durch achtsames Gewahrsein vermitteln? Die Art und Weise, wie wir Aufmerksamkeit schenken, wird das neuronale Feuern in bestimmten Bereichen anregen; diese werden aktiviert werden und ihre Verbindungen innerhalb der integrierten Schaltkreise des Gehirns umorganisieren.

      Wir werden untersuchen, wie geistige Aktivitäten – beispielsweise ganz bewusst dem gegenwärtigen Moment Aufmerksamkeit zu schenken – das Gehirn tatsächlich dazu anregen können, in spezifischer Weise aktiv zu werden, was dann zu vermehrtem Wachstum in diesen Regionen führt. Hier sehen wir uns mit der Vorstellung konfrontiert, dass der Geist das Gehirn nutzt, um sich selbst zu erschaffen. Dieses Wachstum und diese neuroplastischen Veränderungen, die durch die Fokussierung auf unseren eigenen Geist bewirkt werden, helfen uns, die Verbindung zwischen der Praxis achtsamen Gewahrseins und der Herbeiführung von Wohlbefinden zu erkennen.

      Das Gehirn kennen zu lernen kann eine überwältigende Erfahrung sein. Neuere Entdeckungen im Bereich der Gehirnfunktionen zeigen Grundprinzipien auf, die uns dieses Organ nicht nur verständlich machen, sondern auch zugänglich. Und wenn ich noch weitergehen darf: Es kann sogar Spaß machen, das eigene Gehirn kennen zu lernen.

      In diesem Buch finden Sie einfache Schaubilder des Gehirns, komplizierte Übersichtstafeln der neuronalen Schaltkreise und echte CAT-Scans. Diese bildlichen Details der Gehirnanatomie können recht nützlich sein. Für unsere Erkundungen des achtsamen Gehirns benötigen wir ein Grundgefühl dafür, wo die verschiedenen Gehirnareale lokalisiert sind: Mit Hilfe der auf die Grobstrukturen reduzierten Schaubilder in den Abbildungen 2.1 und 2.2 können Sie sich einen ersten Einblick in die Thematik verschaffen.

      Ein weiteres nützliches Handwerkszeug, um das Gehirn zu betrachten, ist Ihre Hand. Wenn Sie Ihre Hand nehmen, Ihren Daumen in der Mitte platzieren und Ihre Finger darüber legen, dann haben Sie ein leicht zugängliches und ziemlich genaues Modell des Gehirns. Dieses Handmodell ist so ausgerichtet, dass Ihr Handgelenk für Ihre Wirbelsäule steht, das Gesicht befindet sich vor Ihren Fingernägeln und der Scheitelpunkt des Kopfes wird von der Oberkante Ihrer Hand repräsentiert.

      Abbildung 2.1

      Diagramm des menschlichen Gehirns (Median-Sagitalschnitt). Es werden einige der Hauptareale des Gehirns dargestellt, u. a. das Stammhirn, das limbische System (mit Amygdala, Hippocampus und Cingulum anterior sowie anderen medialen und ventralen Arealen) und der Großhirnrinde (mit den präfrontalen Arealen, einschließlich des orbitofrontalen Kortex, der zusammen mit dem anterioren Cingulum und anderen medialen und ventralen Arealen Teil des „mittleren Präfrontalkortex“ ist (Siegel & Hartzell, aus: Parenting from the inside out, New York: Penguin Putnam, 2003 – Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen. Freiamt: Arbor, 2004. Nachdruck mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren).

      Abbildung 2.2

      Die beiden Gehirnhälften. Diese Abbildung zeigt auch die Lage der Areale des „mittleren Präfrontalkortex“, zu dem die mittleren und ventralen Regionen des Präfrontalkortex gehören sowie der Orbitofrontalkortex und der Kortex des Cingulum anterior. Der Balken (Corpus callosum) verbindet die beiden Gehirnhälften miteinander.

      Das Stammhirn ist Ihre Handfläche, das limbische System sind Ihre Daumen (idealerweise haben Sie einen linken und einen rechten Daumen) und Ihr Kortex wird durch Ihre gekrümmten Finger symbolisiert. Lassen Sie uns die genannten Hirnareale kurz eines nach dem anderen durchgehen.

      Das Stammhirn ist für wichtige elementare Prozesse zuständig, wie für die Regulierung des Herzschlags und der Atmung, für Zustände von Wachheit und Schläfrigkeit sowie für gewisse Aspekte von Kampf-, Flucht- und Einfrierreaktionen. Das Stammhirn, das bereits bei der Geburt gut entwickelt ist, ist der in evolutionärer Hinsicht älteste Gehirnanteil und wird manchmal auch als Reptilhirn bezeichnet.

      Das limbische System hat sich entwickelt, als die Reptilien sich zu Säugetieren weiterentwickelten. Limbische Regionen sind am Bindungsverhalten (unseren Verbindungen zu unseren engen Bezugspersonen) beteiligt, ebenso am Gedächtnis (insbesondere der Verarbeitung von Ereignissen in faktischer und autobiografischer Form), der Wertschätzung von Sinn und Bedeutung und der Erzeugung von Affekt und unseren inneren Empfindungen von Emotion. Zum limbischen System gehört auch der Hypothalamus, der das


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