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Das achtsame Gehirn. Daniel SiegelЧитать онлайн книгу.

Das achtsame Gehirn - Daniel Siegel


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Dieser Fokus auf den Geist einer anderen Person macht sich den neuronalen Schaltkreis zunutze, der es zwei Menschen ermöglicht, sich von dem jeweils anderen „gefühlt zu fühlen“. Dieser Zustand ist entscheidend, wenn Menschen sich in Beziehungen dynamisch und lebendig, verstanden und miteinander im Reinen fühlen wollen. Die Forschung hat gezeigt, dass solche eingestimmten Beziehungen Resilienz und Langlebigkeit fördern. Unser Verständnis der Achtsamkeit kann auf diesen Studien der gegenseitigen Einstimmung und der sich selbst regulierenden Funktionen der fokussierten Aufmerksamkeit aufbauen, indem wir davon ausgehen, dass das achtsame Gewahrsein eine Form der Einstimmung auf sich selbst ist. Mit anderen Worten, achtsam zu sein ist ein Weg, sein eigener bester Freund zu werden.

      Wir werden erforschen, wie Einstimmung das Gehirn dazu veranlassen kann, auf eine Weise zu wachsen, die durch den Prozess der neuronalen Integration eine ausgeglichene Selbstregulation fördert und so Flexibilität und Selbstverstehen ermöglicht. Diese Art, sich „gefühlt zu fühlen“, sich mit der Welt verbunden zu fühlen, kann uns helfen, zu verstehen, dass das Eingestimmtsein auf sich selbst die physischen und psychischen Dimensionen des Wohlergehens mithilfe des achtsamen Gewahrseins fördern kann.

      Wenn wir uns hierzu dem Gehirn zuwenden, können wir die gemeinsamen Mechanismen zwischen diesen beiden Formen der Einstimmung, der auf uns selbst gerichteten oder intrapersonalen und der gegenseitigen, besser erkennen. Indem wir die neuronale Dimension des Funktionierens und ihre mögliche Korrelation mit dem achtsamen Gewahrsein untersuchen, sind wir vielleicht in der Lage, unser Verständnis dessen zu erweitern, warum und wie Achtsamkeit die wissenschaftlich belegten Verbesserungen in der Immunfunktion, ein Gefühl inneren Wohlbefindens und eine Steigerung unserer Fähigkeit, lohnende zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, erzeugt.

      Ich gehöre keiner bestimmten Tradition des achtsamen Gewahrseins an, noch habe ich eine formelle Ausbildung in Achtsamkeit per se genossen, bevor ich dieses Projekt begonnen habe. In diesem Buch werde ich also unbefangen an die Sache herangehen und nicht nur eine bestimmte Form von Achtsamkeit vorstellen. Es wird eine Erkundung des Gesamtkonzepts von Achtsamkeit sein. Die Achtsamkeit kann durch viele Mittel kultiviert werden, durch Erfahrungen innerhalb eingestimmter Beziehungen, über die Reflektion betonende pädagogische Ansätze bis hin zur formalen Meditation.

      Wir brauchen ganz dringend eine neue Art, zu sein – für uns selbst, in unseren Schulen und in unserer Gesellschaft. Unsere moderne Kultur hat sich in letzter Zeit zu einer Welt voller problembehafteter Individuen entwickelt, die unter Entfremdung leiden, mit Schulen, denen es nicht gelingt, ihre Schüler zu inspirieren und sich mit ihnen zu verbinden – kurz gesagt, zu einer Gesellschaft ohne moralischen Wegweiser, der ihnen zu zeigen vermöchte, wie wir in unserer globalen Gemeinschaft voranschreiten können.

      Ich habe meine eigenen Kinder in einer Welt aufwachsen sehen, in der die Menschen sich immer weiter von den menschlichen Interaktionen entfernt haben, die unser Gehirn zu seiner Entwicklung braucht, die aber nicht länger Teil unserer Erziehungs- und Sozialsysteme sind. Die menschlichen Verbindungen, die uns helfen, unsere neuronalen Verbindungen zu formen, fehlen im modernen Leben auf schmerzliche Weise. Wir verlieren nicht nur die Gelegenheiten, uns aufeinander einzustimmen, sondern haben darüber hinaus durch das hektische Leben, das viele von uns führen, auch nur wenig Zeit, uns auf uns selbst einzustimmen.

      Als Arzt, Psychiater, Psychotherapeut und Pädagoge hat es mich traurig gemacht und zugleich entsetzt, festzustellen, dass wir selbst in unserer Arbeit als Kliniker von einem festen Gegründetsein in einem gesunden Geist weit entfernt sind.

      Nachdem ich über 65 000 auf dem Gebiet psychischer Krankheiten Tätige in Hörsälen rund um die Welt von Angesicht zu Angesicht gefragt habe, ob sie je einen Kurs zum Thema Geist oder geistige Gesundheit besucht hätten, antworteten 95 Prozent mit Nein. Was haben wir dann praktiziert? Ist es nicht an der Zeit, dass wir uns des Geistes selbst bewusst werden, statt bloß Symptome von Krankheiten ins Blickfeld zu rücken?

      Ein auf Erfahrung basierendes Verständnis des Geistes zu kultivieren ist ein direkter Fokus achtsamen Gewahrseins. – So lernen wir nicht nur unseren eigenen Geist kennen, sondern nehmen die inneren Welten und den Geist anderer mit Güte und Mitgefühl an.

      Es ist meine tiefste Hoffnung, dass wir, indem wir einander helfen, uns auf unseren Geist einzustimmen, uns selbst und unsere Kultur über die vielen automatischen Reflexe hinaustragen können, die unsere menschliche Gemeinschaft auf so destruktive Pfade geführt haben. Wir Menschen besitzen ein riesiges Potenzial an Mitgefühl und Empathie. Dieses Potenzial zu verwirklichen mag in dieser schwierigen Zeit nicht einfach sein, kann aber auch unmittelbar dazu führen, uns auf uns selbst einzustimmen – auf einen Geist, eine Beziehung, einen Moment nach dem anderen.

      Achtsamkeit ist eine sehr wichtige, stärkende persönliche innere Erfahrung. Dieses Buch möchte persönliche Wege des Wissens mit äußeren, wissenschaftlichen Sichtweisen über das Wesen des Geistes verbinden. Angesichts dieser Herausforderung habe ich mich darangemacht, die subjektive Wissenschaft des achtsamen Gewahrseins zu integrieren und gleichzeitig objektive Analysen der unmittelbaren Sinneserfahrung und Forschungsergebnisse anzubieten sowie aufzuzeigen, wie diese Erfahrungen, Ideen und Forschungsergebnisse praktisch angewandt werden können.

      Klarheit über diese verschiedenen Wege des Wissens zu haben ist bei unserem Vorgehen äußerst wichtig – subjektive Erfahrung, Wissenschaft und professionelle Anwendungen sind drei gesonderte Einheiten im Rahmen des gesammelten Wissens, und wir werden sie als eigenständige Dimensionen der Realität beibehalten müssen, damit dieses integrative Bemühen gültig und von Nutzen sein kann. Eine vorzeitige Vermischung dieser drei Elemente kann zu falschen Schlussfolgerungen über Subjektivität, zu wissenschaftlichen Fehlinterpretationen und zu falschen Anwendungen dieser Ideen in der klinischen Praxis und im Erziehungswesen führen. Wir stellen diese Ideen, Erfahrungen und Forschungsergebnisse also zuerst vor und werden dann bereit sein, ihre Synthese „sauber“ anzuwenden auf die wichtige Arbeit, anderen Menschen dabei zu helfen, zu lernen, zu wachsen und ihr Leiden zu lindern. Wenn wir sie zu schnell vermischen, um „zum Praktischen“ zu gelangen, dann laufen wir Gefahr, die Wege zu verwechseln, auf denen wir dazu gelangt sind, unsere Vision des Geistes und des Augenblicks zu verwirklichen.

      Um diese angestrebte Klarheit zu erreichen, ist dieses Buch in vier Teile gegliedert. Im einführenden Teil wird ein Überblick über das achtsame Gewahrsein gegeben, und es wird untersucht, warum es von Nutzen ist, sich dem Gehirn zuzuwenden, wenn man das Wesen des Geistes selbst erhellen möchte. Im zweiten Teil werden wir direkte Erfahrungen erforschen und die Unmittelbarkeit des Moments sehen, auf die die retrospektive Analyse anderer nur von weitem verweisen kann. Der Sinn und Zweck dieser praxisorientierten Kapitel besteht darin, die Essenz der Achtsamkeit zu erforschen und das, was dieser im Wege steht und uns davon abhalten könnte, in unserem Leben präsent zu sein. Wir werden erforschen, wie diese Form, bewusst zu sein, durch absichtsvolles Training erreicht werden kann, durch das der Geist von automatischen Einmischungen befreit wird.

      Im dritten Teil erforschen wir verschiedene Facetten des achtsamen Gehirns, die sich aus diesem erfahrungsbezogenen Sichversenken sowie aus den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Literatur und der Fachliteratur ergeben. Wir werden die Lektionen, die aus der direkten Erfahrung gewonnen wurden, mit einem Überblick über jene Forschungsarbeiten kombinieren, die es bereits über das Gehirn und das Wesen des Geistes gibt. Mit dieser Synthese wird der Versuch unternommen, die subjektiven und objektiven Dimensionen, unser Leben zu verstehen, miteinander zu verweben.

      Im vierten Teil werden wir noch intensiver über die Implikationen und Anwendungsmöglichkeiten dieser Perspektiven des achtsamen Gehirns für Bildung und Erziehung, für die klinische Arbeit und für die Psychotherapie nachdenken. Diese Anwendungsmöglichkeiten werden auf dem Vorhergehenden insofern aufbauen, als wir Subjektivität und Wissenschaft mit praktischen Anwendungsmöglichkeiten im täglichen Leben verbinden. In diesem Teil werden einige vorläufige Ideen dazu angeboten, wie man diese Konzepte der inneren Einstimmung in die praktische, tagtägliche Verwendung des achtsamen Gewahrseins in unseren professionellen und persönlichen Bemühungen integrieren könnte.

      Bis


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