MIND. Daniel SiegelЧитать онлайн книгу.
Neuronales Feuern führt zu Geist. Lassen Sie es uns klar und deutlich sagen, auch auf die Gefahr hin, redundant zu sein: Niemand hat nachgewiesen, wie das physikalische Geschehen des Energieflusses und die mentale subjektive Erfahrung gelebten Lebens miteinander in Verbindung stehen. Niemand. Viele Forscher glauben, sie seien im Begriff, es zu tun, und es könnte absolut wahr sein, aber niemand weiß mit Sicherheit, wie dies geschieht. Was moderne Wissenschaft zu tun scheint, besteht darin, den Prozess „neuronale Aktivität lässt Geist entstehen“ auf das zu beschränken, was im Kopf vor sich geht. Lassen Sie uns die Annahme, dass der Kopf eine Monopolstellung bei der Entstehung des Geistes hat, in den Blick nehmen.
Als Teil des weiteren Nervensystems fließen Energie und Informationen nicht nur durch den Kopf, sondern auch durch den gesamten Körper. Das parallel verteilte Verarbeitungssystem (PDP)6 spinnennetzartig miteinander verbundener Schaltkreise im Kopf ist mit neuronalen Netzwerken verknüpft, die im ganzen Körper, innerhalb des komplexen autonomen Nervensystems und seiner sympathischen und parasympathischen Zweige, im intrisischen Nervensystem des Herzens und vielleicht sogar im komplexen neuronalen Systems der Gedärme (Mayer, 2011) verteilt sind. Studien zeigen beispielsweise, dass unsere Gedärme über Neurotransmitter wie Serotonin verfügen, die, zusammen mit dem Mikrobiom von Organismen, die diese innere Verdauungsröhre bewohnen, direkt unsere Gesundheit und unsere mentalen respektive psychischen Zustände beeinflussen – unsere Gedanken, Gefühle, Absichten und sogar Verhaltensweisen – wie das, was wir essen möchten (Bauer et. Al., 2015; Bharwani et al., 2016; Dinan et al., Moloney et al., 2015; Perlmutter, 2015).
Eine Frage, die wir sodann natürlich in Betracht ziehen können, ist folgende: Wenn das System, das den Geist entstehen lässt, wie von vielen modernen Wissenschaftlern vorgeschlagen wird, mit diesem verteilten Energiefluss neuronaler Aktivität des Gehirnes im Kopf (irgendwie) verbunden ist, warum könnte ein breiterer und fundamentalerer Prozess eines „Energiefluss lässt den Geiste entstehen“ nicht das gesamte Nervensystem umfassen? Wenn Geist, auf noch zu bestimmende Arten und Weisen, ein Produkt, ein Merkmal oder ein Aspekt des Energieflusses ist, warum sollte der Prozess des Geistes als ein aus diesem Fluss emergierender auf den Schädel oder sogar das Nervensystem beschränkt sein, wenn dieser Fluss an Orten jenseits des Kopfes und sogar jenseits unserer neuronalen Verbindungen stattfindet? Was würde den Kopf zur einzigen Quelle des Geistes machen? Könnte dieser Energiefluss-zum-Geist nicht das gesamte Nervensystem umfassen? Und könnte und würde dieser Fluss nicht auch verschiedene andere Körperregionen einschließen? Warum sollte – oder wie könnte – dieses System aus Energie- und Informationsfluss auf die Innenseite des Schädels beschränkt sein?
Mit anderen Worten, wenn Geist irgendwie aus dem Energiefluss emergiert, könnte und würde er mit Sicherheit dem Gehirn im Kopf entspringen. Absolut. Aber wie könnte er und warum sollte er auf das Innere des Schädels beschränkt sein? Wenn der Energie- und Informationsfluss irgendwie die Quelle des Geistes ist, ist dieser Fluss nicht auf den Schädel beschränkt.
Mit dieser breiteren Perspektive sagen wir nun, dass der Geist ganz und gar verkörpert ist, und nicht nur „eingschädelt“.
Daher schlagen wir zumindest vor, dass das System, das den Geist entstehen lässt, ihn als einen Aspekt seiner selbst hat, als sein Grundelement den Energiefluss hat. Manchmal steht jene Energie für etwas anderes als sie selbst oder symbolisiert etwas anderes. In diesem Fall sagen wir, dass die Energie über Informationen verfügt. Daher ist etwas an dem Energie- und Informationsfluss, das für den Geist fundamental sein könnte.
Obgleich es nicht der üblichen Sichtweise entspricht, können wir die Perspektive in Erwägung ziehen, dass der Geist auf grundlegende Art und Weise in Verbindung zum Energie- und Informationsfluss steht. Wie wir gesehen haben, wenn wir uns des Weiteren vorstellen, dass dieses Geist-System sich jenseits der Grenzen der Haut, jenseits eines einzelnen Schädels und sogar eines einzelnen Körpers erstreckt, zu einer Art verteilter Verarbeitung, bei der Geist auch aus unseren sozialen Verbindungen des untereinander geteilten Energie- und Informationsflusses entsteht, gewinnen wir eine viel breitere Einsicht in das, was die Essenz des Geistes sein könnte. Könnte man sich den Geist nicht eingebettet in unseren Verbindungen zu anderen und zu unserer Umgebung vorstellen, einen Geist, der nicht nur verkörpert, sondern auch relational ist? Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist der Geist sowohl ein total verkörperter als auch ein relational eingebetteter Prozess. Es ist nicht so, dass das Gehirn einfach nur auf soziale Signale von anderen antwortet; wir schlagen vor, dass der Geist innerhalb dieser Verbindungen wie auch innerhalb des Körpers selbst emergiert. Es sind diese sozialen und neuronalen Verbindungen, die sowohl die Quelle als auch der Former des Energie- und Informationsflusses sind.
In der Terminologie von Systemen ausgedrückt, Energie wird nicht durch den Schädel oder die Haut begrenzt.
Der verkörperte und eingebettete Energie- und Informationsfluss – nicht bloß der „eingeschädelte“ – deutet auf das breitere System hin, das wir als den Ursprung des Geistes vorschlagen. Wenn diese Sichtweise stimmt, dann könnten wir einfach behaupten, dass der Geist sowohl verkörpert als auch relational ist.
Den Geist als relational zu betrachten, ist nicht neu, wie Soziologen und Anthropologen genauso wie Linguisten und Philosophen bestätigen werden. Doch wie können wir die soziale Sichtweise mit der neuronalen Sichtweise des Geistes kombinieren? Heutzutage würdigen auch die modernen sozialen Neurowissenschaftler die Kraft der Beziehungen. Doch selbst in dieser Sparte der Neurobiologie, die selbst ein Zweig der Biologie ist, wird der Geist häufig als Gehirnaktivität betrachtet, und das soziale Gehirn antwortet einfach auf soziale Stimuli – genauso wie das Gehirn auf Licht oder Klang aus der physischen Welt reagiert, indem es uns zu sehen und zu hören ermöglicht. Dieser häufig vertretenen Sichtweise zufolge reagiert das Gehirn einfach auf Reize außerhalb seiner selbst, ganz gleich, ob physischen oder sozialen Ursprungs. Aus dieser gegenwärtigen neurowissenschaftlichen Perspektive betrachtet, bleibt die Gehirnaktivität der Ursprung des Geistes.
Hier ist der Vorschlag, den ich Ihnen unterbreiten möchte und den ich zumindest in Erwägung ziehe: Geist ist nicht nur das, was das Gehirn macht, nicht einmal das soziale Gehirn. Der Geist könnte etwas sein, das aus einer höheren Ebene eines funktionierenden Systems emergiert, und nicht einfach das, was im Inneren des Schädels geschieht. Die Grundelemente dieses Systems sind Energie- und Informationsfluss – und dieser Fluss findet in und zwischen uns und anderen und der Welt statt.
Und so kamen wir zu der Vorstellung, dass die Verortung des Geist-Systems, das unsere Identität formt, nicht auf den Schädel und nicht auf die Grenzen der Haut begrenzt ist. Geist ist aus dieser Sicht sowohl ganz verkörpert als auch relational eingebettet.
Dieses Geist-System besteht aus einem Energiefluss innerhalb eines komplexen Systems. Doch wie ist diese Emergenz aus komplexen Systemen verknüpft mit den Vorstellungen von Kausalität, freiem Willen, Wahl- und Entscheidungsmöglichkeit und Veränderung?
Das Studium der Ursache-Wirkung-Beziehungen ermöglicht uns ein neues Verständnis und öffnet die Tür für neue Funktionsweisen in der Welt, einschließlich des Fliegens um diesen Planeten herum, wie ich es gerade in diesem Flugzeug tue, oder des Verlassens dieses Planeten um anderer Reiseziele willen. Der Zweig der Physik, der sich unmittelbar mit der Eigenschaft von Energie beschäftigt, der Bereich der Quantenmechanik, offenbart, wie sich die Realität aus einer Reihe von Wahrscheinlichkeiten zusammensetzt, und eben nicht aus absoluten Gewissheiten wie in der klassischen respektive der Newtonschen Physik. Sogar mit Hilfe dieser Entdeckungen der Quantenphysik weisen Studien eines Nicht-Lokalität oder [Quanten]Verschränkung genannten Prozesses einen Weg auf, wie wir Elektronen sich hier drehen lassen und sie dazu bringen können, nahezu unverzüglich an einen entfernten Ort zu wechseln. Ist das kausal? Manche würden „ja“ sagen, andere würden einfach sagen, dass diese Entdeckung, nun sogar der breiten Masse verständlich, offenbart, wie eng die Dinge miteinander verbunden sind, obwohl wir ihre Verbindungen nicht sehen können. Man kann sehen, dass Dinge ursächliche Einflüsse haben können, wenn sie alle miteinander verbunden sind. Beeinflussen Sie ein Element hier und ein Element dort wird genauso beeinflusst.
Der Geist kann als etwas betrachtet werden, das das Gehirn dazu veranlasst, auf bestimmte Arten und Weisen zu feuern. Wir können auch erkennen, dass das Gehirn den Geist dazu bringen kann, sich in einem besonderen