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MIND - Daniel Siegel


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in unsere Welt bringen können. Um sich diesen drängenden Problemen zu nähern, wird dieses Buch die einfache, aber herausfordernde Frage, was der Geist ist, anzugehen versuchen.

      Eine von vielen zeitgenössischen Wissenschaftlern verschiedenster akademischer Disziplinen, wie beispielsweise Biologie, Psychologie und Medizin, verbreitete Sichtweise lautet, dass der Geist lediglich das Ergebnis der Aktivität der Neuronen im Gehirn sei. Dieser häufig bekundete Glaube ist tatsächlich nicht neu, da er über Hunderte und sogar Tausende von Jahren hochgehalten wurde. Diese in akademischen Kreisen so oft vertretene Sichtweise wird konkret folgendermaßen ausgedrückt: „Der Geist ist das, was das Gehirn macht.“

      Wenn so viele angesehene und umsichtige Akademiker dieser Ansicht sind und sie mit fester Überzeugung vorbringen, wäre es nur natürlich, zu denken, dass diese Idee vielleicht die einfache und ganze Wahrheit sei. Wenn das in der Tat der Fall wäre, dann wäre Ihre innere, subjektive mentale Erfahrung meines „Hallos“ an Sie einfach das Feuern der Gehirnneuronen. Wie das geschehen kann – vom Feuern der Neuronen zur subjektiven Erfahrung innerhalb des Wissens zu gelangen –, versteht keiner auf dem Planeten. Aber die Vermutung innerhalb der akademischen Diskussionen ist, dass wir eines Tages herausfinden werden, wie die Sache zum Geist wird. Wir wissen es jetzt nur noch nicht.

      So vieles deutet in der Wissenschaft und Medizin – wie ich auf der medizinischen Hochschule und in meiner Forschungsausbildung gelernt habe – auf die zentrale Rolle des Gehirnes bei der Formung unserer Erfahrung von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen hin, was man sonst häufig als die Inhalte – oder Aktivitäten – des Geistes bezeichnet. Der Zustand des Gewahrseins, die Erfahrung des Bewusstseins selbst, wird von vielen Wissenschaftlern als ein Nebenprodukt neuronaler Verarbeitung betrachtet. Wenn sich daher herausstellt, dass „Geist = Gehirnaktivität“ die einfache und ganze Gleichung für den Ursprung des Geistes ist, dann könnten die wissenschaftliche Forschung nach der neuronalen Grundlage des Geistes, nach der Art und Weise, wie das Gehirn unsere Gefühle und Gedanken entstehen lässt, und das, was man die „neuronalen Korrelate des Bewusstseins“ nennt, lange und mühsame Bestrebungen sein, die sich aber auf der richtigen Spur befinden.

      William James, ein Mediziner, den viele als Vater der modernen Psychologie ansehen, stellte in seinem 1890 veröffentlichten Lehrbuch The Principles of Psychology [dt. „Die Prinzipien der Psychologie“, A.d.Ü.] Folgendes fest: „Die Tatsache, dass das Gehirn die unmittelbare körperliche Voraussetzung für mentale Operationen ist, ist in der Tat heute derart allgemein anerkannt, dass ich keine weitere Zeit damit zubringen muss, sie zu erläutern, ich werde es einfach behaupten und fortfahren. Der ganze Rest des Buches wird mehr oder weniger ein Beleg dafür sein, dass das Postulat richtig ist“ (S. 2). Natürlich betrachtete James das Gehirn als zentral für das Verständnis des Geistes.

      James stellte auch fest, dass die Introspektion eine „schwierige und fehlbare“ Informationsquelle über den Geist ist (S. 131). Diese Sicht, nebst der Schwierigkeit, vor der sich Wissenschaftler beim Quantifizieren subjektiver mentaler Erfahrungen gestellt sahen – (ein wichtiges Messverfahren, dessen sich viele Wissenschaftler bedienen, um wesentliche statistische Analysen vorzunehmen) –, machten das Studium neuronaler Prozesse und von außen sichtbarer Verhaltensweisen viel ansprechender und nützlicher, als sich die akademischen Disziplinen Psychologie und Psychiatrie entwickelten.

      Doch ist das „Zeug in Ihrem Kopf“, das Gehirn, wirklich die einzige Quelle des Geistes? Was ist mit dem Körper als Ganzem? James erklärte daher, dass „körperliche Erfahrungen, und insbesondere Erfahrungen des Gehirnes, unter jenen Bedingungen des mentalen Lebens stattfinden müssen, welche die Psychologie in Betracht ziehen muss“ (S. 9). James wusste, wie auch die Physiologen seiner Zeit, dass das Gehirn in einem Körper lebt. Um dies zu betonen, verwende ich manchmal den Begriff „verkörpertes Gehirn“, was meine jugendliche Tochter mir mit Nachdruck als lächerliche Aussage vorhält. Warum? Ihre Antwort darauf lautete: „Papa, hast du jemals ein Gehirn gesehen, das nicht in einem Körper lebt?“ Meine Tochter hat eine wunderbare Art und Weise, mich über alle möglichen Dinge zum Nachdenken zu bringen, die ich ansonsten nicht berücksichtigen würde. Obgleich sie natürlich Recht hat, vergessen wir in der heutigen Zeit oftmals, dass das Gehirn im Kopf nicht nur ein Teil des Nervensystems, sondern des ganzen Körpersystems ist. James sagte: „Der mentale Zustand verändert sich auch aufgrund der Durchlässigkeit (sic) der Blutgefäße oder der Veränderung des Herzschlags oder noch subtilerer Vorgänge, in den Drüsen und inneren Organen. Wenn man diese in Betracht zieht, und zwar genauso als Ereignisse, die viel später erfolgen, da der mentale Zustand dem vorausging, kann mit Sicherheit die allgemeine Regel aufgestellt werden, dass niemals eine mentale Veränderung stattfindet, die nicht von einer körperlichen Veränderung begleitet wird oder der eine solche nachfolgt“ (S. 3).

      Hier können wir sehen, dass James wusste, dass der Geist nicht bloß im Schädel saß, sondern im ganzen Körper. Nichtsdestoweniger akzentuierte er die körperlichen, mit dem Geist verbundenen Zustände oder jene, die dem Geist folgen, die aber keine mentalen Aktivitäten verursachen oder erschaffen. Das Gehirn wurde von alters her als Quelle des mentalen Lebens betrachtet. Geist ist in akademischen Kreisen ein Synonym für Gehirnaktivität – Ereignisse im Kopf und nicht im ganzen Körper. Um ein erläuterndes, aber verbreitetes Beispiel anzuführen – ein moderner psychologischer Text bietet folgende Sichtweise als komplette Begriffserklärung von Geist an: „Das Gehirn und seine Aktivitäten, einschließlich der Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen“ (Cacioppo & Freberg, 2013).

      Diese Sichtweisen des Geistes als vom Gehirn herrührend sind mindestens 2500 Jahre alt. Wie der Neurowissenschaftler Michael Graziano darlegt: „Der erste wissenschaftliche bekannte Beitrag, der das Bewusstsein mit dem Gehirn in Verbindung setzt, geht auf Hippokrates im fünften Jahrhundert v. Chr. zurück… Er erkannte, dass Geist etwas vom Gehirn Geschaffenes ist und dass es Stück für Stück mit dem Gehirn stirbt.“ Er zitiert sodann Hippokrates Über die heilige Krankheit [Gemeint war damit die Epilepsie, A.d.Ü.]: „‚Menschen sollten wissen, dass vom Gehirn, und nur vom Gehirn, unsere Vergnügungen, Freuden, Lachen und Scherzen, aber auch unsere Traurigkeit, Schmerzen, Leid und Tränen ausgehen‘… Die Bedeutung von Hippokrates‘ Einsicht, dass das Gehirn die Quelle des Geistes ist, kann nicht überbewertet werden.“ (Graziano, 2014, S. 4).

      Sich auf das Gehirn im Kopf als Quelle des Geistes zu fokussieren, ist in unserem Leben sehr wichtig gewesen, um die Herausforderungen mentaler Gesundheit zu verstehen. Die Beobachtung beispielsweise von Menschen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung, genauso bei jenen mit anderen ernsthaften psychiatrischen Leiden wie Autismus, angeborenen Funktionsstörungen, die von einem anders strukturierten Gehirn ausgehen, und eben nicht aufgrund von etwas, das Eltern verursacht haben, oder irgendwelcher Charakterschwächen einer Person, bedeutete eine entscheidende Veränderung der Sichtweise im Bereich mentaler Gesundheit, um nach effektiveren Hilfsmitteln für bedürftige Menschen und Familien zu suchen.

      Sich dem Gehirn zuzuwenden, hat uns befähigt, die Scham und die Schuldzuweisung von Personen und ihren Familien zu verringern, ein trauriger- und unglücklicherweise allzu verbreiteter und dabei nicht sehr lange zurückliegender Aspekt in den Begegnungen mit Ärzten. Auch konnte vielen Individuen mit psychiatrischer Medikation geholfen werden, da Moleküle als verantwortliche Akteure der Gehirnaktivität angesehen wurden. Ich sage „angesehen“ aufgrund der Entdeckung, dass der mentale Glaube einer Person ein gleichermaßen mächtiger Faktor in einigen als Placebo-Effekt bekannten Fällen sein kann. Bei einem Prozentsatz von Individuen mit bestimmten Leiden, haben ihre Glaubensinhalte zu messbaren Verbesserungen im äußeren Verhalten und auch in der Gehirnfunktion geführt. Und wenn wir uns daran erinnern, dass auch der Geist das Gehirn verändern kann, sollte sich damit ein Verständnis verbinden, dass den Geist zu trainieren für einige Individuen hilfreich sein könnte, (sogar angesichts von Abweichungen im Gehirn).

      Weitere Unterstützung erfährt diese gehirnzentrierte Sichtweise des Geistes aufgrund von Studien an Individuen mit Läsionen bestimmter Hirnareale. Seit Jahrhunderten hat die Neurologie Kenntnis davon, dass spezifische Verletzungen in spezifischen Bereichen zu vorhersagbaren Veränderungen in den mentalen Prozessen wie Denken, Emotionen, Gedächtnis, Sprache und Verhalten


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