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Das heilende Potenzial der Achtsamkeit. Jon Kabat-ZinnЧитать онлайн книгу.

Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn


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unserer Überzeugung, dass Folter etwas Schlechtes ist und dass die Zerstörung eines Roboters nur Sachbeschädigung, die Zerstörung eines Menschen aber Mord ist. Sie ist der Grund, dass der Tod eines geliebten Menschen in uns nicht nur Mitleid mit uns selbst wegen des Verlustes auslöst, sondern auch den verständnislosen Schmerz darüber, dass die Gedanken und Freuden dieses Menschen für immer verschwunden sind.

      Dennoch behauptet Crick, dass Empfindungsfähigkeit, was immer es sein möge – sowie der Eindruck einer wirkenden Kraft, die wir mit den Pronomen »ich« und »mich« verbinden, ebenso wie alle anderen Eigenschaften, Phänomene und Erfahrungen, die wir mit dem Geist assoziieren – letztlich durch die Aktivität von Neuronen erzeugt werde, dass es also ein emergentes Phänomen der Gehirnstruktur ist, und eine Aktivität, hinter der keine wirkende Kraft steht, sondern nur neuroelektrische und neurochemische Impulse:

      Das geistige Bild, das die meisten von uns haben, ist das eines kleinen Mannes (oder einer kleinen Frau) irgendwo innerhalb unseres Gehirns, der oder die das, was vor sich geht, verfolgt (oder zumindest sich sehr anstrengt, ihm zu folgen). Ich werde das den »Irrtum des Homunculus« (homunculus ist lateinisch »kleiner Mann«) nennen. Viele Menschen sehen das in der Tat so – und diese Tatsache wird an geeigneter Stelle einer eigenen Erklärung bedürfen – aber unsere »Erstaunliche Hypothese« behauptet, dass dies nicht der Fall ist. Flapsig formuliert, besagt sie: »Das machen alles die Neuronen.« Es muss Strukturen oder Abläufe im Gehirn geben, die sich auf irgendeine geheimnisvolle Weise so verhalten, als entsprächen sie dem geistigen Bild des Homunculus.

      Der Philosoph John Searle antwortet darauf: »Wie kann es möglich sein, dass das physische, objektive, quantitativ beschreibbare Feuern von Neuronen qualitative, persönliche, subjektive Erfahrungen verursacht?« Dies ist eine große Herausforderung für das Feld der Roboterforschung, in dem die Wissenschaftler versuchen, Maschinen zu bauen, die so etwas tun können wie den Rasen mähen, wenn er gemäht werden muss, oder Geschirr wegzuräumen, wenn es sauber ist – Dinge, die wir tun können, ohne darüber nachdenken zu müssen (so sagen wir wenigstens), die aber für Roboter unglaublich schwer zu lösende Probleme darstellen. Darüber hinaus gibt es in dem explodierenden Feld der künstlichen Intelligenz inzwischen von Menschen entworfene Maschinen, die die nächste Generation von Maschinen entwerfen und bauen (oder zumindest dazu beitragen). Mit jeder Iteration nimmt die Komplexität und Lernfähigkeit der Maschinen zu. Ab einem bestimmten Punkt sieht es dann so aus, als hätten die Maschinen selbst Gefühle und könnten tatsächlich denken – mit integrierten Schaltkreisen anstelle von Neuronen, aber dennoch so, dass sie zumindest das »nachahmen«, was wir Agens, Intelligenz und Gefühl nennen. Und natürlich könnte es sein, dass auch wir selbst in Wirklichkeit hochentwickelte »Empfänger« sind, die sich mittels ihrer Neuronen auf ein nichtlokales »Bewusstsein« einer viel höheren Ordnung einstimmen, ein Bewusstsein, das eine Eigenschaft des Universums ist. Zumindest sind einige Menschen der Ansicht, dass sich diese Möglichkeit nicht gänzlich ausschließen lässt.

      Allerdings möchte ich nicht zu weit in das Feld der verschiedenen Erklärungsversuche für das Bewusstsein sowie der kontroversen Meinungen darüber abschweifen, so faszinierend diese Fragen und die wissenschaftlichen und philosophischen Disziplinen, die sich damit befassen, auch sein mögen, etwa die Kognitionswissenschaft, die Phänomenologie, die künstliche Intelligenz und die sogenannte Neurophänomenologie. Mir geht es hier vielmehr um etwas ganz Naheliegendes, nämlich darum, dass wir unser Bewusstsein als etwas Grundlegendes erkennen und uns überlegen, ob es uns individuell und kollektiv dienlich sein könnte, diese außerordentliche Erkenntnisfähigkeit weiterzuentwickeln; – eine Fähigkeit, die, was bemerkenswert und wichtig ist, natürlich auch unzählige Male darin besteht, zu wissen, dass wir nicht wissen. Zu wissen, dass wir nicht wissen, ist ebenso wichtig wie alles andere, was wir wissen können – wenn nicht sogar noch wichtiger. Hier betreten wir das Reich des Unterscheidungsvermögens und der Weisheit – gewissermaßen die Quintessenz des Menschseins.

      Am Ende eines Retreats für Psychologen in einer MBCT-Ausbildung (Mindfulness Based Cognitive Therapie, deutsch: Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie) bemerkte ein Therapeut, der ja immerhin den ganzen Tag lang mit Menschen und deren Gefühlen und Gedanken arbeitet: »Ich schotte mich von den Menschen ab. Das ist etwas, von dem ich nicht wusste, dass ich es nicht wusste.«

      Allzu oft leben wir unser Leben eingeschränkt von Gewohnheiten und Konditionierungen, derer wir uns nicht im geringsten bewusst sind, die aber unsere Augenblicke und unsere Entscheidungen, unsere Erfahrungen und unsere emotionalen Reaktionen prägen, selbst wenn wir glauben, wir wüssten es besser – oder sollten es besser wissen. Diese Tatsache allein weist schon auf einige der praktischen Grenzen des Denkens hin.

      Doch wunderbarerweise haben wir immer Zugang zum Gewahrsein, dem ganzen Reich des Bewusstseins und verschiedener Intelligenzen, und können so gegen diese Konditionierung angehen und unser Gespür erweitern, sodass wir besser in Kontakt damit sind, sowie auch mit unserem Vermögen, tatsächlich das zu verstehen, was der Kognitionswissenschaftler Antonio Damasio das »Gespür für das, was geschieht« nennt.

      Empfindungsfähigkeit ist uns näher als nah. Gewahrsein ist unsere Natur, und es liegt in unserer Natur. Es ist in unserem Körper, in unserer Spezies. Die Tibeter sagen, dass Erkennen, also die nichtbegriffliche erkennende Qualität, die Essenz dessen ist, was wir Geist nennen – zusammen mit Leere und Grenzenlosigkeit, welche der tibetische Buddhismus als komplementäre Aspekte derselben Essenz betrachtet.

      Die Fähigkeit zum Gewahrsein ist uns offenbar angeboren. Wir können gar nicht anders, als gewahr sein. Das ist das Charakteristikum, das unsere Spezies ausmacht. Es liegt in unserer Biologie begründet, geht jedoch weit über das rein Biologische hinaus. Es ist das, was und wer wir in Wirklichkeit sind. Doch wenn diese Empfindungsfähigkeit nicht kultiviert und verfeinert und in mancher Hinsicht auch geschützt wird, besteht die Gefahr, dass es von Schlingpflanzen und Unterholz überwuchert wird und schwach und unterentwickelt bleibt, nicht viel mehr als ein schlummerndes Potenzial. Wir können relativ empfindungslos werden, unsensibel und mehr schlafend als wach, wenn es um unser Vermögen geht, über die Grenzen egoistischen Denkens hinaus etwas zu erkennen. Zu diesem Vermögen gehört auch die Erkenntnis, dass bestimmte Gedanken egoistisch sind, und damit schon in dem Moment, in dem sie entstehen, zu erkennen, dass sie beschränkt und eventuell unklug sind. Wird die Empfindungsfähigkeit kultiviert und gestärkt, dann erleuchtet sie unser Leben und die Welt und schenkt uns ein Maß an Freiheit, das wir uns kaum haben vorstellen können, obwohl unsere Vorstellungskraft selbst aus eben dieser stammt.

      Dieses Empfindungsfähigkeit verleiht uns auch eine Weisheit, die uns aus unserer Neigung herausführen kann, bewusst oder unbewusst Schaden anzurichten und stattdessen Wunden zu heilen und die Souveränität und Würde all unserer Mitgeschöpfe anzuerkennen.

      Das ist nicht persönlich gemeint, aber, verzeihen Sie… Sind wir wirklich, wer wir zu sein glauben?

       Der wahre Wert eines menschlichen Wesens

       wird vor allem von dem Ausmaß bestimmt,

       in dem es Freiheit von sich selbst erlangt hat.

      ALBERT EINSTEIN ZUGESCHRIEBEN

      

Als ich Biologie studierte, wurde uns eingehämmert, dass das Leben den Gesetzen der Physik und der Chemie gehorcht und dass biologische Phänomene genau denselben Naturgesetzen unterliegen (und einhämmern ist tatsächlich eine Metapher, die in höheren Bildungsinstitutionen nicht unüblich ist). Auch wenn das Leben sehr komplex ist und die Moleküle des Lebens weitaus komplizierter sind als die einfacheren atomaren und molekularen Strukturen der unbelebten Natur, so sagte man uns, bestehe kein Grund zu der Annahme, dass es eine besondere belebende Kraft oder »Lebensenergie« gäbe, welche die »Ursache« für die Lebendigkeit eines Systems sei. Da wäre also nichts außer einer einigermaßen prekären Konstellation von Umständen, die es den Komponenten und Strukturen von lebenden Systemen erlauben, so zusammenzuwirken, dass die Eigenschaften des Ganzen, also zum Beispiel einer lebenden, wachsenden und sich teilenden Zelle, emergieren. Dasselbe Prinzip gälte, weitergedacht, den Stammbaum der Evolution hinauf auch für die zunehmend komplexeren Lebensformen,
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