Meditation ist nicht, was Sie denken. Jon Kabat-ZinnЧитать онлайн книгу.
in der Zukunft widerfahren wird, hängt in beträchtlichem Ausmaß davon ab, ob und wie wir die uns von Natur aus innewohnende Gabe des Gewahrseins in diesem Augenblick nutzen. Es wird entscheidend darauf ankommen, was wir tun, um das Unbehagen, die Unzufriedenheit und das deutliche Unwohlsein, die unser Leben und unser Zeitalter durchdringen, zu heilen und gleichzeitig alles in uns und in der Welt zu nähren und zu beschützen, was gut, schön und gesund ist.
Die Herausforderung besteht meiner Ansicht nach darin, zur Besinnung zu kommen, als Individuen und auch als Spezies insgesamt. Man kann wohl sagen, dass es weltweit eine beträchtliche Bewegung in diese Richtung gibt, bestehend aus bislang nur wenig beachteten und noch weniger verstandenen kleinen Strömen und Flüssen menschlicher Kreativität, Güte und Fürsorge, die zu einem stetig wachsenden Strom der Wachheit, des Mitgefühls und der Weisheit zusammenfließen, selbst angesichts der vielen Herausforderungen in der Welt. Aber wohin dieses Abenteuer uns als Spezies und als Individuen führen wird, ist noch völlig ungewiss, selbst von einem auf den nächsten Tag. Die Endstation dieser kollektiven Reise, der wir uns nicht verweigern können, ist weder festgelegt noch vorherbestimmt. Es gibt kein Ziel, nur die Reise selbst. Das, was wir jetzt erleben, und wie wir diesen Augenblick verstehen und damit umgehen, prägt das, was im nächsten Augenblick auftaucht, und im übernächsten, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht festgelegt ist, die letztlich unbestimmbar und geheimnisvoll bleibt.
Doch eines ist sicher: Wir alle befinden uns auf dieser Reise, ein jeder auf diesem Planeten, ob es uns nun gefällt oder nicht, ob wir uns nun dessen bewusst sind oder nicht, ob die Reise nach Plan verläuft oder nicht. Es geht dabei um nichts weniger als unser Leben, und die Herausforderung besteht darin, es so zu führen, als käme es wirklich darauf an. Wir haben in dieser Hinsicht immer eine Wahl. Wir können uns entweder von Kräften und Gewohnheiten mitreißen lassen, die zu hinterfragen wir uns beharrlich weigern und die uns in verstörenden Träumen und potenziellen Albträumen gefangen halten, oder wir können unser Leben in die Hand nehmen, indem wir darin erwachen und es aktiv mitgestalten, unabhängig davon, ob uns das, was gerade geschieht, gefällt oder nicht. Nur wenn wir aufwachen, wird unser Leben real, und nur dann haben wir eine Chance, uns von unseren individuellen und kollektiven Verblendungen, Krankheiten und Nöten zu befreien.
Vor vielen Jahren fragte mich ein Meditationslehrer während eines zehntägigen, fast vollständig in Stille stattfindenden Meditationsretreats zu Beginn einer Einzelunterweisung einmal: „Wie behandelt die Welt dich denn so?“ Ich murmelte etwas wie, es sei „schon ganz in Ordnung“. Dann fragte er mich: „Und wie behandelst du die Welt?“
Ich war ziemlich verblüfft. Dies war die letzte Frage, mit der ich gerechnet hätte. Es war offensichtlich, dass sie nicht in einem allgemeinen Sinn gemeint war. Schließlich war das hier nicht bloß eine nette Plauderei. Der Lehrer wollte wissen, wie ich genau hier, während des Retreats, an diesem Tag und in Angelegenheiten, die mir damals vielleicht banal oder gar trivial vorkamen, mit „der Welt“ umging. Eigentlich hatte ich gedacht, ich würde mich während des Retreats mehr oder weniger aus der „Welt“ ausklinken. Diese Bemerkung machte mir jedoch klar, dass es nicht möglich ist, sich aus der Welt auszuklinken, und dass die Art und Weise, wie ich in jedem einzelnen Augenblick mit ihr umging, selbst in jener künstlich vereinfachten Umgebung, wichtig, ja sogar wesentlich war für das, weswegen ich letztlich da war. In diesem Augenblick verstand ich, dass ich noch viel darüber herauszufinden hatte, warum ich überhaupt hier war, also worum es bei der Meditation ging und, alldem zugrunde liegend, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen wollte.
Im Laufe der Jahre erkannte ich dann allmählich das Offensichtliche, nämlich dass diese beiden Fragen lediglich zwei Seiten einer Medaille sind. Schließlich stehen wir in jedem Augenblick in einer intensiven Beziehung zur Welt. Diese Beziehung, in der wir geben und nehmen, bestimmt und definiert unser Leben sowie auch eben diese Welt, in der wir uns befinden und in der sich unsere Erfahrungen entfalten. Allerdings betrachten wir diese beiden Aspekte – wie die Welt uns behandelt und wie wir sie behandeln – meist als voneinander unabhängig. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie leicht wir von der Vorstellung eingenommen werden, wir seien Akteure auf einer ansonsten leblosen Bühne, so als sei die Welt nur „dort draußen“ und nicht genauso „hier drinnen“? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass wir uns oft so verhalten, als gäbe es eine eindeutige Trennung zwischen „da draußen“ und „hier drinnen“, auch wenn unsere Erfahrung uns sagt, dass da nur eine ganz dünne Membran sein kann, im Grunde also keine wirkliche Trennung? Selbst wenn wir uns der engen Beziehung zwischen innen und außen bewusst sind, kann es sein, dass wir nur wenig Gespür dafür haben, auf welche Weise unser Leben die Welt und wie die Welt wiederum unser Leben in einem symbiotischen Tanz der Gegenseitigkeit und Interdependenz beeinflusst und gestaltet. Das reicht von der intimen Beziehung zu unserem Körper und unserem Geist bis hin zu den Beziehungen zu unseren Familienmitgliedern, von unseren Kaufgewohnheiten über das, was wir von den Fernsehnachrichten halten, bis hin zu der Art und Weise, wie wir uns im größeren Kontext der politischen Welt verhalten.
Dieser Mangel an Gespür wird dann besonders beschwerlich, ja sogar zerstörerisch, wenn wir versuchen, die Dinge so hinzubiegen, wie wir sie gern hätten. Dabei kümmert es uns nicht, dass ein solches Verhalten, mit dem wir ihren natürlichen Rhythmus unterbrechen, etwas Gewalttätiges hat, so subtil es auch sein mag. Früher oder später leugnet ein solches Erzwingen die wechselseitige Abhängigkeit, die Schönheit des Gebens und Nehmens und die Komplexität des Tanzes selbst. Am Ende treten wir damit gewollt oder ungewollt vielen Menschen auf die Zehen. Wenn wir derart unsensibel geworden sind und den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben, isoliert uns das von unseren eigenen Möglichkeiten. Wenn wir uns weigern anzuerkennen, wie die Dinge tatsächlich sind, und versuchen – aus Angst, dass unsere Bedürfnisse sonst nicht befriedigt werden –, eine Situation oder eine Beziehung gewaltsam so zu manipulieren, wie wir sie haben wollen, dann vergessen wir dabei, dass wir gewöhnlich ohnehin kaum wissen, was wir wirklich wollen. Wir glauben nur, es zu wissen. Und wir vergessen, dass dieser Tanz von einer außerordentlichen Komplexität und zugleich Einfachheit ist und Neues, Interessantes geschieht, wenn wir nicht vor unseren Ängsten kapitulieren und, statt etwas erzwingen zu wollen, einfach unsere Wahrheit leben. Das, was dann geschehen kann, geht weit über unsere begrenzten Möglichkeiten hinaus, die Welt kurzfristig zu kontrollieren.
Als Individuen und als Spezies können wir es uns nicht länger leisten, die Tatsache unserer wechselseitigen Verbundenheit und Abhängigkeit zu ignorieren. Ebenso wenig dürfen wir übersehen, welche neuen Möglichkeiten sich aus unseren Sehnsüchten und Intentionen ergeben, wenn wir, jeder auf seine eigene Weise, hinter ihnen stehen, so mysteriös oder undurchsichtig sie uns zeitweise auch erscheinen mögen. Die Naturwissenschaften, die Philosophie, die Geschichte und die spirituellen Traditionen haben uns gelehrt, dass unsere individuelle Gesundheit, unser Wohlergehen und unser Glück davon abhängen, wie wir unser Leben gestalten, solange wir die Gelegenheit dazu haben – und sogar unser Fortbestehen als menschliche Spezies, dieser Lebensstrom, in dem wir nicht viel mehr sind als eine vergängliche Blase, in dem wir das Leben an die kommende Generation weitergeben und ihre Welt erschaffen, abhängig davon, welches Leben wir zu führen wählen, während wir es leben.
Gleichzeitig wird uns, als eine Kultur, langsam klar, dass diese Erde, auf der wir zu Hause sind, ganz zu schweigen von all den anderen Kulturen und Lebewesen darauf, wesentlich beeinflusst wird von ebendiesen Entscheidungen, die durch unser kollektives Verhalten als soziale Wesen noch viel deutlicher zutage treten.
Um nur ein Beispiel zu nennen, das inzwischen so gut wie jeder kennt und anerkennt, wenn es auch ein paar namhafte Ausnahmen gibt: Die globalen Temperaturen lassen sich mindestens 400000 Jahre ziemlich exakt zurückverfolgen, und es zeigt sich, dass sie zwischen extremer Hitze und extremer Kälte fluktuieren. Wir befinden uns in einer relativ warmen Phase, die bis vor Kurzem nicht wärmer als andere Wärmephasen war, die die Erde bereits durchgemacht hat. Doch zu meinem Erstaunen erfuhr ich bei einem Treffen zwischen dem Dalai Lama und einer Gruppe von Wissenschaftlern im Jahr 2002, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre in den vergangenen 44 Jahren sprunghaft um 18 Prozent angestiegen ist – auf das höchste Niveau der letzten 160 000 Jahre, gemessen am Kohlendioxidgehalt in Schneeproben in der Antarktis. Und der Spiegel steigt weiter, mit stetig zunehmender Geschwindigkeit.* Jahr für Jahr werden Hitzerekorde gebrochen.
Die