Selbstgespräche. Charles FernyhoughЧитать онлайн книгу.
›Du lässt es dir nicht aus den Händen gleiten. Du lässt es dir NICHT aus den Händen gleiten … Gib alles, was du hast. Lass nichts ungenutzt.‹ Zuerst kam ich mir ein bisschen albern vor, aber ich spürte, dass sich innerlich etwas veränderte. Ich war über meine Reaktion erstaunt. Ich wusste, dass ich gewinnen konnte.«
Als Murray auf den Platz zurückkehrte, führte er seine Selbstgespräche fort, nahm Djokovic den Aufschlag ab und erzielte im fünften Satz eine Führung von drei Spielen. Schließlich gewann er die US Open und wurde seit mehr als sechsundsiebzig Jahren der erste männliche britische Grand-Slam-Gewinner im Einzel.
In Trainerkreisen werden Selbstgespräche für so wichtig erachtet, dass sowohl die laut ausgesprochene als auch die stumme Form recht gründlich untersucht wurde. Psychologen haben den persönlichen Zuspruch in so unterschiedlichen Sportarten wie Badminton, Skifahren und Wrestling studiert.37 Doch beim effektiven Einsatz von Selbstgesprächen geht es nicht nur um positive Psychologie und an sich selbst gerichtete Binsenweisheiten. Tatsächlich gelangte eine jüngere Auswertung der Literatur zu widersprüchlichen Ergebnissen in Bezug auf den Wert, sich selbst etwas Nettes zu sagen. Bei Tauchern, die sich um einen Platz im kanadischen Pan-Am-Team bewarben, war die Wahrscheinlichkeit beispielsweise geringer, sich zu qualifizieren, wenn die Bewerber von mehr positiven Selbstgesprächen, wie zum Beispiel Selbstlob, berichteten. Es hat den Anschein, als könnte man sich mit zu viel Liebe überschütten, zumindest beim Wettkampftauchen.
Ein positiveres Bild des Werts von Selbstgesprächen zeichnen experimentelle Studien, bei denen die Forscher die Konditionen manipulieren, unter welchen jemand seine Leistung erbringt, um zu sehen, welche Wirkung sie haben, anstatt die Teilnehmer einfach aufzufordern, darüber zu berichten, was sie während ihrer normalen sportlichen Betätigung tun.
Das Kneipenspiel Darts wird nicht häufig im Labor untersucht, aber eine Studie38 tat genau das und forderte Freiwillige auf, die Pfeile zu werfen und währenddessen verschiedene Arten von stummen Selbstgesprächen zu nutzen. Die Spieler schnitten unter Bedingungen, bei denen sie sich positiv zuredeten (und zum Beispiel sagten: »Du schaffst das«), besser ab als unter Bedingungen, bei denen sie sich heruntermachten (»Du schaffst das nicht«).
Ungeachtet der Wertigkeit des Selbstgesprächs (positiv oder negativ) scheinen erfolgreiche Sportler mehr mit sich selbst zu sprechen: Das war zumindest bei einer Analyse von Turnern39 der Fall, die sich für die amerikanische Olympiamannschaft qualifizieren wollten. Insbesondere die Beobachtungen von Tennisspielern liefern uns einige Gründe, die dafür sprechen, dass die Wertigkeit des Selbstgesprächs damit zusammenhängen könnte, ob es laut oder stumm geführt wird. Wie Sie von Fernsehübertragungen wissen werden, sind viele Äußerungen auf dem Tennisplatz ziemlich negativ. Es kann sein, dass Spieler wie Murray ihre aufmunternden Worte für sich behalten und zum Entsetzen aller Ballmädchen und Linienrichter nur die Rügen und Schelten laut aussprechen. Doch bedenken Sie, dass die Forschung über Selbstgespräche beim Sport in den meisten Fällen nicht zwischen offenem (lautem) und heimlichem (stummem) Sprechen unterscheidet, was zur Folge hat, dass die Hypothese, alle positiven Äußerungen würden für sich behalten, bisher schwer zu überprüfen war.
Auf der langen Liste der Sportarten, bei denen Selbstgespräche untersucht wurden, ist Kricket ein besonders interessanter Fall. Ein Schlagmann muss in der Lage sein, auf die Geschwindigkeit, die Flugbahn und den Aufprall eines Kricketballs zu reagieren, der mit einer Geschwindigkeit von bis zu 152 km/h auf ihn zukommt. (Ähnliches gilt für Baseball, allerdings wird dieser Fall durch die Tatsache ein wenig erleichtert, dass der Ball nicht auf den Boden aufprallt, bevor er den Schlagmann erreicht.) Psychologen haben berechnet, dass ein Schlagmann, der einem guten Werfer gegenübersteht, keine Chance hat, bewusst zu reagieren.40 Der Ball fliegt so schnell, dass der Annehmende instinktive Reaktionen entwickeln muss, die es ihm ermöglichen, die Flugbahn des Balls und deren Länge früh genug zu erahnen, um einen angemessenen Schlag zu vollführen. Das Erkennen, was in diesem Sekundenbruchteil zu tun ist, nachdem der Ball geworfen wurde, hat mit normalem Denken nichts zu tun; es bleibt für solch einen Luxus schlichtweg keine Zeit.
Das macht das Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit in diesen entscheidenden Sekunden nach dem Wurf des Balls maßgeblich, um in der Lage zu sein, die Schläge zu vollführen und das Ausscheiden des Schlagmanns zu verhindern. Genauer gesagt, die Rolle des Schlagmanns setzt voraus, die Aufmerksamkeit schnell und effektiv verlagern zu können. Gewöhnlich sieht man einen Schlagmann wenige Sekunden vor dem Ankommen eines Balls nach allen Seiten auf den Boden blicken. Er ist nicht etwa gelangweilt, unaufmerksam oder sieht sich um, ob etwas Interessanteres zu entdecken ist. Nein, er schätzt das Spielfeld ab, prüft, wo die Feldspieler stehen, und berechnet somit, wo er seinen Run erzielen und verhindern kann, dass er den Ball bei der Annahme wild in die Höhe schleudert. Schon ein oder zwei Sekunden später muss er sein Augenmerk wesentlich begrenzen, vom breiteren Kontext des Spielfelds (es ist zu spät, um sich jetzt damit zu befassen) auf den glänzenden kleinen, von Leder umhüllten Korkball in der Hand des Werfers. Es ist diese Verlagerung der Aufmerksamkeit von umfassend auf verengend, die die Rolle des Schlagmanns so schwierig macht. Mit einem Mal muss er vom allgemeinen Überblick umschalten und sich auf den einen Gegenstand konzentrieren, der ihn bei einem Fehlschlag auf die Bank schicken könnte
Dies ist ein Fall, bei dem Selbstgespräche wirklich helfen könnten. Den Selbstgesprächen von Sportlern wurden schon viele mögliche Funktionen zugeschrieben, doch eine der wichtigsten könnte darin bestehen, die Aufmerksamkeit zu steuern. Ich bin kein Sportler, aber ich fahre Auto und rede beim Fahren häufig mit mir selbst, um damit meine Aufmerksamkeit in die eine oder andere Richtung zu lenken. Wenn ich zum Beispiel auf einen Verkehrskreisel zufahre, könnte ich mir sagen: »Schau nach rechts«, damit ich dem Verkehr, der aus dieser Richtung kommt, die Vorfahrt lasse. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dies tue, ist größer, wenn ich von einer Reise auf den Kontinent zurückkehre, wo ich höchstwahrscheinlich auf der anderen Straßenseite habe fahren müssen. Ich kann es wissenschaftlich nicht beweisen, aber diese wenigen Wörter scheinen mir zu helfen, aufmerksam zu bleiben.
Will man sich also für einen ankommenden Ball hochputschen, erfolgt das am besten mit Wörtern. Doch wenn man Kricketspieler danach fragt, wann und warum sie mit sich selbst sprechen, wird man möglicherweise nicht weit kommen. Wie Russ Hurlburt festgestellt hat, erhält man auf solche Fragen anstelle von Stichproben des Erlebens in der Regel nur Allgemeinplätze darüber, was der Einzelne über das Funktionieren seines Geistes denkt. Und das ist einer der Gründe, warum Russ der Methode von Fragebogen skeptisch gegenübersteht.
Eine neue Studie41 nutzte in dem Versuch, mehr darüber zu erfahren, wie Schlagmänner Selbstgespräche tatsächlich einsetzen, einen originellen Ansatz. Fünf Profi-Schlagmänner eines englischen Bezirksklubs nahmen daran teil. Für jeden Schlagmann wurde eine DVD mit Highlights von sechs kritischen Zwischenfällen eines einzigen Innings zusammengestellt: der Gang auf den Platz für den Schlag; die Konfrontation mit dem ersten Ball, ein schlechter Schlag, eine Auswechslung des Bowlers, die Berechnung der Ballflugbahn und das Ausscheiden. Eine Woche nach ihren Spielen setzte sich jeder Schlagmann zusammen mit einem der Forscher hin (die selbst jeweils hervorragende Kricketspieler waren), um sich jede Episode der Innings auf der DVD anzusehen, und der Spieler wurde aufgefordert, sich daran zu erinnern, was er in jedem dieser Momente zu sich gesagt hat.
Die Resultate zeichnen das Bild einer an sich selbst gerichteten Rede, die eine Reihe von Funktionen erfüllt. Ein Spieler berichtete, dass er sich, als er für den Schlag hinausging, darauf konzentrierte, einen Schlagrhythmus hinzubekommen und nicht darauf zu achten, was auf der Anzeigetafel steht. Ein anderer versuchte, sich für seine Innings durch eine einfache Selbstbestätigung in die richtige Stimmungslage zu versetzen: »Ich habe die Chance, ein Kricketmatch zu gewinnen.« Ein Teilnehmer blickte vor diesem entscheidenden ersten Ball auf die Löcher im Spielfeld und sagte zu sich: »Da ist eines direkt neben meinen Füßen.« Wie jeder Kricketspieler Ihnen bestätigen wird, beruhigt es die Nervosität vor den Innings enorm, wenn man schnell von der Markierung wegkommt und sicher schlägt.
Doch es geht selten lange so gut. Das Schlagen ist eine gnadenlose Aktivität: Ein Fehler, und man kann auf dem Weg in die Kabine sein. Sämtliche an dieser Studie teilnehmenden Schlagmänner sagten aus, dass sie nach einem schlechten Schlag am meisten mit sich selbst sprachen. Ein übliches