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Unsterblich?!. Werner HuemerЧитать онлайн книгу.

Unsterblich?! - Werner Huemer


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wirklich rundum wohl gefühlt haben? Die also, ganz im Sinn der Werbung, gesagt haben: „Jetzt habe ich ein neues Organ, ich fühle mich wieder richtig fit und gesund!“

       Bergmann:

      Nein, ich habe sogenannte Langzeitüberlebende interviewt, die sich damit arrangiert und mit den Folgeerkrankungen der Immunsuppression, mit der Angst vor Infektionen, Krebs und wie lange es noch gut gehen wird, zu kämpfen haben. Aber grundsätzlich gibt es, wie der Psychologe Oliver Decker hervorgehoben hat, ein hohes Maß an Verleugnung der körperlichen und seelischen Probleme.

      Der Rockstar Lou Reed, der sich im Mai 2013 einer Lebertransplantation unterzogen hatte und im Oktober 2013 an den Folgen dieser Therapie starb, hat eben ganz nach dem gängigen Werbemotto, er habe eine „neue Leber“ und alles laufe bestens, nach der Transplantation erklärt: „Ich bin ein Triumph der modernen Medizin“; er freue sich, „bald wieder auf der Bühne zu stehen und Songs zu schreiben“.

      Auch Claudia Kotter, die eine Lunge eingepflanzt bekommen und die Transplantation überlebt hatte, trat noch kurz vor ihrem Tod im Fernsehsender MDR auf und präsentierte sich in einer Werbesendung als kerngesund.

       Werbebotschaften für die Organspende suggerieren im Wesentlichen, dass kranke Menschen sterben müssen, weil es zu wenig Organe gibt – deshalb soll jeder spenden. Können Sie dieser Argumentation gar nichts abgewinnen?

       Bergmann:

      „In Deutschland sterben täglich drei Menschen“, so heißt es, „weil“ sie kein Organ erhalten haben. Mit dieser Behauptung wird ein falscher Schuldzusammenhang erzeugt und verleugnet, dass Organempfänger todkranke Menschen sind, die sich im Endstadium einer schweren Krankheit befinden und dass auch nach einer Transplantation weiter gestorben wird. Aber auf Grundlage einer fantastischen Vorstellung der Machbarkeit durch eine omnipotente Medizin wird, überspitzt gesagt, die Todesüberwindung zum Programm erhoben und die Botschaft transportiert, die moderne Medizin sei tatsächlich in der Lage, den Tod durch einen simplen Organaustausch therapieren zu können.

      Auch wenn eine Transplantation gut geht, kann sich das alte Krankheitsbild weiterentwickeln und/oder diese Patienten sterben nicht selten qualvoll an den Folgewirkungen der Transplantation. Dieses Sterben wird gesellschaftlich ausgeblendet und mit allen Mitteln tabuisiert.

       Warum stehen diese Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung so weit im Hintergrund? Weshalb nimmt man das alles ohne weiteres in Kauf? Was ist nach Ihrer Meinung die eigentliche Motivation für die Entwicklung der Transplantationsmedizin?

       Bergmann:

      Meines Erachtens ist die Todesüberwindung ein wichtiger Impuls für den Glauben an diese gewalttätige „Heilform“ und für die Akzeptanz der ungeheuerlichen Körperverwertung von sterbenden Patienten. Selbst die Werbung arbeitet mit dem Gedanken „Mach dich unsterblich und spende Organe!“

      Hier wird auf magische Vorstellungen zurückgegriffen und damit geworben, die Spender lebten in den Organempfängern weiter. Und umgekehrt wird hinsichtlich der „Hirntoten“ ein Bild von verwertbarem Müll vermittelt.

      In den USA gibt es den Aufruf: „Become a Donor, recycle yourself“.

      Es werden also alle Register für eine Ideologie der Lebensverlängerung um jeden Preis gezogen.

      Die Frage ist, wie weit unsere Gesellschaft in dem mit der Organgewinnung verbundenen unzumutbaren Umgang mit Sterbenden und Toten zu gehen bereit ist, um das Phantasma der Todesüberwindung aufrecht zu erhalten …

      Anna Bergmanns kritische Betrachtungen machen klar: Die moderne Transplantationsmedizin ist der (vorläufige) Höhepunkt einer Entwicklung, deren Ursprung schon im mittelalterlichen Pestinferno verortet werden kann. Nach Ansicht der Kulturwissenschaftlerin kann „die Entstehung der Moderne als eine kollektivpsychologische Reaktion auf traumatische Todeserfahrungen gedeutet werden, als Versuch, dem Ursprung von Krankheit, Tod und Naturkatastrophen jenseits von Metaphysik und Religion auf den Grund zu gehen. ‚Weltverbesserung‘ mit dem Ziel der Rückgewinnung eines Weltvertrauens wurde somit zu einem elementaren Anliegen der in der Renaissance entstehenden modernen Naturwissenschaften“, schreibt sie in ihrem Buch „Der entseelte Patient“. Und weiter: „Das Bedürfnis nach einer schuld- sowie angstfreien Erklärung der Naturkatastrophen führte letztlich zur Entstehung einer neuen Auffassung über die Welt, den Kosmos und den Menschen.“

      Diese neue Auffassung zeigte sich nicht mehr passiv-aufnehmend, sondern aktiv-gestaltend. Das Wissenwollen ersetzte das Glaubenwollen. Aber es ging nicht allein um neues Wissen an sich. Das Interesse an einer Enträtselung der Natur war gleichzeitig die Suche nach Möglichkeiten, sie zu manipulieren, um, wie Anna Bergmann es formuliert, „letztlich eine von Gott unabhängige Sicherheit durch menschliches Handeln zu gewinnen“.

      Heute gehört die Illusion, der Mensch sei immun gegen Naturgegebenheiten oder er könne diese Resistenz wenigstens irgendwann einmal erreichen, zu den kollektiven Gedankenformen der wissenschaftsorientierten westlichen Welt. Der Glaube an einen Schöpfer ist weit in den Hintergrund getreten. Ebenso die früher selbstverständliche Überzeugung, der Mensch verfüge über eine „nicht stoffliche“, immaterielle Seele – und insofern über das Potential für Unsterblichkeit.

      Wir werden das von Positivismus, Materialismus und Rationalität geprägte moderne Menschenbild im nächsten Kapitel genau er untersuchen. Denn eines steht bei nüchterner Betrachtung fest: Die hier beschriebenen Entwicklungen – von der Kryonik bis zur Organtransplantation – mögen zwar von der Sehnsucht getragen werden, der Mensch könne den Tod irgendwie doch technisch austricksen. Aber letztlich ist es lediglich gelungen, die Grenzen ein wenig zu verschieben. Wir werden älter. Vielleicht auch gesünder älter. Aber die körperliche Unsterblichkeit bleibt eine Illusion. Und die zwiespältige Furcht vor dem „großen Nichts“ und zugleich vor dem unbekannten „Etwas“ beherrscht unsere Gedanken an den Tod nach wie vor.

      Das „Weltvertrauen“ konnte bisher nicht zurückgewonnen werden.

      Einerseits träumen wir von der Unsterblichkeit. Andererseits wollen wir mit einem möglichen Leben nach dem Tod lieber nichts zu tun haben. Ein interessanter Zwiespalt. „Jenseitige“, die uns aus dem Unsichtbaren heraus beobachten und nachts womöglich durch Decken und Mauern spuken? Diese Art Unsterblichkeit ist unerwünscht. Wer tot ist, sollte gefälligst auch tot bleiben!

      Woher aber rührt die in zahlreichen Horrorfilmen cineastisch verwertete Angst, ein Toter könne „untot“ sein und auf eine unheimliche, nicht fassbare Art weiterhin existieren?

      Sie hat jedenfalls eine lange Tradition und primär mit der Vorstellung zu tun, dem Körper des Menschen wohne eine Seele inne, die den Tod überdauern kann. Aus diesem Grund entwickelten sich in der Vergangenheit Riten, die dazu führen sollten, einen Menschen „ganz“ – „mit Leib und Seele“ – auszulöschen. So wurden in Kriegen bereits getötete Gegner zerstückelt (vom Abschneiden von Ohren oder Genitalien wurde auch aus Kriegen der jüngsten Geschichte berichtet).

      Zur Zeit der Inquisition waren Todesstrafen üblich, durch die der Körper des Opfers gezielt mehrfach zerstört wurde. Je höher die Strafe, desto ausufernder konnte malträtiert werden. Abgeschlagene Köpfe wurden geohrfeigt, Gehängte blieben am Galgen, bis die Vögel sie fraßen, Hingerichteten wurden die Herzen (die als Sitz der Seele galten) entnommen und durchbohrt, ehe der Körper viergeteilt und beispielsweise außerhalb der Stadtgrenzen an verschiedene Orte verbracht wurde, um dort als Futter zu dienen oder in ungeweihter Erde bestattet zu werden. Auch die Genitalien und die Gedärme von Hingerichteten wurden bisweilen einer besonderen, zusätzlichen „Tötung“ unterzogen.

      Der Henker hatte also einiges zu tun, um im Bedarfsfall nicht nur die „Entleibung“ des Verurteilten, sondern auch dessen „Entseelung“ herbeizuführen. Und im Volk war die Zergliederung des toten Körpers zeitweise noch mehr gefürchtet als das „Menschenschinden“,


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