Wagnisse in aller Welt. Egon Erwin KischЧитать онлайн книгу.
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Egon Erwin Kisch
Wagnisse in aller Welt
Egon Erwin Kisch
Wagnisse in aller Welt
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
EV: Universum-Bücherei, Berlin, 1929
1. Auflage, ISBN 978-3-962818-89-0
null-papier.de/724
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Ritt durch die Wüste und über den Schott
Seine Majestät die Nickmaschine
Auf der Reeperbahn von Rotterdam
Justiz gegen Eingeborene
Silvesternacht in Marseille
Das Vermächtnis der Frau Mende
Westfront 1918 – Französische Revolution – Goethe
Protest gegen eine Verurteilung
Wer mag wohl in diesem Schlosse wohnen
Kuriositätenkabinett des Viehhofes
Städtebilder, perspektivisch verkürzt
Die tunesischen Juden von Tunis
Polizeischikanen in Sardinien
Memoiren eines Filmstatisten
Danke
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Ihr
Jürgen Schulze
Ritt durch die Wüste und über den Schott
Stundenlang begegnet man keinem Lebewesen, außer einem sandfarbenen, stelzenden Vogel, der, vor Mensch und Pferd nicht erschreckend, seinen Monolog fortsetzt.
Felsiger Boden wechselt mit sandigem, man schlägt die Steigbügel nach arabischer Manier dem Gaul in die Flanken, auf dass er galoppiere; zwar hat man nichts weniger als Eile, aber die Luft wird kühler, wenn sich das Tempo erhöht.
Ein Weg ist da, ein deutlicher Weg, doch schwer zu sagen, wodurch er sich vom übrigen Terrain unterscheidet. Ist er anders als graubraun, ist er nicht steinig, ist er nicht sandig wie alles ringsumher, was man seit Sonnenaufgang durchritten hat und was man durchreiten wird bis zum Sonnenuntergang? Nein, er ist durchaus nicht anders, es sei denn, dass er im Sandgebiet etwas härter erscheint als seine Umgebungsflächen, dass im Felsengebiet weniger Blöcke auf ihm als neben ihm liegen; wo er eine Furche überquert (ein Rinnsal vielleicht in der Regenzeit), stützt ein Palmenstamm seinen Rand, ein versandeter, verstaubter, halb versteinter Palmenstamm, wer weiß, wer ihn hierherbrachte.
Gegen Mittag sprengt man eine Sanddüne hinauf und sieht in der Ferne einen kleinen See. Die Straße durchschneidet ihn als Damm, Palmen stehen an seinem Ufer und nicht weit von ihnen das quadratisch gemauerte Grabmal eines Marabut,1 eines Heiligen aus Mohammeds Nachkommenschaft. Menschen singen, ist’s auch nur eine gutturale Elegie, sie erfrischt, so wie der Anblick des salzigen Wassers erfrischt, obwohl sich keine noch so kleine Brise erhebt, von seiner Kühle etwas ins Gesicht zu fächeln. Die Sänger sitzen in der Palmerei und achten darauf, dass die Bäume ihr Wasserquantum bekommen, der Esel trabt im Kreise, um es aus dem Brunnen zu pumpen.
Am Saum der Oase fünfzehn Häuser, der Hain zählt etwa dreihundert Bäume. Den günstigsten Fall vorausgesetzt, dass jedes Familienoberhaupt Besitzer von Palmen ist und jeder Baum achtzig Kilo Datteln trägt von je fünf Franken Kaufwert, so ergibt das im Durchschnitt einen Jahresverdienst von achttausend Franken (etwa tausend Reichsmark) pro Familie, wovon die Steuer abgeht, ein Franken fünfzig pro Baum. Ziemlich leicht ist die Arbeit, immerhin muss sie in flammender Glut geleistet werden und ohne Unterbrechung, die Palme bringt (wie das afrikanische Mädchen) in ihren ersten neun Lebensjahren überhaupt keine Frucht, und der artesische Brunnen, vom Tuggurter Schlossermeister Obach (aus Straßburg) hergestellt, kostet dreitausend Franken.
Verzeihung – aber zu solchen Berechnungen verführt die Oase; lang reitet man über Sand und Stein, der keinen Gedanken eingibt, und plötzlich sieht man sich einer deutlichen Vermögensaufstellung gegenüber.
Die übrigens nicht vollständig ist. Mit Dattelnüssen ernährt man das Kamel, aus Palmzweigen werden Körbe und Matten geflochten, mit den dürren Blättern der Küchenherd geheizt.
Am Rand des Seeufers rasten Nomaden. Überall, wo Wasser ist oder eine Siedlung, schlagen Bohemiens der Wüste ihre Wanderstäbe in die Erde, einen größeren in die Mitte und zwei kleinere rechts und links davon, eine zerfetzte dunkle Decke darüber – fertig ist die Laube; nicht angebunden wird das Maultier, es fühlt sich rassenzugehörig,