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Aggression - zerstörend oder lebensfördernd - Karl Frielingsdorf


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+Intraindividuelle Erklärungen: Theorien, die intrapsychische Ursachen für aggressives Verhalten heranziehen, z. B. eine hohe physiologische Erregung oder Ärger.
+Interpersonale Erklärungen: Aggressionen entstehen aus missverständlicher Kommunikation oder unterschiedlichen Interpretationen derselben Handlungen.
+Intergruppale Ebene: Aggressionen zwischen unterschiedlichen Gruppen oder Gruppenmitglieder sind aggressiv gegeneinander, weil sie unterschiedlichen Gruppen angehören.
+Ideologische Ebene: „Gesellschaftliche Ideologien legen fest, welche Handlungen erlaubt oder gar erwünscht sind und begünstigen oder verhindern damit auch die Entstehung von Aggression und Gewalt“ (Bierhoff, 4 f.).

      (Ausführliche Darstellungen zu diesem Thema findet man u. a. bei Bierhoff, 2–25 und 88–106; Klessmann 1992, 36 ff.; Berkowitz, 27 ff.; Scharfenberg, 16 ff.; Kernberg, 137 ff.). In diesen Theorien zur Entstehung von Aggressionen kommt leider der positive Aspekt von Aggression als lebensfördernde und beziehungsstiftende Antriebsenergie zu kurz. Aggression wird zu einseitig destruktiv gesehen. Für uns ist es wichtig, dass alle diese Theorien wesentliche Aspekte zum besseren Verstehen von Aggression entfalten, jedoch letztlich keine von ihnen eine ganzheitliche Aggressionstheorie darstellt.

      Aggressionen sind weder rein biophysikalische noch allein sozial bedingte Phänomene. „Wir sind ihnen weder hilflos ausgeliefert noch können wir sie durch geeignete Erziehungsmaßnahmen völlig aus der Welt schaffen … Aber sie sind formbar und für verschiedene Zwecke einsetzbar. Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, die möglichen positiven und kreativen Funktionen von Ärger und Aggression ebenso zu verstehen und darzustellen wie ihre gefährlichen und destruktiven Wirkungen“ (Klessmann 1992, 60 f.).

      In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, die Entstehung der lebensbehindernden und zerstörerischen Aggressionen näher zu betrachten (Besems 1980). Auf Schädigung oder Zerstörung ausgerichtete Aggressionen sind nicht der Ausgangspunkt, sondern die Folge eines Prozesses. Normalerweise liegen den Aggressionen in der Tiefe Verletzungen zugrunde, aus denen sie sich langsam entwickeln. Jede Verletzung bringt Schmerzen mit sich. Kann der Schmerz, aus welchen Gründen auch immer, nicht angemessen ausgedrückt werden, entsteht Ärger, die psychische Dimension der auf Schädigung ausgerichteten Aggression. Kann dieser Ärger keinen Ausdruck finden, so dringt er in die tieferen Schichten des Menschen ein und ruft u. a. körperliches Unwohlsein hervor, das gewöhnlich in Form der Wut zu Tage tritt. Wenn die in der Wut enthaltene Energie nicht in Bewegung gesetzt wird, entsteht die Aggression, die ein konkretes „Objekt“ sucht, woran sie sich ausagieren kann. Geschieht dies nicht, wird die Richtung der Aggression umgekehrt, gegen sich selbst, in die sogenannte Autoaggression.

      Eine Wandlung der Aggressionen in ihre lebens- und beziehungsfördernde Dimension ist dann möglich, wenn ich die Stufen der Aggression in umgekehrter Reihenfolge noch einmal durchlaufe. Dabei muss ich darauf achten, dass ich die damit verbundene Energie und ihre Richtungsorientierung jeweils wahrnehme und auf den „richtigen“ Weg bringe.

      Das bedeutet, dass ich bei der Autoaggression da ansetze, wo ich mich durch Aggressionen selbst schädige oder verletze, die eigentlich anderen gelten. Hier ist es notwendig, nach innen zu schauen und zu spüren, gegen wen sich eigentlich meine Aggressionen richten. Ist mir das klar, dann kann ich die Aggressionen nach außen richten, indem ich z. B. Steine auf ein stellvertretendes „Objekt“ werfe, darauf schlage, boxe, trommle oder es anschreie.

      Danach kann ich neben dem Gefühl der Befreiung noch ein körperliches Unwohlsein spüren, das sich psychisch im Ärger ausdrückt. Ich bin erschöpft und erleichtert, spüre aber immer noch die Wut nachklingen und weiß nicht, wie ich die Energie abfließen lassen soll. Hier kann jede körperliche Bewegung helfen, z. B. laufen, körperlich arbeiten, viele Sportarten, damit ich zu einem größeren Gleichgewicht komme. Wut und verbleibender Ärger können auch in Wutbriefen, die laut gelesen werden, oder in Schimpfen und Anklagen bzw. in stellvertretenden körperlichen Auseinandersetzungen ausagiert werden.

      Meist kommen danach Schmerz und Trauer hoch, oft vermischt mit Tränen, die andeuten, dass sich etwas löst. Der Blick ist frei für die Verletzung, die der Aggression zugrunde liegt, sei sie nach außen oder nach innen gerichtet. Hier kann dann der Prozess des Verstehens und der Versöhnung ansetzen, in dem die Aggressionen nicht mehr schädigend, sondern fruchtbar und lebensfördernd eingesetzt werden.

      Wie bereits angedeutet, verstehen wir Aggressionen auch als einen Ausdruck von Lebensenergien, die in jedem Menschen vorhanden sind. Aggression ist eine positive Kraft, eine Antriebsenergie, die aus der inneren Lebensquelle des Menschen gespeist wird. Im Unterschied zur ungebündelten und eruptiven Wut kann die Aggression zielgerichtet und komprimiert werden (Besems, 30 ff.). Diese aggressive Lebensenergie macht den Menschen lebendig und aktiv, mit ihr gestaltet er kreativ seine Lebenswirklichkeit. Wir brauchen diese Antriebskraft immer wieder, um unsere potentiellen Möglichkeiten in Fähigkeiten und in Tun umzusetzen.

      Im existentiellen Sinne bezeichnet Tillich diese aggressive Lebenskraft als „power to be“, d. h. als Trieb jedes lebendigen Wesens, sich mit zunehmender Intensität und Extensität selbst zu realisieren (Tillich, 36). Mit dieser aggressiven Lebenskraft verwirklicht der Mensch zunächst sich selbst. Sie gibt ihm die Möglichkeit, sein Leben in die Hand zu nehmen. Er entwickelt Selbstständigkeit und kann zu einer autonomen Persönlichkeit werden. Damit ist natürlich nicht eine fremdbestimmte Selbstsicherheit gemeint, die sich in Leistungen und den entsprechenden Bestätigungen durch andere beweisen muss. Die innere Lebenskraft zeigt ihre wahre Stärke in Krisensituationen und bei großen Herausforderungen. „Solche aktive Selbstbehauptung ist erfolgreich in dem Maß, wie die Subjekte in diesem Prozess der Selbstbehauptung ihre eigene Kraft spüren und die davon betroffenen „Objekte“ merken, dass sie es nicht mit einer aufgeblasenen Fassade, sondern wirklich mit dem Ausdruck einer inneren „power to be“ zu tun haben“ (Klessmann 1992, 75).

      Das aggressive Potential ist ebenso notwendig, um die Welt zu erforschen und die anderen Menschen als Du zu entdecken, um dann auf dieses Du zuzugehen und Beziehungen anzuknüpfen.

      In der Beziehung zu Gott ist die Aggression ein wichtiger Impuls auf unserer Suche nach einer Begegnung mit ihm, nach dem Gott, der in uns wohnt und gleichzeitig als Du im „Außen“ unseres Selbst zu finden ist.

      Wir können unseren aggressiven Lebensenergien unterschiedliche Richtungen geben und sie verschieden wirken lassen. Wir können sie lebens- und beziehungsfördernd einsetzen. Wir können sie aber auch destruktiv-zerstörerisch gegen uns selbst und andere richten. Oder wir können sie einfach brachliegen und ruhen lassen. Das verursacht auf Dauer einen Energiestau, der sich dann vielleicht an unpassender Stelle Raum und Luft verschafft.

      Daraus ergibt sich die Aufgabe, Wege zu finden, wie wir unser aggressives Lebenspotential lebensfördernd und beziehungsstiftend einsetzen können. In diesem Sinne schreibt C. Thompson: „Aggression ist keinesfalls notwendig destruktiv. Sie kommt aus einer angeborenen Tendenz, zu wachsen und das Leben zu meistern … Nur wenn diese Lebenskraft in ihrer Entwicklung behindert wird, verbinden sich Elemente von Ärger, Wut oder Hass mit ihr und werden schließlich zu erbarmungsloser Aggression“ (Thompson, 179).

2.Einige mit der Aggression verwandte Begriffe: Ärger, Wut, Zorn, Hass, Feindschaft, Groll

      Da die mit der Aggression verwandten Begriffe wie Ärger, Wut, Zorn, Hass und Groll häufig vermischt und synonym gebraucht werden, wollen wir eine kurze Klärung und Abgrenzung der wichtigsten Begriffe vornehmen.

      Ärger ist vor allem ein psychisches Unwohlsein, das sich u. a. in einer lauteren Stimme, in Fluchen, Schimpfen, Drohgebärden und heftigen Bewegungen äußern kann. Die körperliche Erregung (z. B. Erröten, Schweißausbruch, drohende Gebärden, erhöhte Pulsfrequenz) muss „einer bestimmten psychologischen und kognitiven Einschätzung und Zuordnung unterworfen werden, um als spezifisches Gefühl – und nicht nur als diffuse Erregung wahrgenommen zu werden“ (Klessmann, 24; Bierhoff 5 f.).

      Neben dieser Verbindung der physiologischen Erregung mit einer psychischen Einschätzung der aktuellen Situation


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