Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung. Hieronymus CardanusЧитать онлайн книгу.
ich stets versäumt habe auf den Grund zu gehen. So bin ich denn wieder gesund geworden, gerade damals, als die Franzosen nach ihrem Sieg über die Venezianer22 bei Adda einen Triumphzug durch die Stadt hielten, dem ich vom Fenster aus zuschauen durfte.
Nach dieser Krankheit hat auch die ewige Mühe und Plackerei im Dienst meines Vaters für einige Zeit aufgehört. Aber der Juno Zorn23 war noch nicht gesättigt: Ich hatte mich noch nicht völlig von der Krankheit erholt, als ich – wir wohnten damals in der Via Dei Maini – die Treppe herabfiel, einen Hammer in der Hand, der mich an der linken Stirnseite ganz oben traf. Ich erlitt eine schwere Verletzung, auch der Knochen war getroffen, sodass eine dauernde, heute noch sichtbare Narbe blieb. Die Wunde war kaum geheilt, ich saß eines Tages vor der Haustüre, da fiel vom Dache des sehr hohen Nachbarhauses ein Ziegelstein, in der Länge und Breite wie eine Nuss, aber dünn wie ein Stückchen Rinde, und verwundete mich links oben am Kopf, wo reichlich Haare standen. Zu Beginn meines 10. Lebensjahres wechselte mein Vater die Wohnung; er verließ das Haus, das ihm der Unglücksfälle wegen unheimlich wurde, und bezog ein anderes in der gleichen Straße, wo ich nun volle drei Jahre lang lebte. Mein Schicksal aber änderte sich nicht: Wieder führte mein Vater mich wie einen Sklaven mit sich, in so auffallender Strenge, um nicht zu sagen Grausamkeit, dass ich – nach den Erfahrungen, die ich später gemacht habe – glauben möchte, es sei dies eher des Himmels Wille als des Vaters Schuld gewesen, umso mehr, als auch Mutter und Tante mit dieser Behandlung einverstanden waren. Immerhin verfuhr er nun mit mir viel milder als früher, denn inzwischen hatte er zwei Neffen, einen nach dem andern, zu sich ins Haus genommen, und da diese zu den gleichen Diensten angehalten wurden, ward meine Knechtschaft erleichtert oder war doch weniger schwer zu tragen, denn entweder musste ich jetzt den Vater gar nicht mehr oder doch nur gemeinsam mit den Neffen begleiten. Mehrmals wechselten wir die Wohnung, ich immer in des Vaters Begleitung, bis wir schließlich, da ich das 16. Lebensjahr vollendet, in das Haus des Alessandro Cardano zogen, bei der Mühle der Bossi.
Mein Vater hatte zwei Neffen, Söhne seiner Schwester: Einer, Evangelista, trat in den Orden des heiligen Franziskus und wurde fast 70 Jahre alt, der andere, Oddone Cantone, war Steuereinnehmer, ein reicher Mann. Der wollte vor seinem Tode mich zum einzigen Erben seines ganzen Vermögens einsetzen; aber der Vater duldete dies nicht, er sagte, das Geld sei unrecht erworbenes Gut. So wurde sein Vermögen nach Gutdünken seines Bruders, der damals noch lebte, verteilt.
Neunzehn Jahre alt geworden bezog ich zusammen mit Giovanni Ambrogio Targio die Universität zu Pavia und blieb dort, dieses Mal ohne meinen Kameraden, auch ein zweites Jahr. Als ich das 21. Lebensjahr zurückgelegt, begab ich mich, wiederum mit Targio, ein drittes Mal nach Pavia, hielt nun meine öffentliche Disputation und las im Gymnasium über den Euklid und schon nach wenigen Tagen auch über Dialektik und die Anfangsgründe der Philosophie, zuerst für den Servitenbruder Romolo und kurze Zeit darauf für einen gewissen Arzt namens Pandolfo. Nach vollendetem 22. Lebensjahre blieb ich für einige Zeit zu Hause in Mailand, der Kriegswirren24 wegen, unter denen unsere Gegend damals schwer zu leiden hatte. Zu Beginn des Jahres 1524 begab ich mich nach Padua; gegen Ende des Jahres, das heißt im Monat August, führte mich, in Begleitung des Gianangelo Corio, irgendein Zufall wieder nach Mailand zurück. Ich fand meinen Vater todkrank in den letzten Zügen. Doch er kümmerte sich mehr um mein als um sein eigenes Wohlergehen und verlangte, dass ich nach Padua zurückkehre; glücklich war er, hören zu dürfen, dass ich das sogenannte Bakkalaureat der freien Künste25 zu Venedig erworben. Ich reiste also wieder nach Padua und erhielt bald nach meiner Ankunft die briefliche Nachricht, mein Vater sei gestorben, acht Tage, nachdem er sich jeder Speise enthalten habe. Gestorben ist er am 28. August, und zu fasten fing er an am 20., einem Samstag. Gegen Ende meines 24. Lebensjahres wurde ich Rektor der Universität zu Padua, ein Jahr später Doktor der Medizin. Bei der Wahl als Rektor drang ich nach zweimal wiederholter Abstimmung mit einer Stimme Mehrheit durch. Bei der Promotion zum Doktorat war ich zuerst zweimal durchgefallen, da 47 Stimmen gegen mich abgegeben wurden, und erst bei der dritten Abstimmung, über die hinaus keine weitere mehr zulässig war, blieb ich Sieger: Nurmehr neun Stimmen wurden gegen mich abgegeben; ebensoviele hatten bei den ersten Abstimmungen, gegenüber 47 ablehnenden Stimmen, für mich gestimmt. Ich weiß wohl, dass dies alles Kleinigkeiten sind, aber ich berichte sie genau, wie sie stattgefunden haben, weil ich meinen Spaß daran haben will, wenn ich es wieder lese (für mich allein nämlich, nicht für andere, mache ich diese Aufzeichnungen), weil ferner jeder, der vielleicht doch einmal dies zu lesen geruht, wissen möge, dass großer Dinge Anfang wie ihr Ausgang oft trüb und dunkel ist, und endlich, weil manchem andern schon Ähnliches begegnet ist, ohne dass er Gewicht darauf gelegt hat.
Nachdem nun also mein Vater gestorben und meine Amtszeit als Rektor abgelaufen war, begab ich mich, zu Beginn meines 26. Lebensjahres, nach dem Städtchen Sacco, das 10000 Schritt von Padua, 25000 von Venedig entfernt liegt, ermuntert und unterstützt durch einen Arzt in Padua, Francesco Buonafede. Dieser Mann, dem ich nie irgendwelchen Dienst getan – nicht einmal sein Hörer bin ich gewesen, obwohl er zu Padua öffentlich las –, war mir in höchst uneigennützigem freundschaftlichem Eifer zugetan. Ich blieb nun zunächst in Sacco, indes mein Vaterland durch alle Art von Übel heimgesucht wurde: Im Jahre 1524 wütete zu Mailand eine fürchterliche Pest, zweimal wechselte die Stadt den Landesherrn26, und in den Jahren 1526 und 1527 litt sie unter einer vernichtenden Hungersnot; die Preise für die amtlichen Getreidescheine waren kaum zu erschwingen. Dazu kamen unerträglich drückende Abgaben. Im Jahre 1528 wüteten wieder Pest und andere Seuchen – Übel, die vielleicht nur aus einem einzigen Grunde ein weniges leichter zu ertragen waren, weil sie nämlich das ganze Land verheerten.
Im Jahre 1529, da die Kriegswirren ein wenig nachließen, siedelte ich wieder nach meiner Vaterstadt über. Ich wollte in das Kollegium der Ärzte aufgenommen werden, wurde aber abgewiesen. Bei den Barbiani27 war nichts für mich zu erreichen, und da zudem meine Mutter launisch und griesgrämig war, kehrte ich wieder in mein Landstädtchen28 zurück, nicht so gesund freilich, als ich es verlassen hatte. Die Aufregungen, Mühen, Sorgen und Arbeiten, dazu Husten und eiternde Geschwüre, ein übelriechender Auswurf infolge verdorbenen Magens hatten mich auf einen Zustand gebracht, von wo aus sonst niemand mehr gesund zu werden pflegt. Doch ein Gelübde, das ich der Allerseligsten Jungfrau gemacht, rettete mich aus dieser Krankheit, und unmittelbar darauf, gegen Ende meines 31. Lebensjahres, vermählte ich mich mit Lucia Bandarini aus dem Städtchen Sacco.
Vier Beobachtungen habe ich im Laufe meines Lebens gemacht: einmal, dass alle meine Unternehmungen, ohne dass ich es beabsichtigte, immer vor dem Vollmond zum Abschluss kamen; zweitens, dass ich immer dann frohe Hoffnung schöpfen durfte, wenn andere sie zu verlieren pflegen; weiter, dass ich mir das Glück, wie ich schon gesagt, tatsächlich immer im letzten Augenblick zum Besten wandte; und endlich, dass ich bis zu meinem 60. Lebensjahre fast alle meine Reisen im Monat Februar angetreten habe. – Meine Frau gebar mir nach zwei Fehlgeburten zwei Söhne und zwischenhinein eine Tochter. Im Jahre nach meiner Vermählung begab ich mich gegen Ende April nach Gallarate, blieb dort neunzehn Monate und erholte mich in dieser Zeit völlig. Und damals hörte ich auch auf, arm zu sein, denn es war mir allmählich gar nichts mehr geblieben. Doch jetzt ermöglichte es mir das liebevolle Entgegenkommen der Vorsteher des großen Xenodochiums29 und vor allem die Unterstützung des erlauchten Filippo Archinti30, damals berühmt als Redner, nach Mailand zu ziehen und dort öffentlich Mathematik zu lehren, nunmehr im Alter von mehr als 33 Jahren. Zwei Jahre darauf bot sich mir die Gelegenheit, zu Pavia öffentlich Medizin zu dozieren; ich nahm nicht an, weil ich keinerlei Aussicht hatte, dort auch nur den nötigsten Lebensunterhalt zu finden. Im nämlichen Jahre, 1536, reiste ich nach Piacenza; ein Brief des Bischofs Archinti – er war damals übrigens noch nicht Priester – rief mich dorthin zum Papst31, doch wurde nichts aus der Sache. Auch der französische Vizekönig von Mailand nahm sich meiner an und zwar, wie ich später erfuhr, auf Drängen des erlauchten Herrn Louis Birague, des Kommandanten der in Italien stationierten Infanterie des französischen Königs. Dieser Vizekönig Brissac32 war ein überaus eifriger Freund und Gönner der Gelehrten; er machte mir viele und große Angebote, aber die Sache zerschlug sich. Im Jahre darauf, 1537, verhandelte ich wieder mit dem Kollegium der mailändischen Ärzte, aber mein Gesuch um Aufnahme wurde wiederum glattweg abgewiesen. Im Jahre 1539 dagegen, als nicht mehr so viele gegen mich stimmten, bin ich tatsächlich wider alles Erwarten aufgenommen