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Warum ich tue, was ich tue. Evelin Kroschel-LoboddaЧитать онлайн книгу.

Warum ich tue, was ich tue - Evelin Kroschel-Lobodda


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zusteht oder nicht möglich ist (z. B. wegen des Todes eines Partners), dann reagieren wir mit Trauer- oder Ohnmachtsgefühlen.

      Jede Kultur hat ihre speziellen Vorlieben oder Notwendigkeiten zur Unterdrückung von bestimmten Primärbedürfnissen sowie den dazugehörigen Gefühlen (einhergehend mit der Erhöhung der jeweils gegenteiligen Bedürfnisse zu höchsten Werten). Durch jede Sozialisation wird das Individuum bezüglich der Wahrnehmung bestimmter Bedürfnisse desensibilisiert. Bei dieser kulturellen Desensibilisierung lernen wir, die entsprechenden Bedürfnisse und Gefühle so zu unterdrücken, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen oder erkennen können (wie das Beispiel der Inuit zeigt, das eine sozialisierte Unterdrückung des Zorns beschreibt). Wir lernen, unliebsame oder unerlaubte Gefühle mit anderen Gefühlen zu überdecken oder zu verschleiern, wobei das Überdecken und Verschleiern dem Bewusstsein meist entzogen ist. So wird beispielsweise Trauer unbewusst häufig unter Wut versteckt, und umgekehrt ist Wut oft in eine Depression eingehüllt. Wir lernen, Gefühle unter einen Wust von Gedanken zu verstecken. Unsere westliche kulturelle Dominanz der Ratio macht es uns nicht einfach, unseren Gefühlen die Bedeutung zu geben, die sie haben und ihre Informationsqualität zu erkennen.

      Wie sehr Gefühle z. B. unter einem dichten Schleier von Gedanken versteckt sein können, mag eine kleine Gesprächssequenz aus einer Coachingsitzung zeigen:

      Der Klient erzählte von einer Kränkung durch seinen Vorgesetzten, die ihm so zugesetzt hatte, dass er deswegen erwog, die Firma zu verlassen (trotz vieler sich daraus ergebender Nachteile). Während er darüber sprach, konnte ich sehen, wie sein Atem flacher und sein Gesicht blasser wurden und seine Arme auf der Sessellehne angespannt waren. Ich: »Wenn Sie das Ganze so vor ihrem geistigen Auge haben – was empfinden Sie dabei?« Er: »Ja, ich denke, das war ziemlich unfair.« Ich: »Und wenn Sie nun daran denken und mir erzählen, wie unfair das Ganze war – wie fühlt sich das an?« Er: »Ich denke, der braucht einen Denkzettel.« Ich: »Sie wollen ihrem Chef einen Denkzettel verpassen. Aus welchem Gefühl heraus wollen Sie das denn?« Antwort: »Nun, ich denke, so etwas darf nicht ungestraft bleiben!« Nach meinen vergeblichen Versuchen, seine Wahrnehmung auf seine Gefühle zu richten, machte ich ihn schließlich auf meine Beobachtung seiner körperlichen Reaktionen aufmerksam: »Mir fällt auf, dass Ihre Arme ganz angespannt sind und Ihr Reden sich ein bisschen atemlos anhört.« Er stutzte und sagte dann ganz überrascht: »Ja, stimmt, ich fühle mich völlig angespannt – – (lange Pause) – – und außerdem bin ich echt zornig!«

      Im weiteren Verlauf der Sitzung stellte sich dann heraus, dass »zornig sein« in der Familie des Klienten mit Verachtung und Beschämung bestraft wurde. Das hatte dazu geführt, dass der Klient lernte, seine Ärgergefühle zu verdrängen (was ihm offenbar Bluthochdruck verschaffte, denn ein halbes Jahr später am Ende des Coachings hatte sich sein Blutdruck normalisiert). Durch das Bewusstwerden und die Akzeptanz seines Zorns konnte er sein Rachebedürfnis erkennen und aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Ihm wurde klar, dass er mit dem Verlassen der Firma nur sich selbst geschadet hätte und er damit keineswegs eine Bedürfnisbefriedigung erreicht hätte. In der vertieften Selbsterkenntnisarbeit kam er einer inneren Instanz auf die Spur, die zur Eskalation der Situation geführt hatte. Er erkannte, dass sein Verhalten durch ein sogenanntes Introjekt gesteuert war, das lautete »ich muss Autoritäten bekämpfen«. (Ein Introjekt wirkt wie ein unbewusster innerer Befehl, die Welt auf bestimmte Art zu sehen und/oder sich auf bestimmte Weise zu verhalten.) Das führte dazu, dass er in subtiler Weise immer wieder versuchte, die Hierarchie in der Firma in Frage zu stellen und die Autorität seines Chefs zu sabotieren. Als dieser seine Führungsrolle klar definierte und die Übergriffe abwehrte (was mein Klient als mangelnde Wertschätzung seiner Person empfand), eskalierte die Situation.

      Mein Klient erkannte, dass ihm seine eigenen aggressiven Gefühle und das dahinter stehende Bedürfnis nach Macht nicht bewusst gewesen waren und er deshalb viel davon auf seinen Chef projiziert hatte. Da seine familiäre Sozialisation Unterwerfung verlangt hatte (was im Gegensatz zu seinem Introjekt stand, das einen Kampf gegen Autoritäten verlangte), musste mein Klient die Wahrnehmung seiner Machtbedürfnisse und seiner aggressiven Gefühle verdrängen, was dazu führte, dass sich diese Bedürfnisse unter einer Haltung versteckten, die sich in einer Mischung von nörglerischer Rechthaberei, ironischen Sticheleien und selbstdestruktivem Querulantentum ausdrückten. Als mein Klient dies erkannte, sein Machtbedürfnis in sein Selbstbild integrieren konnte und das destruktive Introjekt auflöste, veränderte sich die Situation deutlich. Hatte er vorher das Gefühl gehabt, ständig missachtet gegen Windmühlen zu kämpfen, so konnte er nun seine Kompetenz wirksam zum Ausdruck bringen und die Anerkennung, die er bekam, wahrnehmen und annehmen.

      Gefühle sind die Sprache des Organismus. Wenn wir sie vernachlässigen, bedeutet das, dass wir die Informationen, die uns durch sie vermittelt werden sollen, nicht erkennen und in der Folge auch nicht adäquat damit umgehen.

      Solange wir die Sprache unserer Psyche nicht verstehen, solange sind wir auch nicht in der Lage, mit ihr zu kommunizieren und Einfluss auf sie zu nehmen. Trotz der unzähligen Variationen und Kombinationen von Gefühlen beschränken sich ihre Aussagen auf vier Grundformen:

      Mangel bzw. Verlust signalisiert der Organismus z. B. durch Hunger, Durst, Müdigkeit, Wachheit, Lust, Tatendrang, Aggression, Mut, Strebsamkeit, Interesse, Wunschgefühle, Sehnsucht, Neugier, Heimweh, Fernweh, Rivalität, Erregung, Ehrgeiz, Gier, Sucht, Zorn, Wut, Hass, Groll, Ressentiment, Missgunst, Rachewunsch, Neid, Eifersucht, Entrüstung, Erschütterung, Demütigung, Scham, Reue, Sorge, Verunsicherung, Aufregung, erschrockene Überraschung, Irritation, Resignation, Erschöpfung, Verdruss, Niedergeschlagenheit, Verdrießlichkeit, Ungeduld, Trauer, Bitterkeit, Verbitterung, Trübsinn, Burn-out, Missbilligung, Schuldgefühl, schlechtes Gewissen, Sich-gekränkt- oder -beleidigt-Fühlen, Sich-angestrengt-Fühlen usw.

      Die Unterschiedlichkeit dieser Gefühle hat zum einen mit der organismischen Unmittelbarkeit – im Sinne der physiologischen und psychologisch-evolutionären Theorien – zu tun (z. B. Hunger, Durst, Müdigkeit, Erschrecken, Angst usw.). Zum anderen rührt die Unterschiedlichkeit von der inneren Bewertung – im Sinne der kognitiven Theorie – ob der Mangel als Ansporn oder als Verlust empfunden wird, ob er als selbst- oder fremdverursacht bewertet wird, ob er als normal oder als schlimm erlebt wird, ob er als behebbar oder als nicht zu beseitigen angesehen wird (z. B. Zorn, Ärger, Trauer, Hilflosigkeit usw.).

      Während Gefühle wie z. B. Verdruss, Niedergeschlagenheit, Trübsinn, Erschöpfung unspezifisch auf sämtliche Bedürfnisse bezogen sein können, gibt es Gefühle, die klare Hinweise auf einen spezifischen Mangel geben. So weisen z. B. Gefühle der Scham, der Demütigung, der Eifersucht, des Ehrgeizes usw. auf eine Betroffenheit des Bedürfnisfelds Selbstwert/Anerkennung hin. Wohingegen z. B. Schuldgefühle, Rachegefühle, schlechtes Gewissen, Missbilligung, Entrüstung usw. dann entstehen, wenn das Bedürfnisfeld Gerechtigkeit/Ideale betroffen ist.

      Da für den Organismus ein Mangelzustand Stress bedeutet, werden dabei alle physiologischen und psychologischen Stress-Reaktionen ausgelöst – die ich im Abschnitt Die Macht der Bedürfnisse näher beschreibe.

      Eine Bedrohung der Bedürfnisbefriedigung signalisiert der Organismus durch Angst, Furcht und Sorge in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen.

      So signalisieren z. B. die Todesangst, die Kriegsangst oder auch hypochondrische Ängste die Bedrohung des Lebens, betreffen also das Sicherheitsbedürfnis;


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