Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bernd SchmidЧитать онлайн книгу.
Schilderungen, Prinzipien abzuleiten, anstatt dem Klienten selbst Überlegungen dazu abzuverlangen, worin das Problem bestehen könnte und welche Schlüsse daraus gezogen werden sollten.
2.4 Perspektiven der Entwicklung
Aus der Perspektive der Entwicklung werden das Erleben und Verhalten von Menschen als Erscheinungen vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklungen betrachtet. Dabei kann man aus jeder der drei bisher behandelten Perspektiven (Person, Beziehung, Wirklichkeit) auch auf lebensübergreifende Muster blicken.
2.4.1 Entwicklungspsychologische Fragestellungen
Entwicklungspsychologische Fragestellungen werden in der Tradition der Psychologie meist mit persönlichkeitspsychologischen Konzepten verknüpft. Entwicklungspsychologische Fragestellungen bieten auch Perspektiven für Persönlichkeit, die psychologisch Orientierte – wenn notwendig – berücksichtigen können sollten. Die Gegenwart als Durchgangsstadium in einer Entwicklung zu sehen ist eine spezielle Art, übergreifende Fragen zu stellen. Die Gegenwart wird als aus der Vergangenheit entstanden und auf die Zukunft bezogen konzipiert. Menschliches Erleben und Verhalten in der Gegenwart wird in Bezug auf Vergangenheit und auf sich anbahnende Zukunft interpretiert.
Manchmal scheint es unerlässlich, das beobachtete Erleben und Verhalten von Menschen in den Kontext ihrer Vergangenheit oder auch einer anstehenden oder zukünftigen Entwicklung zu stellen. Dabei können Entwicklungen vom Individuum ausgehend, aber auch von seinem Umfeld her betrachtet werden.
In der transaktionsanalytischen Konzeptbildung spielt die Untersuchung gegenwärtiger Erlebens- und Verhaltensweisen im Lichte der Tradition einer Bezugsgruppe (möglicherweise über Generationen hinweg) eine Rolle. Fragestellungen dieser Art könnte man entwicklungsanalytische Fragestellungen nennen.
Für den psychologischen Zweig entwicklungsanalytischer Fragestellungen (also für die Entwicklungspsychologie) spielen Konzepte der psychosexuellen Entwicklungsprozesse im Kindesalter eine wichtige Rolle. Ebenso zentral sind Konzepte von Entwicklung der Objektbeziehungen (MAHLER 1978), Konzepte der Entwicklung von Identität (ERIKSON 1966) oder andere Konzepte der Entwicklung im Erwachsenenalter. Ein weiteres Beispiel wäre hier die Individuationsbetrachtung von JUNG und seinen Schülern (JUNG et al. 1968). Zu traditionsanalytischen Fragestellungen gehören Konzepte der Mehrgenerationen-Perspektive (z.B. BOSZORMENYI-NAGY/SPARK 1981) der Vermächtnisse, Delegation und transgenerationaler Treuebindung (HELLINGER, in: WEBER 1993), des Episcripting – Weitergabe von problematischen Lebensplänen – (ENGLISH 1976) und Konzepte vom Umgang mit Entwicklungsaufgaben und Schuld und Sühne über Generationen hinweg.
Je mehr sich die Betrachtungsperspektiven auf den Menschen in außerfamiliären sozialen Systemen verlagern, desto wichtiger werden stärker gesellschaftsorientierte Entwicklungsbetrachtungen. Hier könnten Konzepte bezüglich der Familie im Wandel der gesellschaftlichen Bedingungen (etwa der Fragen koordinierter Berufswegeplanung von Mann und Frau) wichtig werden. Ebenso könnten Konzepte bezüglich professioneller Entwicklung sich als bedeutsam erweisen. Auch können Entwicklungsphasen eines Unternehmens oder der Märkte, in denen es operiert, für das Verständnis der Unternehmenskultur und der darin tätigen Menschen entscheidend sein. Darüber hinaus können Fragen geistiger und spiritueller Entwicklung (z.B. FRANKL, in: LÄNGLE 1986; OUSPENSKY 1966; KÜHLEWIND 1976) für viele Hilfestellungen nutzbringend reflektiert werden.
2.4.2 Die Lebensskriptanalyse
Viele Konzepte, die im Rahmen der Transaktionsanalyse entwickelt wurden, kann man unter dem Begriff Skriptanalyse zusammenfassen. Dabei wird von der Idee ausgegangen, dass Menschen – ohne dies bewusst erkannt zu haben – einer Gestaltungsidee bezüglich des eigenen Lebens folgen. Diese Gestaltungsidee ist von BERNE (1986) parallel zu der Metapher des griechischen Dramas als Lebensdrehbuch konzipiert worden. Entsprechend der traditionellen Lehre der Psychoanalyse nahm BERNE an, dass Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren – geprägt durch ihr Naturell, unter dem Eindruck der erlebten Umweltsituation – Ideen entwickeln und verfestigen, wie das eigene Leben verlaufen wird. In der Organisation des inneren Erlebens, in der Beziehungsgestaltung wie auch in der Konstruktion der eigenen Wirklichkeit würde dann dieses Lebensskript verwirklicht. Die Adler’sche Lebensstilanalyse (z.B. ADLER 1973) hat mit der Skriptanalyse von BERNE viel gemeinsam.
Unter dem Gesichtspunkt der Lebensskriptanalyse fragen Transaktionsanalytiker auch nach belastenden (traumatischen) Lebenssituationen des Klienten, die zu sogenannten Schlussfolgerungen über die eigene Person, über Beziehungen oder über die Qualität des Lebens bzw. das zu erwartende Schicksal geführt haben könnten. Diese könnten – ähnlich wie das in der Psychoanalyse angenommen wird – wiederholt in Szene gesetzt werden. Durch die Aneinanderreihung solcher Wiederholungen oder deren Kombination würde ein bestimmter Lebensentwurf mit bestimmten Konsequenzen verwirklicht werden.
Man kann sich aus dieser Perspektive z.B. vorstellen, dass ein Kind angesichts der Erfahrung in der eigenen Familie zur Schlussfolgerung kommt, dass Ehen nicht gut gehen können. Infolgedessen könnte dann dieser Mensch sein späteres Leben so gestalten, dass zwar eine Ehe geschlossen wird (vielleicht sogar um zu beweisen, dass dieser Glaube unwahr sei), dass diese Ehe aber so gestaltet wird, dass die kindliche Schlussfolgerung letztlich durch die eintretenden Ereignisse bestätigt scheint. Der Versuch, einem erwarteten Schicksal auszuweichen, aber doch an die darin enthaltene Prophezeiung zu glauben, wird mit dem Begriff des Anti-Skripts belegt.
Transaktionsanalytiker untersuchen in diesem Zusammenhang auch Beziehungen über Generationen hinweg, was in der Familientherapie die Mehrgenerationen-Perspektive genannt wird. Die Weitergabe von problematischen Lebenshaltungen über den Weg der Erziehung an die Kinder wird mit dem Begriff des Episcripting, also der Skriptweitergabe, benannt.
Neben einem an Einschränkungen orientierten Skriptbegriff, der von BERNE entwickelt wurde, gibt es neuere Konzepte des Skriptverständnisses, wie etwa das von ENGLISH (1980). Hier werden Antriebe und Ideen zur Lebensgestaltung auch als positive organisierende Kräfte im Leben des Einzelnen und in sozialen Gefügen betrachtet. Lediglich negative Regelmäßigkeiten oder emotional verfestigte Gewohnheiten werden unter dem Etikett der Überlebensschlussfolgerungen neu befragt und durch sogenannte Umentscheidungen aufgelöst. So kann die schöpferische Kraft in einem Lebensentwurf den jeweiligen Lebensbedingungen und Eigenarten der Person entsprechend befreit werden.
Viele Ideen der TA sind sicher in anderen psychologischen Orientierungen in ähnlicher Weise vorhanden. Doch zeichnet sich die TA durch eine Reihe von sehr praktischen und auch auf einfachem Niveau sehr nützlichen Befragungsschemata aus.
Ein Beispiel dafür sind die fünf Skriptmuster, die häufig vorkommende Lebensregeln beschreiben. Zur Illustration möchte ich aus diesen das Danach-Skriptmuster herausgreifen. Dessen Grundmuster: Nach Gutem, Befriedigendem muss Schlechtes, Schwieriges folgen! Man untersucht Erlebens- und Verhaltensabläufe in der kurzfristigen wie in der langfristigen Perspektive darauf hin, wo diese Erwartung den Gang der Dinge, mindestens aber die Atmosphäre und das Lebensgefühl bestimmen oder bestimmt haben. Es scheint, als würden viele Menschen in ihrem Leben insgesamt oder in bestimmten Lebensbereichen so leben, als würde ein Damoklesschwert über ihnen hängen. Sie erwarten, selbst wenn oder gerade wenn ihr Leben positiv verläuft, ein dem jetzigen Glück entsprechendes und daher ausgleichendes Unglück. Kennzeichnend für solche Erwartungen sind Sprüche wie: »Nach Sonne kommt Regen«, »Vögel, die morgens singen, frisst abends die Katze«, »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben« usw.
Man kann solche Skriptmuster ganz unterschiedlich interpretieren. –Etwa als Ausfluss magischen Denkens, welches gewohnheitsmäßig erwartet, dass nach etwas Gutem immer etwas Schlechtes kommt. Im Sinne einer ›self-fulfilling prophecy‹ ruft der Betroffene dieses Schlechte auch hervor, oder genießt zumindest das Gute in der Erwartung des Schlechten nicht. Man kann sich auch vorstellen, dass ein Mensch solcher Überzeugung eine Art inneres Maß entwickelt hat, was ihm an Erfolg, an Leistung oder an Fröhlichkeit o.ä. zusteht und meint, nur um dieses (meist geringe) Maß herum oszillieren zu können. Nach einer erlittenen