Bauchgefühl & Gottvertrauen. Guido CantzЧитать онлайн книгу.
dann aber doch ein bisschen zu viel kurzfristig umgestrickt werden musste, um es noch in den verbleibenden Minuten zwischen Probe und Show zu schaffen, habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Teleprompter gearbeitet. Mein Text lief also an einigen Stellen der Sendung auf einem Bildschirm unter der Kamera mit und ich habe versucht, ihn möglichst natürlich zu präsentieren. Etwas, das wirklich niemandem beim ersten Versuch gelingt. Anfänger neigen nämlich dazu, den Kopf mitzubewegen, während die Augen den Zeilen folgen.
Eingeladen waren Gäste, vor denen ich mich nicht blamieren wollte. Neben Show- und Schauspiellegenden wie Gritt Boettcher, Chris Howland und Thomas Fritsch saßen auch meine Kollegen Oliver Welke und Oliver Kalkofe mit mir gemeinsam auf dem Sofa. Die Zeit war, wie gesagt, knapp, aber glücklicherweise hatte die Redaktion mir ein paar Talkfragen aufgeschrieben, damit ich mich mit den Prominenten einigermaßen kompetent unterhalten konnte. Leider schwand mein Vertrauen in dieses Hilfsmittel schlagartig, als ich mit Grit Boettcher sprach. Über sie und Harald Juhnke in ihrer gemeinsamen Sketch-Show „Ein verrücktes Paar“ hatte ich schon als Grundschüler herzlich gelacht und stellte ihr eine Frage zu ihrem aktuellen Buchprojekt „Lyrik im Alter“. Über Bücher redet schließlich jeder Gast gern, wenn er in eine Sendung eingeladen wird. Bedauerlicherweise erfuhr Frau Boettcher in diesem Moment zum ersten Mal von diesen Plänen. Entsprechend entgeistert sah mich die damals 66-Jährige an, die sich vermutlich nicht annähernd so alt fühlte, wie ich ihr das gerade mithilfe dieses angeblichen Gedichtbands unterstellt hatte. Und dann befragte ich auch noch ihren österreichischen Schauspiel-Kollegen Herbert Fux nach Filmen, die er dummerweise nie gedreht hatte. Doch ich hatte weder die Zeit noch den Erdboden, um darin zu versinken.
Zum inhaltlichen gesellte sich schließlich noch das technische Chaos. Nach so und so vielen Unterbrechungen fiel es nicht mehr ins Gewicht, dass der arme Chris Howland, der ausnahmsweise tatsächlich ein Witzebuch herausgegeben hatte, bei seinem Beispielwitz einen falschen Einstieg wählte. Es war ein sehr langer, mir nicht unbekannter Gag. Doch ich wusste bereits, während Mr. Howland ihn vortrug, dass er nach etlichen Minuten des Erzählens pointenfrei versanden würde, weil der Erzähler zu Beginn leider falsch abgebogen war. Nach gefühlt zwölf – in Wirklichkeit wohl nur etwas mehr als vier Stunden – Aufzeichnung war die Sendung abgedreht. Ich nehme an, die schlimmsten Momente konnten herausgeschnitten werden. Mit Sicherheit kann ich das allerdings nicht sagen, da ich nie gewagt habe, mir das komplette Ergebnis anzusehen.
Dass ich dieses Erlebnis bis heute nicht verdrängen kann, verhindert auch das Datum, an dem die Sendung stattfand. Denn als wir kurz vor Mitternacht das Studio verließen, nahte unaufhaltsam mein 33. Geburtstag. Wir feierten ihn mit dem gesamten Team bei einem Umtrunk. Ein besonderes Highlight war die Geburtstagstorte. In Zuckerschrift stand dort zu lesen: „Guido, du schaffst das schon!“ Die schwarzwälder-kirsch-gewordene Mahnung, exakt diese Maxime ernsthaft zu überdenken.
Nachdem wir mit ein paar Gläschen auf mich angestoßen und den Stress der vergangenen Stunden hinter uns gelassen hatten, entdeckte ich dann noch die wütende SMS meiner damaligen Freundin. Sie war extra wach geblieben und nun sehr enttäuscht, mich um Mitternacht nicht zu erreichen.
Heute bin ich nicht mehr so zurückhaltend wie vor zwanzig Jahren, wenn ich eine Idee nicht gut finde, einen Text oder eine Inszenierung nicht mag und eigene Vorstellungen davon habe. Das habe ich mich natürlich noch nicht getraut, als ich froh war über meine ersten Fernsehengagements.
Bei meiner Premiere als Moderator in einer Fernsehsendung des ZDFs namens „Karnevalissimo“ war ich 27 Jahre alt, vor der Kamera unerfahren und habe sehr auf die Tipps meines Redakteurs vertraut. Mit Texten wie: „Im wahren Leben ist er Friseur, er schneidet aber auch auf der Bühne richtig gut ab“, war ich zwar unglücklich, habe mich aber anfangs noch nicht getraut, auch das laut zu formulieren.
Der Dienstleister in mir wollte einfach, dass der Kunde, in diesem Fall der Sender, glücklich ist. Heute sehe ich natürlich, dass Kollegen, die sehr viel früher als ich darauf gepocht haben, ihren eigenen Stil durchzuziehen, damit sehr gut gefahren sind. Vielleicht musste ich aber auch erst mal unterschiedliche Erfahrungen sammeln, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, was gut ist und was nicht.
Trotzdem kann man mich durchaus auch heute noch mit einem: „Guido, du schaffst das schon!“, einfangen, wenn ich bezweifle, dass ein Plan aufgeht. Tief in meinem Inneren bin ich Dienstleister, genauer gesagt Humor-Dienstleister. Jemand, der seinen Auftrag sehr ernst nimmt und alles dafür tut, dass er möglichst fehlerfrei funktioniert. Im Rückblick kann man immer spekulieren: Wärst du heute woanders gelandet, wenn du an bestimmten Punkten deiner Karriere öfter „Nein“ gesagt oder dich durchgesetzt hättest? Aber es ist eben auch gut möglich, dass ich dann in der Fernsehwelt gar keine Rolle mehr spielen würde.
Tief in meinem Inneren bin ich Dienstleister, genauer gesagt Humor-Dienstleister.
In allererster Linie bin ich glücklich über die vielen Chancen, die sich mir geboten haben. Mir fällt kaum eine Unterhaltungssendung ein, in der ich nicht zumindest schon mal Gast war. Und wer hätte das gedacht? Dass der ehemalige Schülersprecher des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums tatsächlich mal vor der Kamera stehen würde? Nach meiner Moderation unseres letzten Schultages wurde mir eine solche Zukunft zwar bereits in einem Artikel in unserer Abiturzeitung prophezeit, aber in demselben Heft sind wir auch davon ausgegangen, dass nun die nach menschlichem Ermessen schwersten Prüfungen hinter uns lägen und das weitere Leben ein Klacks sei. Diese Einschätzung erwies sich als ein Mµ zu optimistisch.
Durch meinen frühen Start als Unterhaltungskünstler habe ich beispielsweise nie einen klassischen Arbeitsalltag kennengelernt. Abgesehen von einem Ferienjob in der Firma, in der mein Vater gearbeitet hat und dem Praktikum bei Radio Köln innerhalb meiner Ausbildung, habe ich nie über längere Zeit Achtstundentage mit den üblichen Hierarchien eines Unternehmens erlebt. Genau genommen habe ich nie „richtig“ gearbeitet, aber nur deshalb, weil ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Die Erfahrung, wie man gegenüber Vorgesetzten seinen Standpunkt klarmacht, musste ich mir bei unterschiedlichen Gelegenheiten und gegenüber unterschiedlichen Menschen wahrscheinlich langsamer erarbeiten als jemand, der täglich mit denselben Gesichtern zu tun hat. Vermutlich hat es bei mir deshalb ein bisschen länger gedauert, bis ich klar sagen konnte, was ich will und was nicht.
Und heute sage ich: Meinen Job als Dienstleistung zu betrachten, behalte ich bei. Ich sehe mich selbst, obwohl ich Unterhaltungskünstler bin, nicht als Künstler. Picasso war ein Künstler. Menschen, die Bilder malen, komponieren oder Weltliteratur schreiben, die in Bereichen wie Bildhauerei, Regie oder Schauspielerei Erfolge feiern, gehören für mich in diese Kategorie. Über mich selbst zu sagen: „Ich bin Künstler“, geht mir zu schwer über die Lippen. Vielleicht ist diese Dienstleistermentalität auch nur mein Vehikel, um auf dem Boden zu bleiben.
„Guido, du schaffst das schon!“ entpuppt sich dabei manchmal als das Mantra, das ich mir nicht ausgesucht habe, aber das im Hintergrund unhörbar erklingt und mich immer noch hin und wieder dazu verleitet, mir mehr aufzubürden als gesund für mich ist. Andererseits hat sich dieser Satz in der Vergangenheit so oft als wahr erwiesen, dass er mir in Momenten der Unsicherheit und des Zweifels durchaus hilft. Selbst jetzt – in diesem Augenblick, in dem noch unklar ist, wohin mein Weg mich in Zukunft führt – lässt er mich zuversichtlich sein, dass es weitergeht und dass alles gut wird.
2. Der erste Warnschuss
Wenn ich aus Erfahrung wirklich klug geworden wäre, dann hätte ich mir bereits seit 1996 nie mehr zu viel zumuten dürfen. Denn im Alter von 25 Jahren schickte mir mein Körper eine deutliche Warnung, die mich aber leider nur vorübergehend demütig werden ließ.
Zu dieser Zeit war ich bereits professionell im Karneval unterwegs mit mehr als 200 Auftritten während der Session. Um mich für die kräftezehrenden Wochen zu belohnen, hatte ich mir einen Last-Minute-Urlaub in der Dominikanischen Republik gegönnt. Ein Bekannter hatte mich noch vor den dort grassierenden Magen-Darm-Viren gewarnt. Für Infektionen dieser Art bin ich durchaus empfänglich und tatsächlich habe ich während des Rückflugs