Elbkiller: 7 Hamburg Krimis. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
„Können wir anfangen?“
Brock drehte sich zu der jungen Frau um, die in ihrem weißen Overall vor ihm stand. Er nickte.
„Sie bekommen die Ergebnisse der Obduktion so schnell wie möglich“, sagte der Mediziner.
„Ihr Schlusswort könnten Sie auch mal ändern“, knurrte der Hauptkommissar und verließ den Tatort.
*
Kommissaranwärter Horst Spengler sah den jungen Wasserschutzpolizisten, der sich als Detlef Schwenke vorgestellt hatte, streng an. „Erzählen Sie alles noch mal von vorn.“
Sie befanden sich in einem hässlichen Büro, das mit ziemlich alten Möbeln ausgestattet war. Der Beamte war nervös und knetete seine Finger ununterbrochen. Nachdem Spengler sich vorgestellt hatte, stand er vor ihm und sah auf ihn herunter.
„Unsere Schicht hatte gerade begonnen. Wir hatten unseren Liegeplatz verlassen und waren mit dem leichten Hafenstreifenboot auf Patrouille.“
„Das ist mir soweit klar“, unterbrach Spengler mit einem Versuch, die sarkastischen Bemerkungen seines Chefs zu imitieren, was ihm jedoch nicht vollständig gelang.
„Na, ja, wir wollten als Erstes das Kreuzfahrtterminal kontrollieren und standen querab zur Elbphilharmonie …“
„Querab? Was heißt das?“
Der junge Beamte sah Spengler entschuldigend an. „Das bedeutet rechtwinklig zur Längsrichtung des Schiffes.“
„Aha“, nickte Spengler, doch man sah ihm an, dass er die Definition nicht ganz begriffen hatte.
„Dann entdeckten wir das Boot. Das heißt, gesehen haben wir es schon vorher. Doch ich bemerkte, dass es bewegungslos im Strom lag. Ein Mann stand hinter dem offenen liegenden Steuerpult und hatte ein Fernglas auf die Elbphilharmonie gerichtet. Ich habe unserem Bootsführer ein Zeichen gegeben, doch er hatte ebenfalls alles gesehen und hielt bereits auf das fremde Boot zu. Es war noch sehr früh am Morgen, und private Boote sind da eher selten zu sehen.“
„Was geschah dann?“
„Mit bloßen Augen konnte ich nicht erkennen, worauf der Mann blickte. Also nahm ich auch ein Glas und entdeckte ziemlich schnell, dass an dem großen Fenster der Elbphilharmonie eine Person klebte. Inzwischen hatte uns der Mann auf dem Boot gesehen. Wir gingen längsseits, und unser Polizeiobermeister fragte ihn, was er da mache. Er sagte, dass er zufällig die Person am Fenster bemerkt habe, als er auf dem Rückweg zu seinem Liegeplatz war. Wir haben sofort die Zentrale informiert und Kurs auf die Philharmonie genommen.“
Auf Spenglers Stirn erschien eine tiefe Falte. „Um den Mann auf dem Boot haben Sie sich nicht weiter gekümmert?“
Der junge Beamte hob die Schultern. „Er konnte kaum etwas mit der Sache zu tun haben. Also ließen wir ihn dort zurück.“
„Großer Fehler!“, knurrte Spengler. „Wir glauben, dass der Unbekannte durchaus etwas mit dem Mord zu tun haben könnte, doch dank Ihrer mangelnden Weitsicht wissen wir nicht, wer er ist.“
„Mord?“
„Glauben Sie, da hat sich einer freiwillig an die Scheibe geklebt?“
Schwenke schwieg und senkte den Kopf.
„Wir können das Boot bestimmt finden“, sagte er schließlich. „Ich weiß, wie es aussieht. Auf dem Fluss ist es schwer, ein Schiff zu verstecken. Es war nach einer Frau benannt.“
„Nach einer Frau?“, wiederholte Spengler überrascht. „Welche Frau?“
„Ich meine einen weiblichen Vornamen, es war irgendwas mit A. Anja oder Anna. Vielleicht auch Alina oder Anke.“
„Das ist doch ein Anfang. Es wird doch ein Schiffsregister geben, in dem die Namen aller Boote verzeichnet sind.“
Schwenke nickte. „Ja, das gibt es. Wir werden das überprüfen.“
Spengler richtete sich zu seiner vollen Größe von ein Meter siebzig auf. Er war der festen Überzeugung, dass damit auch seine Autorität wuchs. Dann wurde ihm bewusst, dass seine Freizeitkleidung – Jeans, leichte Jacke, Sneakers – diesem Anspruch nicht gerecht wurde. Er schätzte korrekte Kleidung sehr, doch für den nächtlichen Bereitschaftsdient hatte er sich nicht die Zeit für eine entsprechende Auswahl genommen.
„Außerdem sollten Sie sofort damit beginnen, das Boot zu suchen. Wir müssen es unbedingt finden, es hängt mit unserem Fall zusammen.“
„Jawohl, Herr Spengler. Ich werde meinen Vorgesetzten informieren.“
„Kommissaranwärter Spengler, wenn ich bitten darf.“
„Jawohl, Herr Kommissaranwärter!“
Er drehte sich um und marschierte zur Tür. Dann fuhr er plötzlich wieder herum, als ihm einfiel, worüber sein Chef gegrübelt hatte.
„Sagen Sie, diese Stelle in der Elbe, an der Sie das Boot angetroffen haben, ist da mal irgendetwas passiert?“
Der junge Beamte zog seine Stirn in Falten und dachte offensichtlich nach. Dann hellte sich sein Gesicht auf.
„Ja, jetzt, wo Sie danach fragen … Da war wirklich mal was. Letztes Jahr beim Hafengeburtstag hat es etwa an dieser Stelle einen Unfall gegeben. Eine kleine Privatjacht hat ein Motorboot gerammt. Dabei ist jemand ums Leben gekommen. Ein Mann, glaube ich.“
„Wo sind die Unterlagen darüber?“, fragte Spengler scharf und freute sich schon auf Brocks Gesicht, wenn er ihm die Neuigkeit mitteilte.
„Die müssten auf unserem Revier sein.“
„Sorgen Sie für Kopien. Aber heute noch!“
Der junge Beamte nickte nur müde. Seinen Sonntagsdienst hatte er sich anders vorgestellt.
2. Kapitel
Das prachtvolle Haus an der Elbchaussee war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut worden und hatte die wechselvollen Stürme der Zeit nahezu unbeschadet überstanden. Es lag an einem Abhang zur Flussseite und besaß dadurch einen unverbaubaren Blick über die Elbe und den Hafen.
Die Elbchaussee war eine der berühmtesten Straßen der Hansestadt. Sie verband Altona mit Blankenese und galt als bevorzugte Wohnlage. Es gab schöne alte Villen, Parks und Nobelrestaurants. Von manchen Stellen aus hatte man einen herrlichen Blick über den Fluss und den Hafen.
Die Villa war zur Straße durch dichte Hecken und einen jahrzehntealten Baumbestand abgeschirmt und damit neugierigen Blicken entzogen. Zusätzlich gab es eine etwa mannshohe Mauer, unterbrochen von einem Gittertor aus Schmiedeeisen. Vom Tor führte ein gepflasterter Weg zu den abseits liegenden Garagen. Davor waren einige zusätzliche Stellplätze angelegt. Der Weg endete an einem breiteren Platz vor dem Haupteingang.
Eine leicht geschwungene Freitreppe führte zu einem säulengeschmückten Vorbau. Von dort ging es in die große Empfangshalle, die das Zentrum des Gebäudes bildete.
Aus dem Speiseraum auf der rechten Seite drang das Gewirr mehrerer Stimmen unterschiedlichen Geschlechts. Geschirr klapperte, Besteck klirrte.
Am Kopfende einer langen Tafel saß Anton Holler, der Patriarch der Familie und gleichzeitig ihr unangefochtenes Oberhaupt. An einem Sonntag im Monat pflegte er die Familie zu einem sogenannten Brunch zu versammeln, einer Mischung aus Frühstück und Mittagessen. Erscheinen war für alle Pflicht, und so waren auch heute alle zusammengekommen.
Anton Holler betrachtete sich selbst als erfolgreichen Geschäftsmann, und das war er auch. Er hatte die Reederei, die er von seinem Vater übernommen hatte, zu einem konkurrenzfähigen Unternehmen gemacht. Eine gewisse Eitelkeit konnte man ihm durchaus nachsagen. Aus seinem Alter machte er gegenüber Dritten ein Geheimnis, obwohl jeder wusste, dass er die siebzig bereits überschritten hatte. Zugegeben: Man sah