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Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen. Annabel HerzogЧитать онлайн книгу.

Einführung Somatoforme Störungen, Somatische Belastungsstörungen - Annabel Herzog


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depressive oder Angststörungen),

      ■eine familiäre Häufung chronischer Erkrankungen.

      Die Lebenserwartung scheint dabei, abgesehen von einem erhöhten Suizidrisiko (Abschn. 2.2.4) bei somatoformen Störungen normal zu sein, einzelne Studien berichten sogar von einer niedrigeren Mortalität (Hatcher et al. 2011).

      Obwohl der Krankheitsverlauf bei somatoformen Störungen oft chronisch ist, ist die Symptomatik durchaus variabel und schwankend, und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Art und Lokalisation als auch im Hinblick auf ihr Ausmaß, ihren Schweregrad und ihre Auswirkungen auf die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Bei ca. 50 % der Patientinnen und Patienten tritt im Verlauf des ersten Jahres nach Diagnosestellung eine Besserung oder Remission der Körperbeschwerden auf (Levenson et al. 2018).

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      Remissionsraten

      Laut einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Hausarztsetting mit Patientinnen und Patienten mit einer Somatisierungsstörung (insgesamt n=762) berichteten im Verlauf von 6–15 Monaten rund 50–75 % der Patientinnen und Patienten über eine Besserung ihrer Beschwerden, bei 10-30 % kam es jedoch zu einer Verschlechterung (Olde Hartman et al. 2009). Auch eine weitere Untersuchung ergab, dass sich 50 % oder mehr der Patientinnen und Patienten mit einer Somatisierungsstörung innerhalb eines Jahres von der Diagnose erholten (Creed / Barsky 2004).

      Eine prospektive Studie mit n=32 Patientinnen und Patienten aus der Primärversorgung mit einer Somatisierungsstörung ergab, dass 78 % die Kriterien für die Erkrankung nach fünf Jahren nicht mehr erfüllten, wobei einige Patientinnen und Patienten weiterhin ein oder zwei belastende Symptome berichteten (Jackson / Kroenke 2008).

      Dazu ist generell anzumerken, dass Verbesserung oder Remission in diesen Studien nicht bedeutet, dass sich alle Symptome vollständig gebessert haben. Darüber hinaus können Patientinnen und Patienten auch nach Besserung später einen Rückfall erleiden und dann erneut die Störungskriterien erfüllen (Levensen et al. 2018). Manchmal treten nach Besserung oder Überwindung bestimmter Beschwerden stattdessen andere Symptome auf.

      Alle Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine größere Anzahl von somatischen Symptomen zu Beginn der Beobachtung im weiteren Verlauf weniger wahrscheinlich mit einer Verbesserung einhergeht (Creed / Barsky 2004; Jackson / Kroenke 2008). Andere Faktoren, die möglicherweise einer Verbesserung entgegenstehen, sind ein höheres Alter, eine ausgeprägte Beeinträchtigung und komorbide Angst und Depression (Creed / Barsky 2004), sowie maladaptive Persönlichkeitszüge wie Vermeidungsverhalten und eine geringe Kooperationsbereitschaft (Jackson / Kroenke 2008).

      Patientinnen und Patienten mit somatoformen Störungen (und somatischen Belastungsstörungen) haben körperliche Symptome, die von übermäßigen oder unverhältnismäßigen emotionalen und verhaltensbedingten Reaktionen begleitet werden. Sie nehmen daher häufig mehr Gesundheitsversorgung in Anspruch als andere Patientinnen und Patienten (APA 2013).

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      Eine Sichtung von Patientendaten aus neun bevölkerungsbasierten Studien (insgesamt n >28.000) ergab, dass auch nach der Kontrolle von Alter, allgemeinen medizinischen Erkrankungen, Angst und Depression eine höhere Anzahl belastender somatischer Symptomen mit einer vermehrten Inanspruchnahme des Gesundheitssystems verbunden war (Tomenson et al. 2013).

      Eine retrospektive Studie untersuchte die Nutzung von Gesundheitsleistungen bei mehr als 1500 Patientinnen und Patienten aus der Primärversorgung und kontrollierte sie ebenfalls auf potenziell konfundierende Faktoren wie Alter, Angststörungen, depressive Störungen und allgemeine medizinische Erkrankungen. Krankenhausaufenthalte, Besuche in der Notaufnahme, Besuche beim Hausarzt, Facharztbesuche und ambulante Eingriffe in den letzten 12 Monaten waren bei Patientinnen und Patienten mit belastenden Körperbeschwerden jeweils höher als bei Patientinnen und Patienten ohne belastende somatische Symptome (Barsky et al. 2005).

      In einer repräsentativen Stichprobe aus Hongkong (n >3000) war eine höhere Anzahl beunruhigender Körperbeschwerden und erhöhter Krankheitsangst jeweils unabhängig voneinander mit einer höheren Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen verbunden (Lee et al. 2015). Personen mit hoher somatischer Symptombelastung und zusätzlich hoher Gesundheitsangst zeigten dabei die höchste Inanspruchnahme und auch die größten Einbußen bezüglich des Funktionsniveaus. Daten aus einer repräsentativen Stichprobe aus Australien (n >8000) ergaben ebenfalls einen hohen Zusammenhang zwischen Krankheitsangst und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (Sunderland et al. 2013).

      In einer Studie aus den USA zeigte sich, dass innerhalb eines Monats 800 von 1000 Menschen körperliche Beschwerden verspürten, 327 irgendeine Art medizinischer Hilfe aufsuchten, 217 sich ärztlich vorstellten (113 davon bei einem Allgemeinmediziner und 104 bei einem anderen Facharzt), 65 einen komplementär oder alternativmedizinischen Behandler aufsuchten, 21 sich in der Ambulanz eines Krankenhauses vorstellten, 14 zu Hause von Behandlern versorgt wurden, 13 sich in einer Notaufnahme vorstellten und 8 stationär in ein Krankenhaus aufgenommen wurden (Green et al. 2001; Hausteiner-Wiehle et al. 2013).

      viele Patientinnen und Patienten bleiben lange unbehandelt

      Patientinnen und Patienten mit funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden leiden bis zu 25 Jahre lang, bevor sie eine angemessene Behandlung erhalten (Herzog et al. 2018). Eine überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Körperbeschwerden bleibt (zunächst) unbehandelt oder wird nicht entsprechend aktueller klinischer Leitlinien behandelt.

      Viele Patientinnen und Patienten mit somatoformen Symptomen nehmen auch alternativmedizinische Leistungen in Anspruch, die sie z. T. als wirksam erleben, für die sich aber wenig wissenschaftliche Evidenz findet (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften 2018). Obwohl Patientinnen und Patienten mit somatoformen Störungen sowohl auf psychotherapeutische als auch auf pharmakologische Interventionen ansprechen, sind die Effekte aktueller Behandlungsmaßnahmen im Allgemeinen geringer als bei anderen psychischen Erkrankungen.

      hohe direkte und indirekte Kosten

      Hinsichtlich Prävention oder Früherkennung somatoformer Störungen finden sich aktuell leider nur wenige Ansätze. In der Folge führen beispielsweise Mehrfachdiagnostik, häufige Hospitalisierung und zahlreiche Krankheitstage zu hohen Kosten für die Sozialversicherungssysteme.

      Da somatoforme oder funktionelle Körperbeschwerden trotz eines meist fehlenden körperlichen Befundes häufig mit Einschränkungen von Lebensqualität und Leistungsfähigkeit sowie einer hohen Komorbidität mit Depressionen und Angststörungen verbunden sind, gehen sie auch mit hohen indirekten Gesundheitskosten durch Krankheitstage und Produktivitätsverluste einher. Auch die direkten Gesundheitskosten sind bei diesen Patientinnen und Patienten deutlich erhöht: so verursachen sie im ambulanten Bereich im Mittel 14-fach höhere Kosten als die durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben. Die stationären Kosten belaufen sich auf das Sechsfache (Abb. 2.3). Vor allem Patientinnen und Patienten mit einer Somatisierungsstörung gehören zu den so genannten „high utilizern“ des Gesundheitssystems (Hatcher et al. 2011; Konnopka et al. 2012; Mack et al. 2015; Boeft et al. 2016; Rask et al. 2017; Henningsen et al. 2018). Die Mehrheit der Patientinnen und Patienten, die sich keiner multimodalen Behandlung unterziehen, werden nach drei Jahren aufgrund ihrer Symptome arbeitsunfähig (Kwan / Friel 2002). Im Jahr 2010 betrugen die Kosten für somatoforme Störungen (in Mrd. € Kaufkraftparitäten) in Europa 21,20 €. So ist die gesundheitliche Belastung durch somatoforme Störungen in Europa vergleichbar mit derjenigen durch Angst- und depressive Störungen (Jacobi et al. 2014).

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