100 Boyfriends. Brontez PurnellЧитать онлайн книгу.
sein scheißausgeprägtes Selbstbewusstsein. Kennengelernt hatte ich ihn vor Jahren – als ich in einer Fabriketage nahe Downtown wohnte. Er lief mir wie ein Welpe bis in mein Zimmer hinterher, und dann passierte es: Sperma flog in alle Richtungen. Er war um einiges größer als ich, deshalb passte ich nach unseren epischen Sperma-Spritz-Battles perfekt in ihn rein. Irgendwann zog er weg, in ein Waldgebiet in Nordkalifornien. Nur seinetwegen verwandelte sich das ländliche Kalifornien nicht in einen Haufen Asche.
Er hatte in Mendocino gerade eine Reihe von Bränden gelöscht. Er zog sich nackt aus. Ich konnte sehen, wo der Löschrucksack seine Haut gereizt hatte. Immerhin war sie noch dran. «Sorry, dass ich dir bei meinem letzten Besuch in der Stadt meinen Schwanz vorenthalten hab», sagte er. (Richtig gepoppppppt hatten wir noch nie.) Doch jetzt wollten wir es wissen. Es fühlte sich – anders kann ich es leider nicht sagen – «schön» an, als hätten wir uns füreinander aufgespart. Er war der einzige, mir bekannte Mensch, der tatsächlich genderfluid war: Mann, Frau, alles dazwischen und dazu noch sämtliche Hautfarben. Der Junge steckte seinen Schwanz in jeden und jede rein, und ich bewunderte ihn, weil er so eine Megaschlampe war. Er zeigte mir Fotos von seiner kleinen Tochter, und wir lasen uns den ganzen Nachmittag gegenseitig etwas vor. Danach ging er und kam nie wieder.
BOYFRIEND #33 / DER FRISÖR
Ich brauchte Asymmetrie und wollte mir deshalb die Haare blondieren lassen, einmal quer über den Kopf. Das war es nämlich, was mir fehlte: dieser eine zündende Funke, damit die Leinwand endlich aufflackerte. Ich war Filmemacher und kurz davor, endlich den Dreh rauszukriegen und meine große Vision wahr werden zu lassen. Waren meiner Fantasie Grenzen gesetzt? Nein, entschied ich. Bei meinen Haaren – bisher unblondiert – fing ich an. Mein Frisör war sexy. Pummeliges Engelsgesicht mit pummeligem Engelsschwanz. Mir fiel auf, wie rau und rissig seine Hände waren von den vielen Chemikalien, Haarfarben und Extensions, mit denen er bis zwei Uhr morgens rumhantierte, weil er als einziger nach zweiundzwanzig Uhr noch Kundinnen ohne Termin in den Laden ließ. Manchmal nahm er sogar nach eins noch eine dran, was für einen Frisör für Schwarze Frauen eine gottverdammte Leistung war. Und er war schnell, brauchte fürs Einkleben von Extensions so was wie fünfundvierzig Minuten (ich hab’s selbst gesehen). Auf der Kinoleinwand in meinem Kopf schaute ich von meinem Regisseur-Thron zu (in Wahrheit saß ich natürlich auf dem Frisierstuhl), wie er lila Paste quer über meinen Kopf schmierte. Das Chemiezeug blieb so lange drauf, bis mir fast schwindelig wurde. «Je länger du’s drauflässt, umso blonder wird’s», sagte er. Ich wurde nicht weich – ich wurde blond, gottverdammt. Ich schwitzte es aus. Er tat eine Pflegespülung rein, und wir fickten hinten in seinem Laden. Er filmte es. Am nächsten Tag hatten meine Haare die Farbe und Textur von Zuckerwatte und fielen komplett aus.
BOYFRIEND #40 / DER GENTLEMAN
Sie waren das seltsamste Paar, mit dem ich jemals gefickt hatte. Richtig wohl fühlte ich mich bei ihnen nicht. Sie tranken Wein und stritten sich in einer Tour, und zwar so, dass klar war, wie sehr sie sich gegenseitig hassten. Ein Boyfriend war weiß und der aktive Part, er hatte einen Riesenschwanz, gottseidank, er war nämlich strunzdumm. Von Integralrechnung hatte er keinen Schimmer. Er hatte einen Mega-Landeiakzent und erzählte uns diese Geschichte, dass er mal von oben bis unten mit Fäkalien beschmiert im Knast aufgewacht und beinahe für längere Zeit ins Gefängnis gewandert war, aber zum Glück hatte seine Mutter ihm 12.000 Dollar geliehen und alles hatte sich geklärt. Sein Boyfriend war ein mexikanischer Künstler, der mich die ganze Zeit anglotzte, als wollte er mich abstechen, weil ich seinen scheißweißen Boyfriend vögelte. Der Aktive war bald richtig besoffen und musste ins Bett, und weil es schon spät war, blieb ich da und schlief auf der Couch. Mitten in der Nacht weckte mich der Mexikaner auf, weil er ficken wollte, ich konnte mich gar nicht schnell genug ausziehen. Er kam sofort und baute sich dann vor mir auf. Ich spürte das Innere meines Arschlochs, dieses nasse, klebrige Gefühl, als hätte er einen Beweis hinterlassen wollen, dass er dort gewesen war. Er faltete meine Sachen ordentlich zusammen und legte sie neben mich. Dann küsste er mich auf die Stirn und sehr leidenschaftlich auf den Mund und flüsterte: «Du musst jetzt gehen.»
DAMN A LOVER COMES HOME TO DIE
Wieder einmal steht er unangemeldet vor meiner Tür – nach einem wie-viel-auch-immer-tägigen Speed-Gelage. Seine Schuhe sind weg. Er atmet schwer und stinkt, als wäre er stundenlang durch heiße Straßen gelaufen.
Mein Herz zieht sich zusammen. Er ist so anders als der duftende europäische Dandy, den ich damals kennengelernt habe; gleich bei unserer ersten Begegnung hat er mich verzaubert. Viel Mühe musste er sich nicht geben, das war mir sofort klar – sein Wunsch war mir Befehl, selbst dann, wenn er nichts zu sagen hatte. Dabei war er nicht der Typ, den man einfach lieben musste. Eigentlich war er sogar ein Arschloch, doch vor allem war er jemand, den Gott nur für mich gemacht hatte.
Er war witzig, besorgniserregend schön, dauergeil, und wäre es nicht so traurig gewesen, hätte man seinen Selbstzerstörungstrieb sexy nennen können. Vielleicht war so was sexy gewesen, als wir noch jünger waren – aber es hatte sich längst von sexy in dämonisch verkehrt. Trotzdem hatte er immer noch Macht über mich, erklären konnte ich es nicht, aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, nein zu ihm zu sagen.
Es dauert nur eine halbe Sekunde, bis all diese Gedanken mein Hirn durchfluten, aber ich merke, dass er bereits sauer ist, weil ich fürs Wiedererkennen so lange brauche. Als wollte er mich provozieren und abwarten, ob ich es wage, ihn nicht reinzulassen.
Er sagt nichts, was mich irritiert, denn als es das erste Mal passierte, knallte es gewaltig – nun taucht er zum zweiten Mal völlig neben der Spur bei mir auf, und ich sage mir, nie wieder, aber das habe ich auch schon beim letzten Mal und jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Beim ersten Mal stand er komplett neben sich und war völlig irre. Eine extrem aktive Dissoziation. Er hatte Krämpfe, keuchte, würgte. Er machte Sachen kaputt und brüllte, dass ich mich aus seiner Wohnung verpissen sollte, dass er mich umbringen würde. Die Stimmung wandelte sich so schnell, dass ich nur stumm da stand. Er zog Shirt und Hose aus, und die Einstichstellen auf seinen Armen und Beinen erinnerten mich an Sternbilder. Er legte sich auf die Couch, sprang aber im nächsten Moment wieder auf; in Unterwäsche rannte er aus meiner Wohnung, ich lief ihm nach, verfolgte ihn, rief ihm hinterher, er solle zurückkommen, doch er rannte schneller und schneller. Das ist Jahre her. Ich war davon ausgegangen, dass er längst tot ist, und hatte die Erinnerungen an ihn begraben.
Dieses Mal ist er ruhiger. Er hat keine Energie mehr und ist so dünn, dass ich weinen möchte. Ich rasiere ihm den Schädel, lasse ihm ein Bad ein und schmeiße seine stinkenden, zerlumpten Klamotten weg. Ich schaue nach, ob ich saubere Sachen habe, damit er später bei mir im Bett liegen kann. Weil ich weiß, dass er innerlich verbrennt und sich beim Schlafengehen am liebsten unter eine kühle Decke legt, drehe ich die Klimaanlage hoch. Das habe ich aus der Zeit, als wir zusammen wohnten, noch in Erinnerung.
Vor fünfzehn Jahren war es noch seine Wohnung. Heute regen sich die Leute über die Preise in der Stadt auf, aber, mein Gott, selbst als man für eine Ein-Zimmer-Wohnung noch 650 Dollar zahlte, konnten wir sie uns kaum leisten. Ich war aus meiner Bude rausgeflogen, und er ließ mich bei sich einziehen, weil er mich in seiner Nähe haben wollte. Er wollte Ehepaar spielen. Und es lief gut. Oder sagen wir, es lief länger gut, als ich erwartet hatte.
Meinetwegen hätte er mit dem Kopf unter dem Arm vor meiner Tür stehen können, ich hätte ihn trotzdem reingelassen – so sehr fühle ich mich ihm gegenüber überflüssigerweise verpflichtet. Als wir jung waren, sagte ich zu ihm: «Nein, ich werde dich niemals verlassen» – und er hielt mich im Klammergriff meines Versprechens wie ein Fangeisen eine Bärentatze.
Ich lasse ihm ein Bad ein und helfe ihm in die Wanne. Der Junge, der mir gefehlt hat, existiert schon sehr, sehr lang nicht mehr. Aber von dem, was von ihm noch da ist, kann ich mich nicht trennen. Der ehemals große, schöne Stern ist unter seinem eigenen Gewicht kollabiert und hat sich in ein schwarzes Loch verwandelt.
Ich erinnere mich an die Zeit, als wir jünger waren – er war derjenige, der mich ausgesucht hatte. Das weiß ich noch. Ich kellnerte in dem Diner